Herthas Bundesliga-Jahrzehnte

Sechzig satte Jahre ist es her, dass die Bundesliga in ihre erste Saison ging. Bayern München hat seither 58 Jahre im Oberhaus bestritten. Nur 58, weil sie im ersten Jahr 1860 München den Vortritt lassen mussten und im zweiten Jahr in der Aufstiegsrunde an ihrer Arroganz gescheitert sind, und, schon scheinbar in der Liga angekommen, sich von Tasmania Berlin mit 3:0 das Fell über die Ohren ziehen ließen.

Ebenso war Werder Bremen 58 Jahre dabei, während es die gute alte Tante Hertha auf 40 Erstligajahre brachte. Das ergibt einen schönen 12 Platz in der ewigen Tabelle, bedeutet aber auch, dass der geplagte Hertha-Anhänger 20 Jahre in den Niederungen der Zweit- oder gar Drittklassigkeit durchhalten musste. Auffällig ist, dass es Hertha nie schaffte, „endgültig“ in der Liga zu bleiben, sondern nach 12 Jahren (1968 – 1980), 13 Jahren (1997 – 2010) oder 10 Jahren (2013 – 2023) die Liga in Richtung Süden verlassen musste. Letztgenannte Zahl ist zwar streng wissenschaftlich noch nicht gesichert, kann aber als gegeben vorausgesetzt werden.

Nachdem Hertha in den beiden ersten Bundesliga-Jahren den Abstieg vermeiden konnte und Strafversetzt wurde, verbrachte man 18 Jahre in der zweiten Liga, die zuerst Regionalliga Berlin hieß (1965 – 1968), dann 2. Liga Nord (1980 /81), (Eingleisige) 2. Liga (1981/82, 1983 – 1986, 1988 – 1990, 1991 – 1997, 2010/11 und 2012/13) und sogar zwei Jahre in der dritten Spielklasse (Amateuroberliga Berlin) 1986 – 1988. Dazwischen gab es immer wieder einjährige, äußerst frustrierende Gastspiele im Oberhaus.

Ein Auf und Ab, dass dem Charakter des Vereins, nie zur Ruhe zu kommen, voll und ganz entspricht. Und wenn man sich konsolidiert hatte (Champions-League-Teilnahme!!!) gab es mit Sicherheit interne Querelen oder finanzielle Wahnsinnsaktionen, die im Nachklang zu Sparzwängen, Spielerverkäufen und Leistungsabfall führten.

Und als man im Geld schwamm, nachdem Windhorst 375 Millionen in den Verein pumpte, vervielfachte man die Fehler und verbrannte das Geld, um hinterher wieder als arme Kirchenmaus dazustehen.

Wie viel einfacher wäre doch das Leben, wenn man Bayern-München-Anhänger wäre. Aber allein der Gedanke daran, lässt einen erschauern. Dann doch lieber Herthaner…

Zwei Spiele – Zwei Siege

Die auf der Reise in der Papenburger Kirche entzündete Kerze, verbunden mit der Bitte um göttlichen Beistand im Spiel gegen Köln, hat sich als katastrophaler Fehlschlag erwiesen. Pal Dardais Parole „Vier Spiele – Vier Siege“ ist nach dem zweiten Versuch nichts als Makulatur. Die neue Devise kann also nur noch „Zwei Spiel – Zwei Siege“ lauten, auch wenn die Wahrscheinlichkeit, ob ihre Erfüllung reichen würde, gegen Null strebt.

Es gibt noch acht Spiele, die für den Tabellenkeller relevant sind:

Stuttgart – Leverkusen

Schalke – Frankfurt

Hertha – Bochum

Mainz – Stuttgart

Wolfsburg – Hertha

Bochum – Leverkusen

Stuttgart – Hoffenheim

Leipzig – Schalke

Voraussetzung für ein Erreichen der Relegation oder gar des 15. Platzes wäre, dass Hertha beide Spiele gewönne und dann 31 Punkte hätte. Stuttgart dürfte dann nur noch zwei Punkte (aus drei Spielen) holen, da sie das klar bessere und nicht aufholbare Torverhältnis gegenüber Hertha haben (-15 zu -28). Schalke dürfte noch einen Punkt und Bochum gar keinen Punkt mehr holen, wären dann auch bei 31 Punkten, Hertha hat aber mit Sicherheit das bessere Torverhältnis (momentan: Schalke -34 und Bochum -35).

