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Was haben Reese?

Als Fabian Reese Mitte Dezember gegen den VfL Osnabrück wegen eines „Infektes“ nicht mitspielen konnte, ahnte man zwar, dass die Alte Dame ohne ihren besten Spieler Probleme bekommen könnte (was sich dann auch bestätigte), man wusste zum damaligen Zeitpunkt aber nicht, was unter einem Infekt zu verstehen war. In früheren Zeiten hätte man an einen grippalen Infekt oder schlimmstenfalls an eine Grippe gedacht, was eine Genesung nach einer Woche, höchstens aber 10 Tagen bedeutet hätte, wenn man auf Nummer sicher gehen will, da Sport während eines Infekts schnell zu einer lebensbedrohlichen Herzmuskelentzündung führen kann.

Um so erstaunter waren Fans und Öffentlichkeit, als Reese beim ersten Training im neuen Jahr fehlte und auch bekannt wurde, dass er das Trainingslager in Spanien versäumen wird. Hoppla! Das kann doch kein normaler „Infekt“ sein. Nun heißt es von Seiten des Vereins, dass Reeses Blutwerte nach einer Corona-Infektion noch nicht wieder normal seien.

Wenn das vier Wochen nach Krankheitsbeginn so ist, dann sollten alle Alarmglocken läuten. Eine Post-Covid oder Long-Corona-Erkrankung scheint nicht mehr ausgeschlossen. Das hieße nicht mehr und nicht weniger, als dass eine Genesung völlig unbestimmt ist, und der Termin erstmaliger körperlicher Belastung in den Sternen steht. Das vertrackte an der Situation ist, dass zwischen wenigen Wochen und vielen Monaten bis zur Gesundung alles möglich ist, im schlimmsten Fall eine dauerhafte körperliche Schädigung nicht ausgeschlossen werden kann!

Da kann man nur die Daumen drücken und hoffen, beten scheint laut BAP nicht zu helfen, kann aber wiederum auch nicht schaden.

Ins Reich der Verschwörungstheoretiker gehört natürlich die Annahme, dass sich Reese schon zur Winterpause mit einem neuen Verein einig ist und ein Wechsel unmittelbar bevorsteht. Wenn das wahr sein sollte, müsste man allerdings vom Glauben abfallen…

Still ruht der See

Auch die umtriebigsten Journalisten wollen mal ein paar Tage Ruhe haben, bevor sie sich wieder Geschichten, die das Leben nicht schrieb, ausdenken müssen, um ihr schmales Gehalt aufzubessern. Keine Zugänge, keine Abgänge bei Hertha im Blick. Offensichtlich nahmen sich die Verantwortlichen das Weihnachtslied „Schlaf in himmlischer Ruh…“ wörtlich zu Herzen. Und das ist auch gut so. Schließlich gibt es nur wenig Handlungsbedarf im Kader, wenn man davon absieht, dass die selten oder nicht berücksichtigten Maolida, Nsona und Lucoqui gehen könnten und für das gesparte Gehalt andere, hoffentlich bessere Spieler verpflichtet werden könnten.

Denn natürlich gibt es Handlungsbedarf in der Abwehr (ein sicherer Linksverteidiger, wie wäre es eigentlich mit Plattenhardt, wenn er ein Zweitligagehalt akzeptieren würde) und im kreativen Mittelfeld. Aber auch mit den derzeit vorhandenen Spielern wird Hertha die Saison beenden können, allerdings dürfte ein Aufstieg nur bei sensationellem Verlauf der Rückrunde denkbar sein.

Immerhin: Ein Einzug ins Halbfinale des DFB-Pokals ist nach dem Heimspiel gegen den 1.FC Kaiserslautern denkbar.

Und ein Aufstieg ist in dieser Saison kein Muss. Wenn wir an die Monate Juni, Juli, August 2023 zurückdenken, als auch die 4. Liga oder gar die Totalinsolvenz mit Wiederanfang in der Kreisliga C (11. Liga) im Raum standen, ist die jetzige Situation doch geradezu großartig.

