Archiv der Kategorie: Bundesliga

Hält die Thomas-Kroh-Serie?

Tja, bisher liegt er voll auf Kurs: Thomas Kroh prophezeite fünf Niederlagen in den ersten fünf Spielen unter dem neuen alten Trainer Pal Dardai. Die ersten beiden Spiele wurden planmäßig verloren, wenn auch nach ansprechenden Leistungen mit etwas „Spielpech“. Gegen Leipzig und in Wolfsburg (mit massiver Fanunterstützung in den letzten Jahren immer für ein Überraschungsresultat gut) dürften die Trauben recht hoch hängen, am ehesten scheint in Stuttgart etwas zu holen zu sein, auch wenn Dardai in der Pressekonferenz entsprechende Fragen energisch zurückwies. Aber die Stuttgarter Heimbilanz ist nun mal nicht überragend und Hertha hat auswärts, wenn man die Spiele in Freiburg und Bielefeld ausklammert, immer gut gespielt, wenn auch meist wenig Zählbares dabei heraussprang. Wenn Hertha nicht absteigen will (und wer will das schon?), muss die Mannschaft heute einen Punkt, besser noch drei Punkte, holen. Und da die Spieler ja „nullkommanull“ Druck haben, wie Dardai erklärte, müsste ein 1:3-Auswärtssieg im Bereich des Möglichen liegen und Hertha-Hasser Thomas Kroh könnte über seine Vorhersage nachsinnen.

Nachsinnen könnte man mit Abstand auch mal über die viel und von vielen kritisierte Trainerbestellung des Ex-Managers Michael Preetz. Zugegeben, bei Hertha gibt es keine Freiburger oder Bremer Verhältnisse, was aber auch der stets aufgekratzten Stimmung bei den Medienvertretern im allgemeinen und der Meckersucht der Berliner Fans im speziellen geschuldet ist. Natürlich wurden nach Favres Entlassung 2009 mit Funkel, Babbel, Skibbe, Rehhagel, Luhukay, Dardai, Covic, Klinsmann, Nouri und Labbadia (Interimstrainer wie Tretschok mal ausgelassen) zehn Trainer in zwölf Jahren verpflichtet (wobei man Nouri eigentlich nicht zählen kann, da er ja nicht nach einer Kündigung sondern nach Klinsmanns Flucht neuer Trainer werden musste), aber die erfolgreichen Trainer (Babbel, Luhukay, Dardai) haben immerhin 289 Spiele geleitet, während die gar nicht, weniger oder nur teilweise erfolgreichen (Funkel, Skibbe, Rehhagel, Covic, Klinsmann, Nouri und Labbadia) nur bei 95 Spielen Coach waren. Wenn man sich erinnert, was den meisten ja recht schwer fällt, weiß man, dass unter Funkel viel Pech dabei war und es eine großartige Aufholjäger-Zeit in der Rückrunde, vor allem bei Auswärtsspielen mit hohen Siegen gab, dass Rehhagel die Mannschaft vor dem direkten Abstieg gerettet hat und unglücklich in der Düsseldorfer Relegation verlor, dass Klinsmann rein sportlich einen guten Punkteschnitt hatte und dass Labbadia nach der Pandemie das Abstiegsgespenst mit vier nicht verlorenen Spielen schnell verscheuchte. Bleiben als Fehlgriffe eigentlich nur Skibbe, Covic und (zwangsweise) Nouri, die in der Trainer-Fehlbesetzungsliste stehen bleiben. Und auch hier gilt: Nach der Ernte weiß auch der dümmste Bauer, wo die dicksten Kartoffeln wachsen!

Und wenn man bedenkt, dass Hertha nach den unglücklichen Abstiegen sofort wieder recht souverän aufgestiegen ist, kann man dem Manager in der Kaderzusammenstellung nur wenige Vorwürfe machen. Was ja, wie man am HSV, der jetzt im dritten Zweitligajahr ist, sieht, nicht selbstverständlich ist. Von Vereinen wie dem 1.FC Kaiserslautern, die der vierten Liga zustreben mal ganz abgesehen.

Nur in diesem Jahr scheint das große Geld, Fluch und Segen zugleich, dem Preetzer etwas den gesunden Menschenverstand vernebelt zu haben. Die Vorwürfe Dardais in Bezug auf die fehlende Erfahrung von Spielern und die nicht vorhandene Achse waren eindeutig. Unter dem Strich bleibt aber, und das verkennen viele der jetzt so lauten Schreihälse, dass Preetz zu 80 % gute Arbeit abgeliefert hat. Das sollen die Gröler erst mal nachmachen…

Kommt die große Wende schon gegen die Bayern?

