Wie geht´s dem Berliner Weg?

Wie wir alle wissen ist der Berliner Weg kein Selbstzweck, sondern eine aus der Not geborene Strategie, um den Verein finanziell zu retten. Fredi Bobic verhöhnte den Fragesteller noch als vorgestrigen Romantiker, als dieser nach der Integration Berliner Talente in den Kader fragte.

Vor Gründung der Bundesliga spielten nur Berliner bei Hertha, genauso wie nur Hamburger beim HSV und Rheinländer beim 1.FC Köln spielten. Das änderte sich schnell, Hertha holte zum Bundesligastart 1963 erstmals drei „Westdeutsche“, um überhaupt ansatzweise konkurrenzfähig zu sein: Rehhagel, Klimaschewski und Rühl verstärkten das Team um die Berliner Tillich, Altendorff, Gross, Faeder etc. Der Klassenerhalt wurde so gerade als 14. von 16 Mannschaften erreicht, auch wenn für den vorentscheidenden Sieg gegen 1860 München am vorletzten Spieltag wohl 50.000 Mark an den Münchener Mittelläufer Alfons Stemmer gezahlt werden mussten.

Die Entwicklung ist bekannt: Wechsel innerhalb der Bundesliga von Stadt zu Stadt, bis zu zwei Ausländer pro Verein, später nach dem Bosman-Urteil beliebig viele Spieler aus der EU und schließlich die völlige Liberalisierung des Spielermarktes, der zwar eine Leistungssteigerung zur Folge hatte, oftmals aber auch nach 15 Spielertransfers pro Saison mit mangelnder Identifizierung der Fans mit ihrem Team einher ging.

Jetzt versucht Hertha zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Berliner Talente aus der eigenen Akademie verstärkt ins Team einzubauen spart viel Geld (Ablöse, Grundgehalt) und schafft Identität, was Kay Bernstein als einer der Ersten intensiv propagierte und konsequent durchzusetzen versuchte.

In der Abstiegssaison 22/23 wurden in der ersten Saisonhälfte mit Kevin Prince Boateng, Marton Dardai, Maximilian Mittelstädt, Derry Scherhant und Jessic Ngankam fünf Berliner eingesetzt. Allerdings kamen sie nur in 907 von 16.808 Spielminuten zum Einsatz, was bescheidene 5,4 % ausmacht.

In der zweiten Liga, nach Ausrufung des Berliner Wegs, erhöhte sich der Berliner Anteil in der Hinrunde 2023/24 auf 25 % (4.210 von 16.797 Minuten). Bence, Marton und Palko Dardai, Linus Gechter, Pascal Klemens, Robert Kwasigroch, Derry Scherhant und Marton Winkler waren die beteiligten Spieler.

Mit Trainer Christian Fiél kam nach Pal Dardai ein Trainer, der außer einer kurzen Episode in Köpenick mit Berlin nicht viel verbindet. Wie wirkt sich das auf den Berliner Weg aus? Viele Anhänger erwarteten ein Aufweichen des eingeschlagenen Kurses, aber weit gefehlt:

In der Vorrunde der laufenden Saison 2024/25 erhöhte sich der Einsatz Berliner Spieler sogar noch auf 34,6 %. Marton Dardai, Palko Dardai, Linus Gechter, Pascal Klemens, Boris Lum, Ibrahim Maza, Derry Scherhant und Marton Winkler spielten 5.830 von 16.828 Spielminuten. Zu berücksichtigen ist natürlich, dass ein gesunder Reese gesetzt wäre und Derry Scherhant sicher weniger Einsatzzeit bekommen hätte. Trotzdem scheint der Weg ganz im Sinne von Kay Bernstein und der Vernunft weiter verfolgt zu werden und nicht nur Feiertagsgequatsche zu sein.

Man wird auch in Zukunft nicht, wie in Bilbao oder San Sebastian, ausschließlich Spieler aus der Stadt oder der Region spielen lassen können. Ein Ziel von 50 % Einheimischen, die nicht eine Woche nach dem Wappenkuss den Verein verlassen, könnte Hertha aber durchaus anstreben. Als Alleinstellungsmerkmal im deutschen und internationalen Fußball wäre dies nicht nur für die Anhänger sondern auch für potentielle Werbepartner von Interesse.