Die Journalisten können bis zum 21. Januar, wenn Fortuna Düsseldorf erstmals seit dem Mai 2012, dem Hinspiel der legendären Relegation mit dem Skandalrückspiel, ins Olympiastadion kommt, ruhig weiterschlafen. Auch wenn es vielleicht nur die Ruhe vor dem Sturm sein könnte. Dem Sturm in Richtung Endspiel und Aufstieg…

Die Jagd auf Reese

Dass man Wildschweine und Rotwild im Winter, außerhalb der Schonzeit, jagen kann, war mir bekannt. Dass man die Jagd auch auf Menschen eröffnen kann, zumal wenn ihre kriminellen Aktivitäten gleich Null sind, war mir neu: Ein nicht zu benennender Sportsender geht mit der Schlagzeile an die interessierte Öffentlichkeit, dass Bremen und Köln die Jagd auf Reese eröffnet hätten. Bremen und Köln? Da lachen ja die Hühner! Wenn Bayern München mit einer 20-Millionen-Offerte winken würde, müssten sich die Verantwortlichen zusammensetzen und beraten, ob das dringend benötigte Kleingeld wichtiger als ein möglicher Aufstieg wäre. Aber Bremen und Köln, die selber kein Geld haben und gegen den Abstieg kämpfen? Reese wird doch einen Teufel tun, sich mit solchen Angeboten überhaupt zu beschäftigen, wenn er nicht vom Regen in die Traufe kommen will. Voriges Jahr unterschrieb er als Zweitligaspieler einen Vertrag bei einem Erstligisten, weil Leistung und Charakter in einer höheren Liga besser zur Geltung kommen können. Es kam wegen Herthas Abstieg anders als gedacht. Reese erfüllt aber seinen Vertrag, und zwar bis jetzt zu mehr als 100 Prozent. Wenn er jetzt wieder von einem Zweitligisten zu einem abstiegsbedrohten Noch-Erstligisten wechseln würde, müsste man an seinem Geisteszustand zweifeln. Wer Reese in Interviews hört, weiß, dass er ein wacher, intelligenter und ehrlicher Typ ist. Ein Wechsel in der Winterpause, auf jeden Fall zu Köln oder Werder, erscheint also völlig ausgeschlossen. Zumal er bei Hertha mit Sicherheit ein Erstligagehalt im Millionenbereich bezieht, irgendwo muss das Geld für den zweitteuersten Kader der 2. Liga ja schließlich bleiben.

Vor der Winterpause, bevor es Ende Januar bei Schnee, Eis und Kälte wieder losgeht (in früheren Vor-Klimawandel-Zeiten war das sehr zuverlässig so), ist noch das schwerste Spiel der Saison zu spielen („Das nächste Spiel ist immer das Schwerste.“, sagte Sepp Herberger, und der musste es schließlich wissen): Gegen den Tabellenletzten Osnabrück erwarten alle natürlich einen (hohen) Sieg. Aber abgesehen davon, dass die Osnabrücker mit neuem Trainer im letzten Spiel dem souveränen Tabellenführer St. Pauli ein 1:1 abrangen, gegen den Hertha zuhause sang und klanglos 1:2 verlor, ist es so einfach eben nicht. Und Hertha war in der Vergangenheit prädestiniert dafür, gerade solche Spiel zu vergeigen. Aber Hertha macht diese Saison ja vieles anders. Gewinnt z.B. Pokalspiele. Mit Verlängerung. Im Elfmeterschießen. Und das nächste Auswärtsspiel gleich noch dazu.

Mit derzeit 24 Punkten liegt Hertha momentan vier Punkte hinter dem Relegationsplatz und acht Punkte hinter einem direkten Aufstiegsplatz. Wenn Osnabrück besiegt werden würde, würde Hertha genau da stehen, wo sie Pal Dardai auf der Mitgliederversammlung mit Seherfähigkeiten hinzaubern wollte: „Weihnachten wollen wir noch die Möglichkeit für etwas Schönes haben…“ Besser kann man es nicht ausdrücken…