Leverkusen muss also Stuttgart und Bochum schlagen (erscheint möglich), Bochum müsste bei Hertha (sowieso) und gegen Leverkusen (siehe oben) verlieren (nicht unmöglich) und Schalke kann durchaus in Leipzig verlieren und die launische Diva aus Frankfurt müsste endlich mal wieder (gegen Schalke) gewinnen. Auch das ist nicht ausgeschlossen. Wenn Stuttgart noch in den Derbys gegen Mainz und Hoffenheim verlöre, wäre Hertha gerettet.

Aber dass ALLE acht Spiele wie von Zecke Neuendorf gemalt ausgehen, erscheint so unglaubwürdig, wie ein ausgeglichener Hertha-Haushalt im nächsten Jahr. Apropos: Selbst wenn der Fußball-Gott doch noch ein Einsehen hat, und alle Spiele „korrekt“ enden, ist die Lizenz für die 1. Bundesliga wegen der desaströsen Finanzlage bei Hertha noch längst nicht in trockenen Tüchern…

Zahlen lügen doch!

Es ist unfassbar, wie dreist Zahlen lügen können: Im Spiel gegen Werder Bremen, das Hertha sang- und klanglos mit 2:4 verloren hat (es hätte auch deutlich negativer ausgehen können, andererseits wäre auch ein Unentschieden möglich gewesen, wenn Rogel und Christensen nicht das Kacktor zum 0:4 zelebriert hätten) war Hertha in allen zahlenmäßig darstellbaren Belangen überlegen. Und das völlig entgegen dem optischen Eindruck im Stadion. Beispiele gefällig?

Ballbesitz 54 %: 46 %,

Zweikampfverhalten: 54 % : 46 %,

Torschüsse: 14 : 13,

Laufleistung: 114,5 km : 112,4 km,

Passquote: 78 % – 71 %,

gespielte Pässe: 432 : 366,

angekommene Pässe: 335 : 260,

Eckbälle: 8 : 4

Dass man mit diesen Daten ein Spiel nicht gewinnt, ist unglaublich, zeigt andererseits genau Herthas Probleme zumindest seit der Winterpause auf: Individuelle Aussetzer führen regelmäßig zu gegnerischen Toren, völlig unabhängig vom sonstigen Spielverlauf. Bleiben diese Fehler sonderbarer Weise mal aus, wie z.B. in Freiburg, ist Hertha sofort erfolgreich. Gegen Leipzig reichte ein einziger Fehler (vom Torwart), um ein ordentliches Spiel als Verlierer zu beenden.

Ein Klassenerhalt von Hertha käme einem mittleren Fußballwunder gleich. Seit es die 3-Punkte-Regel gibt, seit 1996, reichten für den Relegationsplatz (und um nichts anderes kann es mehr gehen) zwischen 22 und 37 Punkten. Genau aufgeschlüsselt: 1×22, 1×27, 2×29, 4×30, 8×31, 2×32, 3×33, 1×34, 3×35, 1×36, 1×37 Punkte hätten jeweils für das Erreichen des 16. Tabellenplatzes ausgereicht. Das ergibt einen Durchschnitt von 31,48 Punkten, und genauso wird es höchstwahrscheinlich auch in dieser Saison sein, auch wenn es sich nur um eine kleine mathematische Spielerei handelt.

Um auf 31 Punkte zu kommen müsste Hertha die beiden Heimspiele gegen Stuttgart und Bochum gewinnen und auswärts in Köln oder Wolfsburg einen Dreier mitnehmen. Von einer Sensation in München auch nur zu träumen verbietet sich, gerade angesichts der momentanen Münchener Wut, von selbst, eine knappe Niederlage wäre schon ein Gewinn!

Ist das alles möglich? Natürlich!

Ist das alles realistisch? Natürlich nicht!!!

“Fußball ist ein Fehlerspiel”

Dass Fußball ein Fehlerspiel sei, sagte der Trainer des HSV, Tim Walter, nachdem seine Mannschaft gemeiner Weise mit 0:2 verloren hatte und auf den ach so beliebten Relegationsplatz 3 zurückfiel.