Die entsprechenden Talente sind vorhanden. Berlin hat mehr Einwohner als Uruguay. Und Hertha muss ja nicht gleich an Weltmeisterschaften teilnehmen. Die Champions-League täte es ja mittel- bis langfristig auch…

Die Transferperiode und der Berliner Weg

Außer Gerüchten, die der leidende Smartphonebenutzer täglich in Massen auf seinem Gerät wegdrücken muss, gibt es bisher noch keine Erkenntnisse über etwaige Veränderungen im Herthakader.

Nun ja, zu einem guten Mittelstürmer der Sorte Tabakovic würde man nicht nein sagen. Ob Hertha mit einem solchen aber auch nur ein einziges Tor mehr geschossen hätte, bleibt fraglich. Denn die Grundlage für`s Toreschießen ist in den meisten Fällen die entsprechende Flanke bzw. der entsprechende Pass, der vom Goalgetter im Idealfall eiskalt versenkt wird. Wenn ein Scherhant, der in der Hinrunde eine ihm nicht zugetraute, fast schon sensationelle Entwicklung genommen hat, nicht flankt, wie einst Reese, sondern selber in den Strafraum eindringen will, könnte auch ein Tabakovic nur zusehen. Kurz und gut: Für mehr Tore wäre eine andere Spielidee und deren Umsetzung durch die Herren Berufsfußballer die Voraussetzung. Spiel über außen, wie es schon Otto Rehhagel (mit Erfolg) einstmals predigte und wie man z.B. gegen Kaiserslautern zu durchschlagendem Erfolg kam. Schuler erzielte als Mittelstürmer zwei Tore. Warum nicht öfter? Weiß es der Trainer? Wenn ja, warum ändert es sich nicht zum Positiven?

Im Prinzip ist die Mannschaft stark genug besetzt, um um den Aufstieg mitzuspielen. Dass das in dieser Saison sehr schwer werden dürfte, haben wir schon letztens mathematisch dargelegt, egal welche Spieler auf dem Platz stehen. Warum dann also Geld ausgeben und die Struktur des Kaders durcheinander bringen? Außer möglicherweise denkbaren Verkäufen oder Ausleihen von Spielern wie Bouchalakis, Christensen, Thorsteinsson, Dudziak oder Hussein müssen Veränderungen nicht unbedingt sein. Das Team ist auf allen Positionen mindestens doppelt besetzt und wenn die acht verletzten Spieler irgendwann vielleicht mal gesunden sollten, hat der Trainer sowieso die Qual der Wahl.

Aber wie man seine Pappenheimer so kennt, wird es in der letzten Januarwoche nochmal hoch hergehen. Hoffentlich besinnt man sich auf Kay Bernsteins Vermächtnis und denkt ab und an zum 1. Todestag noch an den Berliner Weg. Nachwuchsspieler stehen in Massen bereit…

Verheerende Zwischenbilanz

In der Rückrunde sind in 17 Spielen noch 51 Punkte zu holen. Will Hertha nach der – gemessen an den Ansprüchen – verheerenden Vorrunde noch tatsächlich aufsteigen, müssen davon etwa 38 bis 42 geholt werden. Das ergäbe zu den 22 Pünktchen der Hinrunde ca. 60 bis 64 Punkte. In den letzten Jahren hätten zum Aufstieg, d.h. zum 2. Tabellenplatz, gereicht: 61 (17/18), 58 (18/19), 59 (19/20), 65 (20/21), 64 (21/22), 68 (22/23), 64 (23/24).

42 Punkte entsprächen 14 Siegen aus 17 Spielen, was schon alleine die Schwere bis Unmöglichkeit der Aufgabe verdeutlicht.