Leistungsvergleich gegen den HSV

Nach dem vom Verlauf her sensationellen Pokalspiel gegen den HSV kann man feststellen, dass Hertha nicht mehr, wie am dritten Spieltag der Saison, eine Klasse schlechter als der ewige Aufstiegsaspirant Hamburger Sport Verein ist. Im August war Hertha mit dem 0 : 3 in Hamburg noch gut bedient, diesmal endete das Spiel nach 90 Minuten Unentschieden 2 : 2. Das heißt, dass die Abwehr besser und der Angriff zielstrebiger war als vor vier Monaten. Natürlich hatte Hertha 20 schlechte Minuten, als zwischen der 25. und 45. Minute die Hamburger Überlegenheit geradezu erschreckend war. Aber dass Hertha in der 2. Halbzeit zurückkam, den Druck ständig erhöhte, Chancen herausspielte, bis zum Umfallen kämpfte, um schließlich mit dem verdienten Ausgleich belohnt zu werden: Das zeigt, dass sich eine ganz neue Mannschaft gefunden hat. Verdienst von Dardai mit seinem Trainerteam und Benny Weber, der den Kader offensichtlich nach den richtigen Kriterien zusammengestellt hat: a) kann der Spieler den Ball über 10 m geradeaus spielen, b) kostet er weniger als die Hälfte des bisher auf seiner Position Spielenden und c) ist der Junge charakterlich in Ordnung.

Nach diesen Kriterien sollte man auch bei eventuellen Neuverpflichtungen in der Winter-Transferperiode vorgehen.

Auf der Torhüter- und Angriffsposition scheint der Bedarf am geringsten. Ernst hält souverän und Gersbeck wäre im Notfall nicht schlechter.

Tabakovic, Niederlechner, Prevljak und vor allem Reese sowie Winkler, Scherhant und Christensen spielen in verschiedenen Zusammensetzungen erfolgreich zusammen.

Kenny hat sich auf der rechten Verteidigerposition großartig entwickelt, schießt Tore, spielt tödliche Steilpässe, hat aber Defizite im Defensivverhalten. Ebenso links haben sowohl Zeefuik als auch Karbownik ihre Schwächen. Beide sind offensiver besser aufgehoben. In der Innenverteidigung gibt es neben Kempf und Leistner noch Marton Dardai und Linus Gechter, die den Berliner Weg bestens verkörpern. Und mit Eitschberger ist ein weiteres Berliner Talent, das schon Bundesligaerfahrung hat, ausgeliehen, um Spielpraxis zu sammeln.

Den größten Leistungssprung hat wohl Klemens auf der Sechs gemacht, der wie ein Alter spielt und trotz seiner Krämpfe in der Verlängerung einen Elfmeter sicher versenkt, was nach einer solchen Beeinträchtigung selten klappt. Und wer es sich leisten kann, einen Hussein und Bouchalakis auf der Bank zu lassen, hat auch im Mittelfeld nur wenige Probleme.

Fazit: Dringender Bedarf für Transfers besteht in der Winterpause nicht. Wenn man Jungnationalspieler Maolida (zwei Tore für die Komoren!) noch verhökern könnte (statt Ablöse zu kassieren könnte man einem aufnehmenden Verein noch ein Wechselgeld spendieren, wenn man den laut Dardai „faulsten Spieler“ endlich von der Gehaltsliste streichen könnte), wäre alles gut. Der Kader kann, wenn er weiter zusammenbleibt, spätestens in der nächsten Saison um den Aufstieg mitspielen. Ob in dieser Saison bei momentan sieben Punkten Rückstand noch etwas geht, steht in den Sternen. Aber wenn Hertha den jetzigen Dritten, den HSV, vom Relegationsplatz verdrängte, wären die Hamburger wieder einmal dort, wo sie sich eigentlich immer wohlgefühlt haben: Auf dem tragischen vierten Tabellenplatz…