Die Frage aus der Überschrift kann man getrost verneinen, wenn man die allseits bekannte Statistik zu Hilfe ruft. In den bisherigen 71 Bundesligaspielen seit der Saison 1968/69 (in den ersten beiden Bundesligajahren fehlten die Bayern – im zweiten wurden sie pikanterweise von Tasmania 1900 aus der Aufstiegsrunde gekegelt – und in der dritten bis fünften Saison gurkte Hertha in der Regionalliga Berlin herum) haben 41 mal die Bayern gewonnen, 20 Spiele endeten Unentschieden und nur 10 mal gewann Hertha. Im heimischen Olympiastadion gab es in 35 Spielen immerhin 8 Hertha-Siege bei 14 Unentschieden und 13 Niederlagen. Das Heim-Torverhältnis von 45 : 66 weist im Durchschnitt auf eine 1:2-Niederlage hin. Damit könnte man, unter normalen Umständen, durchaus zufrieden sein, da man vor der Saison aus den beiden Bayern-Spielen sowieso null Punkte in die Planung einfließen lässt.

Diesmal wäre natürlich ein Punkt (an drei zu denken wäre unverschämt, arrogant und egoistisch, schließlich müssen die Münchener ja Meister werden, und möglichst nicht erst fünf Spieltage vor Saisonende) Gold wert, würde es der Mannschaft doch Selbstvertrauen für die folgenden Aufgaben in Stuttgart und gegen Leipzig einflößen. Und das ist ja das einzige, was den Herthanern momentan in reichlichem Maße fehlt, von Passgenauigkeit, Abwehrverhalten, systematischem Spielaufbau und Effektivität vor dem gegnerischen Tor einmal großzügig abgesehen.

In der Fußball-Woche wird in Corona-Zeiten mangels aktuell möglicher Berichterstattung aus den unterklassigen Ligen wöchentlich im Archiv der Zeitung gekramt. Und seit den großen Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, den großen Hertha-Zeiten, zieht sich durch die Berichterstattung, dass Hertha nun mal eine Wundertütenmannschaft war und ist. Egal mit welchen Spielern unter welchen Umständen zu welchen Zeiten: Immer konnte man von Hertha erwarten, was eigentlich nicht zu erwarten war. Siege, wenn man chancenlos war und Niederlagen gegen Mannscaften, die eigentlich jeder schlug. Deshalb ist ja auch beim heutigen Geisterspiel alles möglich, man sollte aber keinesfalls fest mit einem allzu hohen Sieg der Herthaner rechnen. Vielleicht wird er ja dann Wirklichkeit…

Übrigens: Es ist noch viel zu wenig im öffentlichen Bewusstsein verankert, wann Bayern München seine erste von mittlerweile drei Millionen Deutschen Meisterschaften holte: 1932, also nachdem Hertha 1930 und 1931 seine beiden einzigen Titel geholt hatte. Eine neuerliche Ablösung werden selbst junge Menschen zu Lebzeiten wohl nicht mehr erleben…

Verliert Hertha fünf Mal?

Nun gut, da stimmt schon mal das erste Ergebnis: Thomas Kroh, seines Zeichens Hertha-Hasser im rbb-Inforadio, sagt dem neuen Trainer Dardai fünf Niederlagen in den ersten fünf Spielen seiner zweiten Amtszeit voraus. Nach dem Frankfurt-Spiel stimmt das bereits zu 20 %. Wie wird es nach den Spielen gegen Bayern, Stuttgart, Leipzig und Wolfsburg sein? Schon möglich, dass der gute Polemik-Papst Kroh recht behält, denkbar sind aber auch fünf Punkte, d.h. ein Sieg in Stuttgart und Unentschieden gegen Leipzig und Wolfsburg, wenn wir realitätstreu, wie wir eben sind, eine Niederlage gegen die Münchener als gegeben verbuchen wollen.

Nach fünf Niederlagen wäre auch Pal Dardai schon wieder Geschichte, weil von ihm ja die Aussage stammt, dass ein Trainer nach fünf Niederlagen gehen muss. Labbadia musste nach zwei Niederlagen gehen, auch wenn er nichts für verschossene Elfmeter kann und Spielern auch nicht als taktisches Konzept mitgegeben hatte, nach zehn Minuten einen Gegner im Strafraum umzugrätschen.