Mit 6 bzw. 7 Punkten Rückstand auf Platz 3 bzw. 2 gegenüber 6 bzw. 8 Punkten Rückstand in der Vorsaison, als man immerhin mit „langweiligem“ Dardai-Fußball 25 statt 22 Punkten auf dem Konto hattte, tritt Hertha auf der Stelle der Mittelmäßigkeit. Wenn Hertha also den Hauch einer Chance auf einen möglichen Aufstieg hat, liegt dies einzig und allein an der fehlenden Konstanz der Gegnerschaft. 8 Punkte kann man gegen einen Verein aufholen, wenn man einen Lauf hat, gegen zehn vor einem stehende Vereine aber kaum.

Wenn sich alle Herthaner in der Silvesternacht viele, viele Punkte in der Rückrunde wünschen, wird die Rückkehr in die erste Liga vielleicht Wirklichkeit. Aber hat das Wünschen, auch das massenhafte, jemals etwas genützt?

Stilles Leiden

Neeeeiiiiiiinnnnnnnn!!!!!!!!!!!!!!! – möchte man schreien, aber selbst dazu fehlt einem die mentale Kraft, nachdem Hertha das fünfte von acht Heimspielen verloren hat. Es fällt einem nichts mehr ein und eigentlich müsste der Text hier enden.

Schauen wir trotzdem, auch wenn`s weh tut, nochmal genauer hin: Die erste Halbzeit gegen Preußen Münster, den Aufsteiger, der als Vorletzter nach Berlin zum Punkte-Abliefern kam, gehörte zu den besseren der Heimspiele in dieser Saison. Flottes Spiel, ein paar Chancen (allerdings hatte auch Münster zwei Großchancen), alles im Lot. Und dann kommt etwas, wie Ex-Erfolgstrainer Pal Dardai sagte, was man nicht trainieren kann, was insofern auch den aktuellen Trainer Fiél entlastet, nämlich ein individueller Fehler des jungen Pascal Klemens, der den Ball an der Strafraumgrenze kampflos dem Gegner überlässt. In bestimmten Ländern würde man von einem Geniestreich der Wettmafia reden, im Aufstiegsrennen der 2. Bundesliga allerdings nur von einem Anfängerfehler. Gerade Klemens, der bis dahin recht ordentlich auf der Sechs gespielt hatte, macht einen Fehler, der nur noch die FuWo-Gesamtnote 5 zulässt. Dass die Mannschaft allerdings nach dem Ausgleich zusammenbricht und nichts mehr auf die Reihe bekommt, ist unverständlich und vielleicht doch dem Trainer anzulasten. Dass kurz vor Schluss sogar der eine, mickrige Punkt verschenkt wird, nachdem nacheinander Zeefuik und Kenny Kopfballduelle verlieren, war eigentlich auch schon egal.

Wie ist die Lage? Mit 21 Punkten hinkt Hertha 8 Punkte hinter dem Aufstiegssoll hinterher. Vor einem Jahr, unter dem angeblich unmodern spielenden Dardai, waren es drei Punkte mehr, und, immer daran denken, mit einer zusammengestoppelten Truppe, während dieses Jahr eine eingespielte Mannschaft, verstärkt um Demme, Cuisance und Sessa an den Start ging (allerdings ohne Reese, Tabakovic und, mit Einschränkungen, Kempf) Der Rückstand auf die Plätze zwei und drei betrug vor einem Jahr 6 und 4 Punkte, jetzt jeweils 7 Punkte.

Trotzdem ist in dieser Chaossaison der Aufstieg nicht unmöglich. Allerdings müsste die Mannschaft endlich einmal konstant spielen und drei Spiele hintereinander gewinnen. Am besten sollte diese Serie schon am kommenden Sonntag in Hannover beginnen, um im Januar fortgesetzt zu werden, wenn vielleicht auch wieder einige Verletzte genesen sind. Dass dann, wenn man sich auf Schlagdistanz an die Aufstiegsplätze herangerobbt hätte, wieder ein Heimspiel gegen ein Team aus dem Tabellenkeller verloren wird, ist leider mehr als wahrscheinlich. Arme Hertha, noch ärmere Fans.