Wenn das mal gutgeht…

Am Sonntag gibt es eine Premiere im Olympiastadion: Zum ersten Mal in der mittlerweile 131-jährigen Geschichte von Hertha BSC gibt es ein Spiel gegen die SV Elversberg. Der 10 km von Saarbrücken und 5 km von Neunkirchen, den beiden traditionsreichen Bundesligastandorten des Saarlands entfernte Ort, ist neu auf der Landkarte des Profisports. Und die Sportvereinigung macht es bisher richtig gut: Der 6. Tabellenplatz mit 24 Punkten ist sicher mehr, als sich die meisten Anhänger erträumt hatten. Pal Dardai wäre froh, wenn seine Mannschaft einen auch nur ähnlichen Punktestand vorweisen könnte. Da Elversberg besonders auswärts mit vier Siegen, zwei Unentschieden und nur einer Niederlage überragend performt hat, dürfte das Spiel von Hertha alles andere als ein Selbstläufer werden. Natürlich: Irgendwann wird die Erfolgsserie des Aufsteigers höchstwahrscheinlich abreißen. Aber ob das gegen Hertha oder erst im Frühjahr oder erst in drei Jahren der Fall sein wird, muss vorerst offen bleiben. Herthas Offensive hat bisher ihre Arbeit gemacht, im Mittelfeld und besonders der Abwehr gibt es noch Nachholbedarf. Gegen eine so gut organisierte Mannschaft wie Elversberg dürfte sich Hertha schwer tun, auch wenn Pal Dardais Truppe seit der Niederlage in Nürnberg seit fünf Spielen (einschließlich Pokal) nicht mehr verloren hat. Trotzdem hinkt die Mannschaft mit zwei Punkten (nach Dardai) bzw. mit 10 Punkten (sicherer Aufstieg mit 66 Punkten am Saisonende) dem Soll hinterher. Abwarten, wie es in der Tiefkühltruhe Olympiastadion am Sonntag endet. Klar ist: Ein „großer“ Name hat noch nie ein Spiel gewonnen. Ein Sieg wäre aber vor dem schweren Auswärtsspiel in Kaiserslautern und nach den verschenkten Punkten in Hannover und gegen Karlsruhe extrem wichtig, wenn es vor Weihnachten noch den Blick auf „etwas Schönes“, wie Pal Dardai immer wieder sagt, weil er das Wort „Aufstiegschance“ nicht in den Mund nehmen will, geben kann…

P.S.: In einer virtuellen „Erste-Halbzeit-Tabelle“ steht Hertha auf einem Aufstiegsplatz. Nach der Pause verlor Hertha 12 Punkte gegen Düsseldorf, Wiesbaden, Magdeburg, Nürnberg, Karlsruhe und Hannover. Fazit: Ein Spiel dauert 90 Minuten (und mit Nachspielzeiten meistens sogar 100)…

Trainer – der überschätzte Beruf

In der Steinzeit des Fußballspiels gab es keine Trainer. Die deutsche Nationalmannschaft hatte bis in die Zwanzigerjahre keinen Trainer, die Mannschaft wurde vom Verband berufen und aufgestellt. Später kamen Otto Nerz, Sepp Herberger und wie sie bis zu Julian Nagelsmanns Inthronisierung alle hießen.

Wenn die Mannschaft zwei Spiele nachdem ein neuer Trainer das Amt angetreten hat im alten Schlendrian spielt und gegen die Türkei und Österreich verliert (Bilanz gegen die Türkei bis dato 14 Siege – 4 Unentschieden – 3 Niederlagen und gegen Österreich 25 Siege – 6 Unentschieden – 9 Niederlagen) dann bedeutet das nur, dass die Tätigkeit des Trainers im Allgemeinen maßlos überschätzt wird. Es gibt natürlich die tägliche Arbeit auf und neben dem Fußballplatz. Die wird aber heutzutage von einem Team von Co-Trainern, jeweils speziell für Torhüter, Abwehr und Angriff, Physiotherapeuten, Sportmedizinern, Athletik- und Fitnesstrainern, Köchen und Ernährungsberatern sowie Sportpsychologen durchgeführt. Der Trainer ist nur noch die letzte Instanz, verantwortlich für die Aufstellung und die Motivation, falls diese wegen des in Aussicht stehenden Millionenverdiensts im Erfolgsfalle überhaupt nötig ist.

Wenn Spieler nicht motiviert sind, wie das bei den Länderspielen oftmals der Fall ist und immer schon war (Herberger: 1:2 gegen die Türkei, Schön: 0:1 gegen die DDR, Derwall: Algerien 1:2, Klinsmann: 1:4 gegen Italien, Völler: Island 0:0, Löw: Spanien 0:6, Flick: Japan 1:4, Nagelsmann: s.o.), kann sich der Trainer abmühen wie er will: Er erreicht die „Seelen“ der Spieler nicht, zumindest nicht immer. Deshalb sollte man auch mit dem Jammern über den Niedergang des deutschen Fußballs aufhören: Gute Spieler gibt es nach wie vor, auch wenn auf bestimmten Positionen derzeit ein gewisser Nachholbedarf zu bestehen scheint. Außenverteidiger, Innenverteidiger und Mittelstürmer sind etwas knapp besetzt. Trotzdem ist die Qualität der Einzelspieler ausreichend, um bei jedem Turnier zumindest das Viertelfinale zu erreichen. Und ab dem Halbfinale ist sowieso alles Lotterie. Also: Panik im Hinblick auf die EM ist unangebracht, vielleicht gibt es nächstes Jahr die eine oder andere positive Überraschung.