Wenn dem so ist, müsste Hertha BSC eigentlich Meister werden, da die blauweißen das Fehlermachen so gut beherrschen, wie keine andere Mannschaft der Bundesliga. Auf Schalke haben sie sich dabei noch übertroffen: Die Fehler im Abwehrverhalten, beim einfachen Passspiel ohne Bedrängnis, im Spielaufbau, bei der Ausführung von Standardsituationen (selbst von Einwürfen!) und auch beim Versuch, das Tor zu treffen, waren so unglaublich überzeugend, dass selbst ein vormaliger Tabellenletzter nicht anders konnte, als fünf Tore zu erzielen. Dass Hertha trotz des teilweise desolaten Auftretens zumindest in der ersten Halbzeit auch hätte führen können (zwei Pfostentreffer von Jovetic), sagt eigentlich alles über Schalkes (Nicht-)Stärke. In der zweiten Hälfte, in der die Mängel einfach überhand nahmen, ging dann kaum noch etwas, wobei man den meisten Spielern mangelnden Willen und Einsatz nicht absprechen möchte. Ein nimmermüder Kämpfer wie Richter, der ausschließlich Fehlpässe produzierte, versuchte viel, erzielte auch ein Tor und ging blutend mit unter. Apropos Blut. Warum Schiedsrichter Dr. Brych den Schalker Spieler, der nach dem 2:4 Richter einen Cut verpasste, nach dem auch ein Schwergewichts-Boxkampf abgebrochen worden wäre, nicht vom Platz stellte, ja sich nicht einmal entblödete die Situation nachzuvollziehen (es soll die Möglichkeit einer Videoüberprüfung geben!) kann nur als absichtliche Benachteiligung interpretiert werden. Dass zwei Minuten später ein Schalker Spieler dem am Boden liegenden Lukebakio direkt vor dem 4.Offiziellen mit dem Knie im Gesicht traf, ohne Gelb oder Rot zu erhalten, passt in dieses Bild. Es hätte ja in den (mit Nachspielzeit) verbleibenden fast 15 Minuten noch etwas passieren können, nämlich dass Hertha trotz unterirdischer Teilleistungen einen Punkt aus Gelsenkirchen mitnimmt. Da sei Dr. Brych vor!

Und jetzt ist an allem mal wieder der Trainer Schuld? Sandro Schwarz hatte Hertha in der Hinrunde nach (gefühlt) langen Jahren so etwas wie Spielkultur beigebracht. Außer dem Spiel gegen Union gab es bis zur Katar-Pause nur gute bis sehr gute Auftritte, auch auswärts, mit einem Manko: Es wurden zu wenig Punkte gesammelt. Ob der Schiedsrichter Schuld war (Handspiel von Leverkusen auf der Torlinie nicht geahndet = zwei Punkte weg), Unkonzentriertheit dazu kam (in Stuttgart und Mainz in der Nachspielzeit Tore zu Niederlage bzw. Unentschieden kassiert = 3 Punkte weg) oder Pech (Nachspielzeit in Leipzig: Pfostenschuss = 1 Punkt weg) und, und und…: Viele Punkte wurden verschenkt oder gestohlen. Und nach der WM-Pause? Alles wie nie dagewesen: Schwankende Leistungen und ganz wenige Erfolgserlebnisse. Der Trainer erreicht die Mannschaft nicht mehr? Kann sein, wir stecken nicht drin. Schuld ist er an den oben beschriebenen individuellen Aussetzern jedenfalls nicht. Schade. Vielleicht hätte man sich ein Beispiel an Freiburg nehmen und mit Schwarz in die Zweite Liga gehen sollen. Aber das ist wohl nur in Freiburg möglich.

Nun also der ewige Pal. Aber ob er in sechs Spielen das Abwehrverhalten einiger Akteure wirklich verändern kann? Da sind Zweifel angebracht. Ein richtiger Schritt auf dem langen „Berliner Weg“, der ja alle nur erdenkliche Unterstützung verdient, ist es allemal…

Entscheidung erst am letzten Spieltag

Nein, die Bayern sind dieses Jahr noch nicht vor Ostern zum Meister gekürt worden. Das wird wahrscheinlich relativ eng bleiben zwischen Bayern und den Dortmundern, aber so richtig spannend ist es für den Rest der Welt auch nicht.