Alles wie immer

Natürlich hätte man es besser wissen können: Natürlich würde Hertha die Chance, ganz nahe an die Aufstiegsplätze heranrücken zu können, nicht nutzen. Obwohl es kein Heimspiel war! Auswärts gegen die schlechteste Heimmannschaft anzutreten und nach fünf Minuten in Führung zu gehen war offensichtlich mental für die Herthaner nicht zu verkraften. Sie stellten das Fußballspielen ein (wie vor allem in Heimspielen eigentlich immer nach zwanzig Minuten), was die Fürther offensichtlich verwirrte. Sie brauchten fünf bis zehn Minuten, ehe sie sich merkten, was läuft. Dann spielten sie sich auch eine Torchance nach der anderen heraus, bis dann der Ausgleich, natürlich aus einer Standardsituation heraus, fiel. Nach der Pause ging es genauso weiter und die 120 Minuten von Köln können eigentlich keine Rechtfertigung für den blutleeren Auftritt sein. Denn nachdem die Fürther in Führung gegangen waren (Niederlechner traute sich nicht, den Ball wegzuschlagen, weil er an die Elfmetersituation von Köln dachte), schafft es Hertha ja doch noch, den Gegner unter Druck zu setzen und sich drei, vier gute Chancen zu erspielen. Aber selbst Reeses Einwechslung nach einer guten Stunde reichte nicht mehr. Bei Reese konnte man bei jedem Ballbesitz die Angst, mindestens aber die Vorsicht spüren, nicht zu forsch in die Zweikämpfe zu gehen. Da gilt es noch eine alledings verständliche, mentale Sperre zu lösen, was mit jedem Einsatz besser gelingen sollte. Nur nichts überstürzen. Einen sehr guten Freistoß von Reese konnte man immerhin schon bewundern.

Jetzt kommt wieder ein Vorletzter ins Olympiastadion und man würde sich nicht wundern, wenn es ein zähes Spiel werden würde. Das muss Hertha allerdings gewinnen, ist doch die Bilanz in der „Aufstiegssaison“ kein Deut besser als unter Dardai, der mit einer nicht eingespielten, zusammengestoppelten Truppe nach 15 Spielen auch 21 Punkte auf dem Konto hatte. Damals hatte man allerdings 8 Punkte Rückstand auf den zweiten Tabellenplatz, in diesem Jahr nur fünf, was jedoch nicht an Herthas „Stärke“, sondern nur an der Schwäche der anderen Mannschaften liegt. Hoffen wir, dass es nach dem nächsten Heimspiel nicht wieder acht Punkte Rückstand sein werden…

Zum Glück auswärts

Zum Glück ist das nächste Spiel wieder auswärts! In Fürth kann Hertha am kommenden Sonnabend endlich (ENDLICH) im günstigsten Falle auf einen Aufstiegsplatz vorrücken. Gäbe es ein Heimspiel, wissen wir alle, was passieren würde: Hertha würde die Chance nicht nutzen, aus Gründen, die niemand versteht, und die man auch nicht verstehen kann. Aber in dieser verrückten Saison, wo nach dem 14. Spieltag genau drei Punkte zwischen einem Aufstiegsplatz und dem Tabellen-Elften liegen, wo also alles möglich ist, spielt Hertha auswärts die Gegner meist an die Wand. Und wenn das mal nicht klappen sollte, werden die Punkte mit Kampf und Wille geholt. Vier Siege bei zwei Unentschieden und nur einer Niederlage würden normalerweise die souveräne Tabellenführung bedeuten, wenn der Auswärtsbilanz nicht vier Heimniederlagen, bei einem Unentschieden und zwei äußerst wackligen Siegen (Regensburg und Braunschweig) gegenüberstehen würden.