Was kann helfen? Wer kann helfen?

Sami Khedira kann höchstwahrscheinlich nicht helfen, obwohl Neumanager Arne Friedrich ankündigte nur dann auf dem Transfermarkt tätig zu werden, wenn ein Spieler sofort helfen könne. Auf Khediras Position spielen Ascacibar, Tousart, Guendouzi, Löwen, Stark, und der verliehene Maier. Aber vielleicht hilft ja viel viel. Eventuell ist Khedira mit seiner Mentalität und seiner Erfahrung genau das fehlende Puzzleteil, um Hertha in die Erfolgsspur zurückzuführen. Denn das ist es ja, was Dardai als klaren Seitenhieb auf seinen Ex-Vorgesetzten Preetz nach dem Frankfurt-Spiel öffentlich bemängelte: Dass die Mannschaft zu jung und unerfahren und nicht ausgewogen zusammengestellt sei. Das war vielleicht auch eine kleine Revanche für die nicht ganz so sauber wie geplant abgelaufene Ablösung Dardais vor anderthalb Jahren.

Aber selbst wenn Khedira trotz mangelnder Spielpraxis Hertha stabilisiert, wird das Abstiegsgespenst noch eine ganze Weile über dem Westteil der Hauptstadt drohen. Auch wenn das Spiel in Frankfurt Mut machte, hielt Hertha doch bis zur 85 Minute ein Unentschieden bei der aktuell stärksten Bundesliga-Mannschaft. Aber in München hatte man ein Unentschieden bis zur 94. Minute gehalten und in Leipzig trotz 40-minütiger Unterzahl bis kurz vor dem Ende ebenfalls. Es müssen ein paar Erfolgserlebnisse her, um nicht in den letzten Saisonspielen gegen Köln, Bielefeld und Schalke auf Siege angewiesen zu sein, um den Abstieg, bzw. die Relegation zu vermeiden. Das hatten wir schon mal vor neun Jahren und es ist schiefgegangen. Und dass man bei Holstein Kiel nicht zwangsläufig dank besserer individueller Klasse gewinnen muss haben vor kurzem schon ganz andere erlebt…

Tasmania – eine Nachbetrachtung

Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn ein gewisser Elmar May von Borussia Neunkirchen im letzten Aufstiegsspiel 1964 im Ellenfeld seinen schönen Drehschuss in den saarländischen Himmel und nicht ins Netz der Tasmania gesetzt hätte. So aber gewann Neunkirchen 1:0, stieg in die Bundesliga statt Bayern München auf und die ollen Tasmanen, auf dem Höhepunkt ihres Schaffens, guckten in die Röhre.

Hätten sie, die wenige Tage vorher die überheblichen Bayern vor über 30.000 Zuschauern mit einem fulminanten 3:0 aus dem Berliner Poststadion gefegt hatten, ihrerseits in Neunkirchen gewonnen, wären sie aufgestiegen und Schalke 04 hätte schon jetzt seinen Rekord für die Ewigkeit. Denn Tasmania war im Jahr 1964 absolut konkurrenzfähig, wie auch der 5:1-Heimsieg gegen den späteren Aufsteiger Neunkirchen und ein 1:1 in München beweisen. Nur ein Jahr später, ohne den reißerischen Mittelstürmer Fischer und etwas überaltert, als man als dritter der Regionalliga Berlin für die aus der Bundesliga vom DFB verbannten Herthaner aus politischen Gründen einen Startplatz in der Eliteliga geschenkt bekam, konnte man die Klasse, trotz des Transfers von Nationalspieler Horst Szymaniak, nicht halten.

Aber: Nicht alle Spiele der Tasmania waren Klatschen, wie man mit den Jahrzehnten, die seither ins Land gingen, zu glauben pflegt. Es gibt sogar einen Verein, gegen den Tasmania überhaupt nicht verlor: Zwei Unentschieden gegen den 1.FC Kaiserslautern bleiben für immer im Goldenen Buch der Bundesligastatistik stehen. Ehrenwerte 0:2-Niederlagen gegen den Zweiten und Dritten, nämlich Dortmund und Bayern München, stehen ebenso zu Buche wie Unentschieden gegen Werder Bremen und Mönchengladbach (mit 600 Zuschauern Negativ-Rekord der Bundesliga, wenn man die Null-Zuschauer-Spiele der Corona-Saisons vernachlässigt). Zweimal gab es ein knappes 1:2, dreimal ein 1:3, einmal ein 0:1, fünfmal ein 0:2 allerdings auch viermal ein 0:5, zweimal ein 1:5, einmal ein 0.6, einmal ein 2:7 und, als krönendes Negativerlebnis, ein 0:9 gegen den Meidericher SV.