Der Abstiegskampf hingegen könnte einer der aufregendsten in der Geschichte der Bundesliga werden. Natürlich wurde schon öfter der Abstieg durch ein Tor, teilweise in allerletzter Minute entschieden. Auch bei Herthas vorletztem Abstieg 2010 stand das Aus in der „Aufholjäger“-Rückrunde erst am vorletzten Spieltag nach einem Unentschieden in Leverkusen fest, als Jupp Heynkes den Berlinern eine europapokalreife Leistung attestierte.

Nach Sicht der Dinge sind noch einige Mannschaften am Abstiegsdrama beteiligt. In erster Linie Stuttgart, Schalke und Hertha, in scheinbarer Sicherheit Bochum sowie Hoffenheim und Augsburg. Bochum liegt drei Punkte vor dem Relegationsplatz, die sind aber nach zwei Niederlagen schnell in drei Punkte Rückstand verwandelt. Wer am Ende die besseren Nerven hat, wird sich erst Ende Mai gezeigt haben. Für Hertha ist sicher: Wenn man am letzten Spieltag nicht von einem Sieg in Wolfsburg abhängig sein will, muss man vier Punkte Rückstand auf (nach jetzigem Stand) Bochum in vier Punkte Vorsprung verwandeln. Eventuell drei Punkte wegen des besseren Torverhältnisses. D.h., ein Sieg gegen Bochum am vorletzten Spieltag und vorher vier Punkte in fünf Spielen aufholen. Nicht unmöglich, aber ein Sieg am Freitagabend in Gelsenkirchen gehört zwingend dazu. Bochum und Gelsenkirchen hatten ihre niederschlagslosen Serien, vielleicht haben sie ihr Pulver zu früh verschossen. Und Stuttgart? Der Wechsel zu Hoeneß könnte sich als Rettung erweisen, aber Hertha hat mit einem Heimspiel gegen Stuttgart alles in der Hand! Und vielleicht fällt das Siegtor gegen die Schwaben ja auch erst in der 97. Minute, wie im Hinspiel. Nur dass damals die Stuttgarter trafen. Und diesmal müssten es die blauweißen sein…

Kippt die Horror-Bilanz?

Da kann einem ja Angst und Bange werden: Wie Leipzig gestern im DFB-Pokal-Viertelfinale Borussia Dortmund in der ersten Halbzeit an die Wand gespielt hat (und Dortmund ist ja auch eine Spitzenmannschaft, steht in Europa in den TOP 20), war schon mehr als beeindruckend. Und wenn man sich dann die fehleranfällige Hertha-Hintermannschaft vorstellt, kann man sich nicht vorstellen, dass ein Punktgewinn auch nur ansatzweise in Sichtweite ist.

Aber es geht ja um Fußball!

Die Statistik lehrt uns, dass Hertha zuhause von Leipzig immer verdroschen wird.

Die Ergebnisse lauteten in chronologischer Reihenfolge 1:4, 2:6, 0:3, 2:4, 0:3 und 1:6. Nicht mal gegen die Bayern hat Hertha eine derart vernichtende Bilanz.

Was gibt dennoch Anlass zu Optimismus?

Eigentlich nichts, außer, dass Leipzig vielleicht etwas müde vom Pokalspiel ist. Obwohl man hoch überlegen war und es leider keine Verlängerung gab, hat man ja ein paar Körner auf dem Platz gelassen. 68 Stunden Zwischenzeit nach dem Pokalsieg reichen hoffentlich nicht zur vollständigen Regeneration. Zumal es möglich sein könnte, dass der eine oder andere undisziplinierte Spieler nach dem Sieg gegen Dortmund den Elektrolytspeicher nicht nur mit Brause aufgefüllt haben könnte.

Ein zweiter Hoffnungsschimmer könnte im Hertha-Spiel gegen Freiburg begründet sein. Eine geschlossene („kompakte“, wie es neuerdings heißt) Mannschaftsleistung hat zu einem Unentschieden bei einem Verein geführt, der in der Tabelle ja vor Leipzig liegt. Warum dieses Kunststück nicht nochmal wiederholen?

Der Hauptfaktor einer Hertha-Chance dürfte aber darin liegen, dass die Leipziger Hertha ganz einfach unterschätzen, egal, wie eindringlich der Trainer genau davor warnt. Erstens der Tabellenstand, zweitens die oben genannten Ergebnisse: das bleibt im Unterbewusstsein haften.