Überraschend kam das Aus für Unions Urs Fischer nicht. Das Dumme nach der Trennung von einem Übungsleiter ist, dass man meist in absehbarer Zeit einen Nachfolger finden muss. Mit Hilfe der allgegenwärtigen Künstlichen Intelligenz (oder einer handschriftlichen Liste) kann man die möglichen Kandidaten, also die arbeitslosen, bei anderen Vereinen wegen Erfolglosigkeit entlassenen Sportkameraden, schnell bestimmen. Die Liste ist natürlich global angelegt, das Sprachproblem wird seit Trappatonis Wirken sowieso als sekundär angesehen. Unions suchen in Spanien und anderswo wird früher oder später zum Erfolg führen. Ob die Ära Unions als Erfolgsmodell weitergeführt werden kann, wird sich zeigen. Sieben Punkte nach zwölf Spielen sind wenig. 33 Punkte aus noch 22 Spielen, bis zum Erreichen der legendären 40-Punkte-Marke, sind viel. 11 Siege müssten her. Eine Relegation gegen Hertha scheint nicht ausgeschlossen, wenn die Blauweißen in der Rückrunde durchstarten…

Letzter Gedanke zum Thema Trainer: Sebastian Hoeneß rettete Stuttgart in der vorigen Saison vor dem Abstieg. In dieser Saison führt er sie momentan auf einen Championsleague-Platz. Ich könnte mir gut vorstellen, dass nach einem erfolgten Einbruch der Ergebnisse in der Rückrunde (Hoeneß ist schließlich gelernter Herthaner) eine Entlassung „unvermeidlich“ sein könnte…

Union – der etwas andere Verein

Das muss man ja zugeben: Die Unioner haben Nerven. Obwohl der Fußballweise Pal Dardai sagte, dass man nach fünf Niederlagen als Trainer „weg“ ist, hielt die Union-Führung durch und entließ Urs Fischer, den Erfolgstrainer, erst nach mehr als einem Dutzend Niederlagen in Folge. Spät, sehr spät, greifen also auch hier die Mechanismen des Geschäfts. Insofern ist Union auf dem Boden der Tatsachen angekommen und ist nur noch ein „etwas“ anderer Verein. Dass man notfalls mit Gentleman Fischer auch absteigen würde, wie es vor Jahren der SC Freiburg mit Christian Streich vormachte, um gestärkt wieder zurückzukommen: Soweit geht das Anderssein denn doch nicht. Auf der einen Seite verständlich, andererseits wäre es aus Union-Sicht schön gewesen, wenn man nicht nur im Erfolgsfall, also in den letzten fünf Jahren, das Mantra des stolzen Underdogs, der alles viel besser und menschlicher macht als die Konkurrenz (vor allem aus der eigenen Stadt) vor sich hertrüge, sondern auch wenn es wirklich wehtut, zu seinen Werten zu stehen.

Das ist also mit Urs Fischers Entlassung, die natürlich unter Freunden im gegenseitigen Einvernehmen, einige Tränen verdrückend, ablief, Schnee von gestern. Und so richtig verwundert es einen auch nicht. Denn so viel anders als andere Vereine (abgesehen von der überragenden Unterstützung durch die Fans, obwohl auch die nach dem 0:4 gegen Leverkusen laut Berichten merklich zurückhaltender war) war und ist Union nicht, da kann man sich so volksnah geben wie man will. Spieler wurden vor jeder Saison im Dutzend verpflichtet und abgegeben, der Etat wuchs auf 150 Millionen Euro jährlich an, der Kader ist mittlerweile extrem teuer und auch bei Union wimmelt es natürlich von Spieler-Millionären. Man kann nur hoffen, dass Union den Fehler eines anderen Berliner Vereins nicht wiederholt, und im Falle eines denkbaren Abstiegs Schulden wegen eines nicht mehr finanzierbaren Spielerkaders anhäuft. Noch macht man Überschüsse, aber das kann sich schnell ändern.