Man kann mal wieder optimistisch in die Zukunft sehen und es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass am letzten Spieltag noch mehrere Mannschaften die Möglichkeit haben werden aufzusteigen. Aber erstmal würde es ja schon reichen, wenn man vor der kurzen Weihnachtspause in Schlagdistanz zum Aufstieg bliebe. Mit zwei Punkten Rückstand zum zweiten und dritten Tabellenplatz ist Hertha jetzt deutlich besser als in der Vorsaison, als es nach dem 14. Spieltag jeweils 8 Punkte Rückstand gab. Und dies, obwohl nur drei Punkte mehr auf dem Konto stehen. Anscheinend will niemand so recht aufsteigen. Wir wollen es aber und Fabian Reese will es mit Sicherheit auch. Ein Viertelstündchen auf dem Platz in Magdeburg und schon steht (fast) ein Assist zu Buche, köpfte er doch vor dem 3:1 den Ball in den Strafraum. Noch ein Novum: Zum ersten Mal klappte die Eckballvariante, nach der Leistner den Ball am kurzen Pfosten stehend mit dem Kopf verlängert, um ihn dann praktisch nicht verteidigen zu können. So ist einstmals Köln unter Hennes Weisweiler Meister geworden. Damals klappte die Variante allerdings zehn Mal in der Saison.

Kurzer Rückblick auf Herthas Nebel-Spiel-Helden gegen Barcelona von 1999. Zum 25-jährigen Jubiläum waren sie vor dem Heimspiel gegen Ulm im Stadion. Unklar allerdings, warum Ketil Rekdal nicht der Behauptung der Stadionsprecher widersprach, als Kapitän auf dem Platz gewesen zu sein. Rekdal spielte überhaupt nicht, ebenso wie der vorgestellte Ilja Aracic. Kapitän war Michael Preetz, wie man in einem Video vor dem Spiel auch sehen konnte. Will man etwa die Erinnerung an Preetz` Verdienste um den Verein eliminieren? Solche stalinistische Geschichtsfälschung stünde dem Verein nicht gut zu Gesicht. Hoffentlich war alles nur eine etwas schlampige Recherche…

Liefert Hertha gegen Ulm?

Hertha kann mit einem, eigentlich fälligen, Heimsieg gegen Aufsteiger SSV Ulm (Schwimm- und Sport Verein!!) die Schlagdistanz auf Aufstiegsplatz 2 verkürzen oder zumindest bei vier Punkten halten. Das ist bei 22 noch zu absolvierenden Spielen, also 66 zu vergebenden Punkten, definitiv nicht viel. Und da die Hoffnung immer zuletzt stirbt, also wenn man drei Spieltage vor Saisonende 10 Punkte Rückstand hätte, bleibt die Aufstiegshoffnung noch für einige Monate nicht völlig unrealistisch.

Außerdem wird jetzt sowieso alles ganz anders, weil Heilsbringer Reese zumindest wieder auf der Bank sitzen könnte. Und wenn Hertha nach 70 Minuten wider Erwarten doch zurückliegen sollte, wird Reese mit Sicherheit eingewechselt werden, auch wenn es aus gesundheitlicher Sicht kaum zu verantworten ist, einen Spieler, der vier Monate verletzt war und gerade einmal drei Trainingseinheiten mit der Mannschaft absolviert hat, in die Schlacht zu werfen.

Es kommt ja darauf an, wie Trainer Fiél in der Pressekonferenz betonte, Ideen zu entwickeln, um die Ulmer Fünferkette, die sich wahrscheinlich als eine 2xFünferkette erweisen wird, auszuspielen. Die Ideen kann man aber im ersten Kapitel des Fußballbuchs „Wie gewinne ich Spiele?“ schnell mal nachlesen: Tempo machen, über die Flügel spielen, wenige Fehlpässe machen und hinten bei Kontern aufpassen. Leider halten bei Hertha einige Spieler und einige Mitarbeitende aus dem Betreuerstab (Torwarttrainer) nur wenig von einschlägiger Literatur, weil das Zocken mit der Konsole mit Sicherheit mehr Spaß macht. Aber da könnte man ja schon mal üben, wie es, zumindest theoretisch, gehen könnte. Oder man fragt mal bei den Spielern nach, die vor genau 25 Jahren dem CF Barcelona im nebligen Olympiastadion ein achtbares 1:1 abrangen: Kiraly, Rehmer – van Burik – Sverrisson – Konstantinidis, Thom – A.Schmidt – Wosz – Michalke, Daei – Preetz. (eingewechselt: Veit und Herzog).