Trotzdem ist klar: Auch nach einer wahrscheinlichen Niederlage gegen Leipzig (knapp müsste sie aber bitte sein, das Torverhältnis könnte wie im Vorjahr eine entscheidende Rolle spielen) ist Hertha noch nicht abgestiegen.

In den Spielen gegen Gelsenkirchen, Stuttgart und Bochum haben die blauweißen Spieler alles selbst in der Hand. Auch gegen Werder, Köln und Wolfsburg sind Punkte denkbar. Und sogar gegen Bayern ist in dieser Saison das Spiel erst nach dem Abpfiff entschieden… Es bleiben acht Endspiele!

Schon wieder ein Endspiel

Hertha stand zwischen 1926 und 1931 sechsmal hintereinander im Endspiel um die Deutsche Fußballmeisterschaft. 1977 und 1979 stand Hertha im Finale um den DFB-Pokal, was viele spätgeborene Ultras wahrscheinlich gar nicht glauben. 1993 haben es die Hertha-Bubis auch ins Endspiel geschafft, aber seitdem ist Pause mit den Endspielen, wenn man von den drei Finalteilnahmen im wichtigen Ligapokal 2000, 2001 und 2002 absehen will, in denen Hertha sogar zweimal durch 4:1-Siege gegen Lieblingsgegner Gelsenkirchen gewann.

Alles Schnee von gestern!

Hertha hat noch zehn Endspiele, um den möglichen, denkbaren und durchaus wahrscheinlichen Abstieg zu vermeiden. Das erste findet in Sinsheim beim Traditionsverein TSG Hoffenheim statt. Hertha hat mit vier Auswärtspünktchen die schlechteste Bilanz aller Erstligisten. Hoffenheims Heimbilanz liest sich bei sieben Niederlagen aus 12 Spielen auch nicht gerade furchterregend.

Nach den beiden verlorenen Punkten gegen Mainz muss Hertha, wenn die Klassenerhalts-Chancen nicht rapide sinken wollen, mindestens einen zurückholen. Herthas letzter Auswärtssieg in Hoffenheim mit 3:0 am 16.5.2020 liegt noch gar nicht so lange zurück. Insgesamt gewann Hertha dort dreimal, spielte zweimal Unentschieden und verlor sieben Mal. Das sollte nicht passieren. Aber wer weiß, vielleicht wendet sich das „Spielglück“ mal wieder in Richtung Hoffenheim, die ja auch seit Monaten auf einen Sieg warten. Und wenn man weiß, dass Hertha besonders gut im Aufbauen angeschlagener Gegner ist, sollte man nicht zu optimistisch sein. Alles ist möglich. Dass man verlorene Punkte in den nächsten beiden Spielen in Freiburg und zuhause gegen Leipzig holt, kann man sich nur schwer vorstellen. Aber ohne ein, zwei überraschende Ergebnisse wird Hertha die Klasse nicht halten können.

Die Ultras haben sich im Heimspiel gegen Mainz 05 per Banner gegen das „schnelle Geld“ des Investors „777 Partners“ ausgesprochen. Wenn Hertha in den letzten Jahren nicht fast 400 Millionen Euro verbrannt hätte (und der Brand ist ja noch lange nicht gelöscht), könnte man voll und ganz auf der Seite der Protestler stehen. Wenn man aber des Lesens mächtig ist und ab und an mal in Nachrichten hineinlauscht, wüsste man, dass Hertha am Ende der Saison insolvent wäre, wenn nicht frisches Geld fließen würde. Dann könnte man in einer unteren Liga bald wieder Derbys gegen Tasmania, Tennis Borussia oder Blau-Weiß 90 feiern. Allerdings nicht vor 70.000 sondern vielleicht vor 700 Zuschauern.

Und obwohl es nicht darum geht: Der „Josh“ von 777 ist zwar auch ein Geschäftsmann, als solcher aber millionenmal sympathischer und glaubwürdiger als ein gewisser L.W., der zum Glück nicht mehr Hertha-Mitglied ist…

Heimsiege oder Abstieg?