Mal sehen, wohin die Union-Reise geht. Der neue Trainer muss aus den Spielern wieder eine „Mannschaft“ machen, denn gute Einzelspieler sind nun mal keine Garantie für Erfolge. Keine Ahnung, wer auf dem Trainer-Markt verfügbar ist. Aber bisher hatte Union auch bei der Trainerwahl meist ein glückliches Händchen. Ein gewisser Joachim Löw soll ja gerade ohne Job sein…

Dardais Geheimrechnung

Auf der Pressekonferenz nach dem enttäuschenden Unentschieden gegen den Karlsruher SC sagte Dardai, dass seine Mannschaft jetzt bei „minus zwei“ angelangt sei. Was sich wie eine Wasserstandsmeldung anhört, soll den geplanten Punktestand nach der 13. Runde darstellen. Abgesehen davon, dass man Punkte nicht „planen“ kann, versucht natürlich jeder Trainer, Spieler oder Fan vor der Saison auszurechnen, wie viele Punkte man für welches Ziel erreichen muss und plant z.B. in der 1. Liga gegen Bayern München sinnvollerweise zwei Niederlagen ein. Wenn es besser kommen sollte: schön und gut, schlechter als zweimal null Punkte kann es zum Glück nicht werden.

Was will Dardai, wenn er von minus zwei redet? Hertha hat jetzt 17 Punkte. Zwei Punkte mehr wären also 19 und wenn Dardai in den restlichen vier Spielen bis zur Winterpause Siege gegen Elversberg und Osnabrück sowie ein Unentschieden gegen Hannover oder Kaiserslautern eingeplant hat, also sieben Punkte, käme man auf 26 Punkte in der Hinrunde. Würde die Rückrunde genauso laufen, hätte Hertha am Saisonende 52 Punkte, bei etwas gefestigterer und eingespielterer Mannschaft möglicherweise 56 Punkte. Damit hätte man in früheren Jahren manchmal den Relegationsplatz drei erreicht. Das scheint also das Geheimziel des Trainers zu sein, der das Wort Aufstieg sinnvollerweise meidet und stattdessen von „etwas Schönem“ spricht, das möglich sein könnte.

Was wir schon immer wussten: Kluger Mann, dieser Dardai. Er nimmt den Druck von seinen und seiner Mannschaft Schultern, schließt aber insgeheim einen unerwarteten Erfolg (obere Tabellenhälfte, oberes Tabellendrittel, Relegationsplatz 3 oder gar direkter Aufstiegsplatz 2) nicht aus. Wenn da bloß nicht der Dardaische Rückrundenfluch wäre: In der ersten Liga holte das Team unter Trainer Dardai in der Rückrunde stets (teilweise deutlich) weniger Punkte als in der Hinrunde. Aber vielleicht ist diesmal ja alles anders…

Konstant inkonstant

Und wieder wurde (in Nürnberg) ein Sieg verspielt und wieder wurde das folgende Heimspiel (gegen Paderborn) gewonnen, wenn auch viele Werte gegen einen Sieg sprachen. 28 % Ballbesitz in einem gewonnenen Spiel sind zwar eigentlich kaum glaublich, zeugen aber auch von der hervorragenden Effizienz Herthas in dieser Zweitligasaison. Auf Dauer kann es natürlich nicht gutgehen, dass man dem Gegner, sei es mit Absicht oder aus anderen Gründen, das Spielgeschehen überlässt und selber nur reagiert. In Nürnberg ging es nicht gut. Gegen Paderborn hat man das Glück der Unfähigkeit des Gegners, gepaart mit der (Zweitliga-) Genialität des Duos Reese/Tabakovic, gehabt. Was vor allem Reese in den ersten zwanzig Minuten auf den Rasen zauberte, würde das Prädikat „Weltklasse“ verdienen, wenn es erstklassige Gegenspieler gegeben hätte. Unglaublich wie Reese, als ihn vier Paderborner umringten, den Ball über diese Meute wie einst Franz Beckenbauer hinweglupfte. Das sieht man selten und deshalb hat sich Reese schon nach wenigen Wochen den Titel „Lieblingsspieler“ redlich verdient.

Am Mittwochabend gegen Mainz im Pokal kann schon wieder alles ganz anders aussehen. Wenn die Abwehr wieder so wackelig agiert, ist nicht zu erwarten, dass die Mainzer ihre Chancen wie die Paderborner gleich reihenweise verdaddeln. Gegen einen Hertha-Sieg spricht auch die Tatsache, dass Mainz als Tabellenletzter ins Olympiastadion kommt. Gegen Tabellenletzte hat Hertha schon oft und gerne verloren. Im Gegneraufbauen verdient sich Hertha schon seit jeher jede Fairnessmedaille. Diesmal ist Mainz als Bundesligaverein natürlicherweise Favorit. Dazu kommt Herthas Pokalneurose, die ein Weiterkommen fast ausschließt, was die Reiseplanung für das Jahr 2024 allerdings erheblich erleichtert, da man sich den 25. Mai nicht freihalten muss. Ein Weiterkommen im Pokal, gar ins Finale, wie Trainer Dardai schmunzelnd in der Pressekonferenz äußerte, ist etwa so wahrscheinlich wie die Konstellation am Ende der Saison, dass die Relegation zwischen Union und Hertha ausgespielt werden wird…