Den Namen nach eine gute, aber keine Übermannschaft. Und trotzdem erreichte man die zweite Runde der Champions-League. Fehler wurden minimiert und es hieß kämpfen, kämpfen, kämpfen. Wie viele Lichtjahre ist Hertha davon momentan entfernt?

Immer muss man sich ärgern

Zum Glück ist man nicht Bayern-Fan. Gähnende Langeweile bei der zwanzig plus x-ten Meisterschaft, beim 10 plus x-ten Pokalsieg und selbst beim 5 plus x-ten Champions-League-Triumph will keine rechte Stimmung aufkommen. Das Aufregendste ist stets der jährlich herausgebrachte neue Briefkopf, der ein, zwei oder auch mal drei zusätzliche Titeljahreszahlen enthält.

Wie viel aufregender ist es, Anhänger des Hauptstadt-Clubs Hertha BSC zu sein. Von Titeln keine Spur (außer „1930, 1931“, aber die übersieht man schnell). Aber die jährliche Höhe der Schulden, der jährliche neue Trainer, die jährlich verhökerten, in der Akademie ausgebildeten Talente: das macht schon was her.

Aufregung hat man aber auch im regulären Spielbetrieb. Gestern beispielsweise durfte man sich gleich dreifach aufregen: Erstens über den Schiedsrichter. Pfeift Freistoß für Darmstadt, nachdem zwei Spieler mit den Köpfen zusammenkrachen. Nun gut, der eine davon heißt Zeefuik, und wenn der in der Nähe ist, entscheidet der Schiedsrichter schon mal grundsätzlich auf Foul gegen ihn. Dabei ist Körpereinsatz im Fußball meines Wissens nicht verboten. Nun gut. Ausgleich als Folge eines Nichtfreistoßes in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit. Als Krönung wird in der zweiten Halbzeit der Führungstreffer von Hertha aberkannt, weil eventuell ein Handspiel vorgelegen haben könnte. Es gibt zwar keinerlei filmische Beweise für diese steile These, trotzdem stellt der VAR diese Behauptung in den Raum und der Schiedsrichter überprüft das nicht mal selber. Man könnte sich aufregen!

Auch wenn man sich noch so sehr über die Welt, die wie immer gegen einen ist, ärgert, man muss sich auch mal an die eigene Nase fassen. In diesem Fall bezieht sich der zweite Ärger auf den Spieler Ernst, der seine Arbeitseinstellung im Spiel gegen Darmstadt ohne selbigen (keine Namenswitze bitte, eigentlich) ausführte. Treffer zwei ( hohe Flanke zwei Meter vorm Tor) und drei (harmloser Weitschuss) gingen klar auf sein Soll-Konto. Da er sich ansonsten nicht allzu häufig auszeichnen konnte, muss man sich über die Torhüterleistung ärgern.

Damit nicht genug des Ärgers. Die ganze Mannschaft überließ dem Gegner nach einer starken halben Stunde, nach der man eigentlich höher als 1:0 hätte führen müssen, das Geschehen auf dem Platz. Folgerichtig kam der Gegner zu Möglichkeiten. Dass es ohne die zwei obigen Ärgernisse (Schiedsrichter, Torwart), doch zum Sieg gereicht hätte, spricht Bände, aber nicht für den Aufstiegswillen von Hertha. Im vorigen Spieljahr hatte man nach 12 Runden 16 Punkte, diesmal 17. Damals 8 bzw. 5 Punkte Rückstand auf 2. bzw. 3. Platz, dieses Jahr jeweils 4! Das liegt aber nicht an Herthas Stärke, sondern einzig und allein an den Schwächen aller Mitkonkurrenten. Wer mehr als zwei Schuljahre Mathematik-Unterricht genossen hat, kann sich ausrechnen, wo Hertha stünde, wenn die beiden Spiele gegen Köln und Darmstadt gewonnen worden wären. Nicht zu reden vom Spiel gegen Elversberg.

Ich könnte mich aufregen!