Wenn das mit dem Klassenerhalt noch klappen soll, muss Hertha alle fünf Heimspiele gewinnen, vorausgesetzt, es werden weiter alle Auswärtsspiele vergeigt. In den Spielen gegen Mainz, Leipzig, Bremen, Stuttgart und Bochum würden dann 15 Punkte gesammelt werden, was 35 Punkte in der Endabrechnung bedeuten würde. Immerhin zwei Zähler mehr als in der vorigen Saison. Ob das zum 15. (Nichtabstiegs-)Platz reichen würde, oder nur für die Relegation (oh weh!) oder gar für einen direkten Abstiegsplatz, ist aus heutiger Sicht Glaskugelseherei.

Klar ist, dass auf keinen Fall ALLE Heimspiele gewonnen werden, gegen Leipzig gab es im Gegenteil meist fünf bis sechs Gegentreffer und die Bilanz gegen Mainz lädt auch nicht gerade dazu ein, mehr als drei Euro fünfzig auf Hertha zu wetten.

In 42 Spielen ist die Bilanz mit 13 – 17 – 12 (aus Hertha-Sicht) fast ausgeglichen, zuhause gewann Hertha neunmal, spielte sechsmal Unentschieden bei 5 Niederlagen. Der letzte Hertha-Heimsieg gegen Mainz ist vier Jahre her, danach gab es zwei Niederlagen und ein Unentschieden. Bei der derzeitigen Mainzer Form (Platz 7, schon fünf Auswärtssiege!) könnte das schwer für Hertha werden.

Jeder im Olympiastadion verlorene Punkt muss auswärts wieder reingeholt werden. Dazu ist in Hoffenheim, Freiburg, Gelsenkirchen, München, Köln und Wolfsburg vielfältige Gelegenheit!

Nur: Gelegenheiten müssen auch mal beim Schopf gepackt werden. Klar bleibt: Auch mit einer Niederlage gegen Mainz ist Hertha noch nicht abgestiegen. Der Abstieg wird frühestens am 33. Spieltag entschieden, wahrscheinlich erst am allerletzten Tag, wenn alle Mannschaften gleichzeitig antreten! Nichts für schwache Nerven oder Herzen.

Kleines Schmankerl am Ende: Der „Marktwert“ der beiden Mannschaften ist mit 137,1 Millionen (Mainz) und 125,9 Millionen fast gleich. Mainz hat aber 15 Punkte mehr als Hertha erspielt. Und mit 115,4 Millionen hat Union nochmal neun Punkte mehr als Mainz…

Schönes Fazit: Geld regiert doch nicht die Welt! Zumindest nicht die Bundesligawelt. Zumindest nicht im unteren Marktniveau. Zumindest nicht bei Hertha…

Herr Bobic und das liebe Geld

Niemand hatte je die Absicht Fredi Bobic als Herthaner zu bezeichnen. Ja, er hat in den beiden Jahren zwischen 2003 und 2005 in 54 Einsätzen im blauweißen Trikot acht Tore geschossen, darunter sogar einige wichtige, die den Abstieg verhinderten. Aber die richtige Hertha-DNA, von der in letzter Zeit so häufig die Rede ist, würde man ihm schwerlich nachweisen können.

Er wurde ja auch als erfolgreicher Manager, der er bei Eintracht Frankfurt war, nach Berlin geholt, in der Hoffnung, dass er sein sprichwörtliches „Händchen“, das er dort bei einigen Transfers nachweisen konnte, auch bei Hertha unter Beweis stellen könnte.

Bobic ist krachend gescheitert.

Er versprach auf seiner Antritts-Pressekonferenz Kontinuität. Es gab in den eineinhalb Jahren seines Schaffens noch nie so viel Wechsel, sowohl im Kader des Teams, auf der Trainerseite und bei der Aufblähung des sogenannten „Stuffs“, wo jeder noch so kleine Aufgabenbereich mehrfach besetzt und fürstlich bezahlt wurde.

Zu Bobics Gunsten muss man natürlich die Zwänge erwähnen, die Vorgänger Preetz in den beiden letzten Jahren seiner Amtszeit (nach Erhalt der unseligen Windhorst-Millionen und dem gescheiterten Experiment mit Oberliga-Trainer Covic) geschaffen hatte, nämlich einen überteuerten, zusammengestoppelten Kader auszudünnen und nach vernünftigen Kriterien neu zusammenzusetzen. Aber haben Zugänge wie Lee, Maolida, Ekkelenkamp und, und, und… dazu wirklich beigetragen? Und mussten Verkäufe wie Torunarigha, Netz, die doch das Berliner Element ausmachten, wirklich sein? Wir wissen doch: Mentalität schlägt Klasse und Klasse kann sich Hertha einfach nicht leisten!