Für eine zu alte Halbprofitruppe schlug man sich also in der Hälfte der Spiele recht anständig, insgesamt konnte es natürlich nicht reichen und der DFB durfte sich beruhigt zurücklehnen: Man hatte ja schließlich alles denkbar Mögliche für Berlin getan…

Neue Serie starten

Unter Pal Dardai ging Hertha meist mit einem Erfolgserlebnis in eine Länderspielpause. Was auch dringend notwendig war, da Hertha schon damals (es ist noch keine zwei Jahre her!) eine Vielzahl an Nationalspielern in ihren Reihen hatte. Wenn auch nicht die aus der allerersten Reihe, aber in Tschechien, Norwegen oder den diversen U-Mannschaften kann man ja auch einen Fußball geradeaus schießen. Zielorientiertes Training ist in dieser Zeit kaum möglich, weshalb das Spiel nach der Pause immer eine Wundertüte war, wobei Hertha insgesamt schon eine ebensolche war, also zwei Wundertüten an einem Spieltag, was ja rein mathematisch, wie minus mal minus, plus ergeben kann.

Vielleicht wird Hertha auch in Augsburg (alle bisherigen Auswärtsspiele gegen Werder, Bayern und Leipzig waren überdurchschnittlich gut) die Serie fortsetzen und den zweiten Saisonsieg einfahren, um dann nach der Pause Dortmund (die ja auch diverse Nationalspieler im Kader haben) ein gutes Ergebnis abzuringen, obwohl nach dem Gesetz der Serie nach einem guten Auswärtsspiel ein schlechtes Heimspiel zu folgen hat. Aber jede Serie geht einmal zu Ende und vielleicht gewinnt Schalke ja auch mal wieder ein Bundesligaspiel. Gegen einen Regionalligisten hat es im Pokal immerhin schon mal geklappt.

Überhaupt Serien: Noch nie hat Hertha ein Geisterspiel in Augsburg verloren! Es gab zwar noch keins (das grausame 0:4 im Vorjahr mit Jarsteins Platzverweis, das mit Covics Rausschmiss endete, fand ja vor Zuschauern statt), aber das muss ja nichts heißen. Keine Serie ist auch eine Serie. Und die heißt ab Sonnabend um 17.30 Uhr: Hertha gewinnt jedes Geisterspiel in Augsburg. Na denn: Hahohe.

Was hat Schalke mit Tasmania und Fritz Walter zu tun?

Mit dem 1:1 gegen den VfB Stuttgart hat sich Schalke 04 souverän auf den zweiten Tabellenplatz der Mannschaften mit Nicht-Sieges-Serien gesetzt. Nach jetzt saisonübergreifend 22 Spielen ohne gewonnen zu haben, liegt nur noch Tasmania 1900 vor den Gelsenkirchenern, die damals, 1965/66 nach dem 2:0 Heimsieg gegen den Karlsruher SC erst im 32. Spiel Borussia Neunkirchen 2:1 bezwangen.  Da fehlen den Schalker Knappen, die so gar nichts knappenhaftes (Stolz, Ehre, Treue) an sich haben nur noch läppische neun Spiele um gleichzuziehen. Das müsste doch mit einem ambitionierten Trainer wie Manuel Baum zu machen sein. Der Bayer passt schon rein ausstrahlungsmäßig so gut ins Ruhrgebiet, dass man sich nicht zu wundern bräuchte, wenn der Rekord erst von seinem demnächst auftauchenden Nachfolger eingefahren wird. Ganz Fußballdeutschland drückt die Daumen, ganz besonders fest wird in Dortmund gedrückt, und die noch lebenden alten Rekordhalter der Tasmanen, die sich alljährlich zwecks erinnern an alte Zeiten treffen, drücken einerseits mit, würden andererseits ihren „Rekord für die Ewigkeit“ ganz gerne als Alleinstellungsmerkmal behalten.