Herthas interessante Pokalgeschichte seit Bundesligastart im Jahre 1963:

2 x Nicht teilgenommen

14 x 1. Runde ausgeschieden

17 x 2. Runde ausgeschieden

13 x 3. Runde ausgeschieden (wobei die 3. Runde meist 16 (= Achtelfinale), manchmal 32 und selten sogar nur 8 teilnehmende Mannschaften bedeutete, je nachdem ob 64, 32 oder 128 Mannschaften begannen)

9 x Viertelfinale

3 x Halbfinale

2 x Finale (1977 und 1979). Unvergessen natürlich die Hertha-Bubis 1993.

Rein statistisch ist ein Ausscheiden in der 2. Pokalrunde also die wahrscheinlichste aller Möglichkeiten…

Der neue Nagelsmann-Besen

“Neue Besen kehren gut” ist ein bekanntes Sprichwort, das ich mir mal zu Herzen nehmen müsste, wenn ich auf das verfilzte Etwas von Besen in unserer Kammer sehe. Dass auch neue Trainer „gut kehren“, das heißt, einen Aufbruch bewirken können, ist statistisch, was die Bundesliga angeht, längst widerlegt worden. Kurzfristig vielleicht, aber mittel- und langfristig gibt es nur in Ausnahmefällen einen Turnaround (Lucien Favre war so ein Trainer, der auch langfristig völlig Neues schaffen konnte), weil die Spieler, die auf dem Rasen stehen, ja die selben sind.

Womit wir beim Thema Nationalmannschaft wären: Ein Süle ist kein Außenverteidiger, ein Gosens hat, bei aller Offensivpower, die er an guten Tagen einbringt, defensive Schwächen. Um die Hauptbaustellen nur kurz anzureißen. Und was man mit einem Kimmich und einem Neuer machen soll, wenn sie gesundheitlich wieder zur Verfügung stehen, bleibt rätselhaft.

Insgesamt hat sich die Nationalmannschaft auf ihrer USA-Reise gut geschlagen. Der Einsatz stimmte, die Spiele waren temporeich und es wurden ausreichend Torchancen kreiert. Denn es ist ja nicht so, wie einige Spieler, z.B. Kapitän Gündogan, nach der vernichtenden Niederlage gegen Fußballgroßmacht Japan in falscher Demut andeuteten, dass deutschen Spielern die Qualität fehle. Die Qualität, vor allem im Mittelfeld (Gündogan, Kimmich, Groß, Goretzka, Wirtz, Brandt…) und im Angriff (Füllkrug, Sané, Musiala…) ist natürlich da, sie muss nur auf den Platz gebracht werden. Und das wird in Zukunft, wenn der erste Neuer-Trainer-Effekt verraucht ist, nicht immer geschehen, wie auch in den letzten Jahren nach der WM in Brasilien. Und wie übrigens auch in früheren Jahrzehnten. Auch Herberger wurde stark kritisiert, als es nach der WM 1954 Niederlagen in Serie gab. Helmut Schön musste sogar beim WM-Gewinn 1974 viel Schelte einstecken, und auch unter allen folgenden Trainern (Derwall, Vogts, Beckenbauer, Ribbeck, Völler, Klinsmann und Löw) gab es stets Phasen, in denen das Spiel unansehnlich war. Zu Heute ( seit der Russland-WM) gab es einen Unterschied: Die Ergebnisse stimmten meist und bis auf 1978, wo man knapp am Spiel um den dritten Platz vorbeischrammte (Krankl sei Dank) war man bei Welt- und Europameisterschaften regelmäßig zumindest im Viertel- oder Halbfinale vertreten.

Ob das bei der Heim-EM 2024 unter Trainer Nagelsmann auch wieder so sein wird, ist fraglich. Ein erster Schritt in diese Richtung wurde jedenfalls getan. Ob das alles nachhaltig sein wird, werden wir in ca. neun Monaten wissen…