Sei`s drum. Es gibt viele Für und Wider, Argumente Pro und Kontra, aber eines bleibt:

Bobic wurde offenbar für seine Tätigkeit fürstlich bezahlt. Die 400.000 Euro, die Vorgänger Preetz anscheinend im Jahr erhielt, wurden allgemein als großzügiges Salär betrachtet, liegt es doch deutlich über den Einkünften des Bundeskanzlers. Bobic scheint jedoch, wenn man seine Forderungen, die er nach seiner Kündigung mit Hilfe des Arbeitsgerichts durchsetzen will, betrachtet, weit über eine Million im Jahr „verdient“ zu haben. Dass Hertha angesichts der klammen Kasse diese Abfindung bei schlechter Gesamtleistung seinem Angestellten Bobic nicht zahlen möchte, ist verständlich. Ob die Richter der Vereinsargumentation vom vereinsschädigenden Verhalten folgen werden, ist fraglich. Die „Bedrohung“ eines Journalisten kann als scherzhafte Floskel dargestellt werden. Größer sind schon die Chancen, die Hunderttausend Euro jährlich für seinen Freund Kruse, die er der Hertha-Ikone für eigentlich ehrenamtlich wahrzunehmende Dienste zugeschustert hat, als den Verein (objektiv finanziell) schädigend zu berücksichtigen. Wahrscheinlich wird Hertha zahlen müssen, vielleicht etwas weniger, als Bobic fordert. Na toll!

Transparenz, das modische Schlagwort, muss endlich mit Leben gefüllt werden. Wer verdient wie viel? Trainer, Helfer, Vorstände, Aufsichtsräte und sogar Spieler, obwohl das in der Branche unüblich ist (und trotzdem unter der Hand mitgeteilt wird) müssen ihre Einkünfte offenlegen, bzw., der Verein muss ermächtigt werden, diese detailliert zu veröffentlichen. Nur dann kann man das Verhältnis von Leistung und Einkünften als angemessen oder unangemessen beurteilen.

Vor dem Spiel gegen Leverkusen gilt das gleiche wie vor dem Dortmund-Spiel. Es ist definitiv etwas möglich, eine Niederlage wäre aber keine Katastrophe, wenn nächste Woche Mainz geschlagen wird. Wichtig ist im Falle einer Niederlage auch ein knappes Ergebnis. Jedes Tor kann am Saisonende zählen. Es ist und bleibt verdammt eng…

Wer wettet auf Hertha?

Kann Hertha auch in Dortmund punkten? Natürlich nicht, pflegt man automatisch zu sagen, um sich dann doch die näheren Umstände ins Bewusstsein zu rufen: Dortmund hat gerade ein extrem kräftezehrendes Champions-League-Spiel gegen Chelsea absolviert. In der zweiten Halbzeit wurde Dortmund regelrecht vorgeführt, gewann aber trotz diverser englischer Chancen. Ob die Spieler den Akku nach knapp vier Tagen wieder auf 100 Prozent aufgefüllt haben können, ist fraglich. Nun darf man besserwissend einwenden, dass gegen Hertha 85 Prozent auch für einen Sieg reichen sollten. Hätte nach dem Wolfsburg-Spiel gestimmt. Stimmt allerdings nach dem Gladbach-Spiel nicht mehr, in dem die Mannschaft alle Tugenden der Hinrunde (Rückstände drehen, kämpfen, kontern, sich als Einheit darstellen) wieder zeigte.

Wenn die Herthaner das in Dortmund wiederholen können, haben sie noch nicht verloren. Denken wir auch an das letzte Spiel der vorigen Saison, als Hertha nur knapp kurz vor Schluss durch ein Tor des gerade eingewechselten Moukoku unterlag. Moukoku ist verletzt und kann nicht eingewechselt werden! Hertha hat definitiv eine Chance auf ein Unentschieden…

P.S.: Glückwunsch an Union: Der Klassenerhalt ist geschafft. Jetzt können neue Saisonziele mutig in Angriff genommen werden, z.B. ein einstelliger Tabellenplatz!