Wie wir alle wissen ist der Berliner Weg kein Selbstzweck, sondern eine aus der Not geborene Strategie, um den Verein finanziell zu retten. Fredi Bobic verhöhnte den Fragesteller noch als vorgestrigen Romantiker, als dieser nach der Integration Berliner Talente in den Kader fragte.
Vor Gründung der Bundesliga spielten nur Berliner bei Hertha, genauso wie nur Hamburger beim HSV und Rheinländer beim 1.FC Köln spielten. Das änderte sich schnell, Hertha holte zum Bundesligastart 1963 erstmals drei „Westdeutsche“, um überhaupt ansatzweise konkurrenzfähig zu sein: Rehhagel, Klimaschewski und Rühl verstärkten das Team um die Berliner Tillich, Altendorff, Gross, Faeder etc. Der Klassenerhalt wurde so gerade als 14. von 16 Mannschaften erreicht, auch wenn für den vorentscheidenden Sieg gegen 1860 München am vorletzten Spieltag wohl 50.000 Mark an den Münchener Mittelläufer Alfons Stemmer gezahlt werden mussten.
Die Entwicklung ist bekannt: Wechsel innerhalb der Bundesliga von Stadt zu Stadt, bis zu zwei Ausländer pro Verein, später nach dem Bosman-Urteil beliebig viele Spieler aus der EU und schließlich die völlige Liberalisierung des Spielermarktes, der zwar eine Leistungssteigerung zur Folge hatte, oftmals aber auch nach 15 Spielertransfers pro Saison mit mangelnder Identifizierung der Fans mit ihrem Team einher ging.
Jetzt versucht Hertha zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Berliner Talente aus der eigenen Akademie verstärkt ins Team einzubauen spart viel Geld (Ablöse, Grundgehalt) und schafft Identität, was Kay Bernstein als einer der Ersten intensiv propagierte und konsequent durchzusetzen versuchte.
In der Abstiegssaison 22/23 wurden in der ersten Saisonhälfte mit Kevin Prince Boateng, Marton Dardai, Maximilian Mittelstädt, Derry Scherhant und Jessic Ngankam fünf Berliner eingesetzt. Allerdings kamen sie nur in 907 von 16.808 Spielminuten zum Einsatz, was bescheidene 5,4 % ausmacht.
In der zweiten Liga, nach Ausrufung des Berliner Wegs, erhöhte sich der Berliner Anteil in der Hinrunde 2023/24 auf 25 % (4.210 von 16.797 Minuten). Bence, Marton und Palko Dardai, Linus Gechter, Pascal Klemens, Robert Kwasigroch, Derry Scherhant und Marton Winkler waren die beteiligten Spieler.
Mit Trainer Christian Fiél kam nach Pal Dardai ein Trainer, der außer einer kurzen Episode in Köpenick mit Berlin nicht viel verbindet. Wie wirkt sich das auf den Berliner Weg aus? Viele Anhänger erwarteten ein Aufweichen des eingeschlagenen Kurses, aber weit gefehlt:
In der Vorrunde der laufenden Saison 2024/25 erhöhte sich der Einsatz Berliner Spieler sogar noch auf 34,6 %. Marton Dardai, Palko Dardai, Linus Gechter, Pascal Klemens, Boris Lum, Ibrahim Maza, Derry Scherhant und Marton Winkler spielten 5.830 von 16.828 Spielminuten. Zu berücksichtigen ist natürlich, dass ein gesunder Reese gesetzt wäre und Derry Scherhant sicher weniger Einsatzzeit bekommen hätte. Trotzdem scheint der Weg ganz im Sinne von Kay Bernstein und der Vernunft weiter verfolgt zu werden und nicht nur Feiertagsgequatsche zu sein.
Man wird auch in Zukunft nicht, wie in Bilbao oder San Sebastian, ausschließlich Spieler aus der Stadt oder der Region spielen lassen können. Ein Ziel von 50 % Einheimischen, die nicht eine Woche nach dem Wappenkuss den Verein verlassen, könnte Hertha aber durchaus anstreben. Als Alleinstellungsmerkmal im deutschen und internationalen Fußball wäre dies nicht nur für die Anhänger sondern auch für potentielle Werbepartner von Interesse.
Die entsprechenden Talente sind vorhanden. Berlin hat mehr Einwohner als Uruguay. Und Hertha muss ja nicht gleich an Weltmeisterschaften teilnehmen. Die Champions-League täte es ja mittel- bis langfristig auch…