Apropos Ewigkeit: Heute vor 100 Jahren wurde Fritz Walter geboren, der auch den einen oder anderen Rekord, allerdings stets positiver Art, sein Eigen nennen kann: Die gesamte Karriere bei einem Verein zu spielen (1.FC Kaiserslautern) erscheint heute als ein Relikt aus der Steinzeit. Das Angebot von Real Madrid auszuschlagen, die ihn für ein damals unmoralisches Millionengehalt verpflichten wollten, erscheint heute unvorstellbar. Kapitän der ersten deutschen Weltmeistermannschaft und erster deutscher Ehrenspielführer der Nationalmannschaft sind auch nicht die schlechtesten Referenzen. Und die Dauer seiner internationalen Karriere? Von 1940 bis zum Halbfinalspiel gegen Schweden bei der WM 1958 lagen 18 Jahre, ein Weltkrieg und 61 Länderspiele. Wenn man davon ausgeht, dass es damals nur 5 bis 7 Länderspiele pro Jahr  gab, heute aber z.T. mehr als doppelt soviel, wäre er heute sicher auf 120 Spiele gekommen, die acht Jahre Kriegspause von 1942 bis 1950 berücksichtigt, hätte er schon an der 200-er-Marke gekratzt. Fritz Walter: Ein Mann für die Ewigkeit. Von seinen menschlichen Qualitäten wie Kameradschaft, Bescheidenheit, Treue und absolute Loyalität gar nicht zu reden.

GIbt es heute noch Typen wie den großen Fritz Walter? 

Stürzt Hertha den Spitzenreiter?

„Nach einem schlechten Pass folgt ein schlechter“, ist eine der vielen den Punkt treffenden Sepp-Herberger-Weisheiten. Insofern wandelt Hertha ziemlich genau nicht auf den Spuren des legendären Bundestrainers, denn nach einem guten Spiel folgt meist eine Katastrophe und umgekehrt: wenn Hertha verliert (am besten zuhause) folgt oftmals ein gutes Auswärtsspiel, quasi Trotzreaktion. Man könnte Hertha auf ihrem Weg durchs Leben insofern auch eine gewisse Inkonstanz bescheinigen.

In dieser Saison stimmt dieses leicht von der Norm abweichende Sozialverhalten in jedem Saisonspiel. Nach der Pokalniederlage mit fünf Gegentreffern bei Zweitligaaufsteiger Braunschweig folgte ein souveräner Saisonstart in Bremen. Dann kam ein Angsthasenspiel mit einer Heimniederlage gegen Frankfurt, um danach dem Quadribelchampion Bayern fast ein großartiges Unentschieden abzuringen. Die Heimniederlage gegen Aufsteiger Stuttgart passt folgerichtig ins Bild (allerdings muss man hier die fast zweiwöchige Trainingspause der 13 abgestellten Nationalspieler berücksichtigen). Dem Gesetz der Serie entsprechend müsste in Leipzig eigentlich ein unerwartet gutes Spiel folgen. Weniger eine Rolle dürfte das Champions-League-Spiel von RB am Dienstag spielen, das sollten Profis zumindest am Anfang der Saison wegstecken. Eher schon könnte eine mögliche Überheblichkeit des Spitzenreiters zu einer denkbaren Überraschung beitragen, auch wenn Nagelsmann die ganze Woche statt Training zu veranstalten, seinen Spielern zweimal täglich 90 Minuten lang einzubläuen versucht, den Gegner ernst zu nehmen. Aber die hören ja nicht (wenn sie denn überhaupt deutsch verstehen). Also: Es gilt das gleiche wie vor dem Bayern-Spiel. Es würde mich nicht wundern, wenn Hertha unter diesen Umständen einen Punkt aus Leipzig mitbrächte. Aber auch diesmal würde ich keine hohe Wette ( d.h., mehr als 70 Cent) abschließen, dass das so kommt. Gesetzmäßigkeiten haben ja die dumme Eigenschaft nicht immer einzutreffen.

Sagen wir mal so: Wenn Hertha gewinnt oder unentschieden spielt, könnte es in diesem Winter mal wieder richtig viel Schnee geben…  

Doch noch meine Hertha

Nach dem 4:1-Saisonstartsieg in Bremen sangen viele der 4000 Zuschauer im prall gefüllten Olympiastadion das beliebte: „Wir hol’n die Meisterschaft…und den Europacup….und den Pokal – Scheißegal“. Das Scheißegal bezieht sich vielleicht auf die Tatsache, dass Hertha, zumindest in dieser Saison, den Pokal eher nicht holen wird. Wir wissen es nicht, können uns in die Seele des gemeinen Fans nicht so recht hineinversetzen. Schon während des Spiels wurde allerdings obiger Gassenhauer nach dem 0:2-Rückstand nicht mehr angestimmt, was überraschenderweise doch auf einen Rest Realitätssinn schließen lässt.