Könnte eng werden…

Gegen Köln gab es die (fast) erwartete Niederlage, gegen Heidenheim im Pokal den unerwarteten Sieg. Die Wiedergutmachung im Pokal könnte nicht lange auf sich warten lassen, da man Anfang Dezember in Köln antreten darf. Und da Hertha in dieser Saison auswärts sowieso erfolgreicher ist, stehen die Chancen auf einen Einzug ins Viertelfinale gar nicht mal so schlecht. Wiedergutmachung, was die Aufstiegsambitionen angeht, müsste Hertha schon am Sonnabend in Darmstadt betreiben. Aber erstens kann es mit der beinahe unheimlichen und für Hertha völlig untypischen Auswärtsstärke nicht ewig so weiter gehen und zweitens gehen Hertha so langsam die Innenverteidiger aus. Nachdem Brooks, Gechter und jetzt auch noch Leistner verletzt sind, bleiben nur noch Klemens (mit durchwachsenen Leistungen in seinen bisherigen Einsätzen) und Marton Dardai übrig. Da Dardai gegen Darmstadt nach seiner fünften Gelben Karte gesperrt ist, ist improvisieren angesagt. Aber in der U23 oder U19 wird sich sicher der eine oder andere Lückenstopfer finden.

Hertha liegt momentan zwar vier Punkte hinter dem selbstgesteckten Aufstiegssoll zurück, hat aber, da anscheinend in dieser Saison kein Team konstant genug ist, nur drei Punkte Rückstand auf Relegation und zweiten Tabellenplatz (im Vorjahr nach 11 Spieltagen jeweils sechs Punkte). Da kann Hertha also in Darmstadt den vielgerühmten Sprung nach oben machen. Und genau deshalb werden sie es nicht tun. Wenn alles normal läuft. Aber man ist ja Herthaner, obwohl so wenig an dem Verein „normal“ ist. Denn wo könnte man jetzt stehen, wenn man nicht 1:4 gegen einen Dorfverein wie Elversberg verloren hätte…

Kommt Hertha wirklich nach oben?

Hertha holte aus einem schwachen Heimspiel (Braunschweig) und einem starken Auswärtsspiel (KSC) sechs Punkte und ist erstmals seit dem Abstieg 2023 in Schlagdistanz zum Tabellenersten. Wer hätte das gedacht, dass man mit einer negativen Heimbilanz oben mitspielen kann? Und jetzt kommt ein kriselnder 1.FC Köln, der sowieso schon immer eine Wundertüte war, genau wie Hertha. Wie sind die Voraussetzungen? Hertha könnte ganz nach oben gehen: Steht also schlecht mit den Siegchancen. Das Wetter wird wohl äußerst bescheiden: Das erhöht die Chancen deutlich. Hertha hat ein schweres Pokalspiel am Mittwoch zu bestreiten: Auswirkungen für Sonnabend Abend unklar. Erwartungsvolle Fans: Ganz schlechte Voraussetzungen für einen Sieg. Neuer Trainer für Köln im Laufe der Woche? Bloß das nicht! Fassen wir realistisch zusammen: Es läuft alles auf ein Unentschieden hinaus. Den wirklichen Angriff auf die Spitze könnte Hertha dann ja nach dem nächsten Auswärtssieg in Darmstadt starten.

Eines muss aber völlig klar sein, auch wenn die Erwartungshaltung einiger naiver Fans nach entsprechenden Nachrichten riesig ist: Fabian Reese wird in beiden Spielen (Pokal und Köln) noch nicht mitwirken. Nach fast drei Monaten Verletzungspause kann man auf höchstem Niveau nicht nach ein paar Laufeinheiten mit Ballbalancieren mithalten. Weder Schnelligkeit noch Kondition sind momentan auch nur ansatzweise ausreichend. Im Gegenteil. Ein verfrühter Einsatz könnte unabsehbare Folgen haben, was Reeses Gesundheit angeht. Lassen wir ihm die Zeit, so dass ein erster Kurzeinsatz frühestens Mitte-, besser noch erst Ende November erfolgen sollte. Und wenn Hertha bis dahin schon mal an den Aufstiegsplätzen kratzen könnte, um so besser. Reese ist ja noch nicht fertig in Berlin, sagte er zu Saisonbeginn. Hoffentlich auch nicht nach der Saison.