Hertha hat in den drei ersten Pflichtspielen, wenn man das 4:5 in Braunschweig dazurechnet, ein Torverhältnis von 9:9 kreiert. Alle Achtung. Auf die Saison hochgerechnet müsste Hertha bei ungefähr 100:100 Toren landen. Da scheint die Balance in der Abstimmung der Mannschaftsteile noch nicht hundertprozentig austariert zu sein. Sturm hui, Abwehr pfui. Und das, obwohl laut Analytiker Klinsmann mit Boyata, den sein Kumpel Preetz an die Spree geholt hatte, einer der besten Innenverteidiger Europas zur gefälligen Verfügung stand. Und mit Torunarigha ist  ja auch eines der größten deutschen Talente auf dem Platz gewesen. Trotzdem läuft es noch nicht rund. Wir sollten aber nicht angsterfüllt auf die Saison 1986/87 sehen, als Eintracht Braunschweig aus der 2. Liga mit einem positiven (!) Torverhältnis abstieg. Soweit wird es schon nicht kommen. Mittlerweile hat Hertha immerhin das Saisonziel, nämlich besser als im Vorjahr abzuschneiden, mit dem neunten Tabellenplatz schon fast erreicht.

Da Hertha am 3. Spieltag leider bei Bayern München antreten muss, ist zwar davon auszugehen, dass die Mannschaft danach einen Tabellenplatz in der unteren Hälfte einnehmen wird, aber Hoffenheim hat ja gezeigt, dass alles möglich ist. Andererseits ist zu befürchten, dass Hertha für die Niederlage der Bayern bitter büßen wird. Obwohl: Hertha spielt eigentlich fast immer so, wie man es nicht erwarten kann. Wenn man nach einem Auswärtssieg ganz nach oben kommen kann, wird garantiert das nächste Heimspiel verloren. Wenn niemand einen Pfifferling auf einen Punkt gibt, ist oftmals eine Überraschung gelungen. Nach der Niederlage gegen Frankfurt habe ich meine Hertha wiedererkannt. Wenn sie ein Pünktchen in München holen würden, wäre das in diesem Sinne nur stimmig. Aber wetten sollte man nicht darauf…

Herthas Rückrundenfluch

Das muss Hertha erst mal jemand nachmachen: Mit drei Niederlagen in Folge souverän den Abstieg verhindern, dazu müssen schon ein sehr guter Trainer, viel Glück und Unfähigkeit der anderen Vereine zusammenkommen. Hertha kann sich jetzt also entspannt zurücklehnen, eine dicke Zigarre paffen, die Beine aus der Hängematte baumelnd einen Drink schlürfen und zusehen, wie die anderen unglücklichen sich an den letzten beiden Spieltagen elend abstrampeln, um dem bösen Schicksal des Abstiegs noch zu entgehen.

Bremen und Düsseldorf werden wohl Direktabstieg und Relegation unter sich auswürfeln, aber auch Mainz ist noch nicht ganz gesichert und selbst Augsburg und Köln könnten noch, wenn alles ganz schief läuft, in die Relegation verbannt werden.

Hertha und Union spielen nur noch um die Stadtmeisterschaft, die eigentlich Hertha nach 0:1 und 4:0 gewonnen hat. Aber jetzt streiten die Neunmalklugen, ob am Ende nicht etwa der Tabellenplatz über diese erfundene Nichtmeisterschaft entscheidet. Und da dürfte Union die besseren Karten haben, denn aus den Spielen gegen Hoffenheim und Düsseldorf kann man mehr zählbares holen als gegen Leverkusen (Standardergebnis zu Hause 2:6) und Mönchengladbach. Mal sehen: Wenn Union am letzten Spieltag Herthas Feindbild Düsseldorf in die zweite Liga schickt, könnten einige Hertha-Fans vielleicht wieder Frieden mit den rot-weißen Köpenickern schließen. So wie es früher einmal war, bevor die beiden Lager durch Boulevardpresse und Hitzköpfe auf beiden Seiten in die „Feind“schaft getrieben wurden.

Immerhin: Holt Hertha auch nur einen Punkt aus den letzten beiden Spielen, haben sie erstmals seit Favres Zeiten 2009 mehr als 19 Punkte (wie in den letzten drei Spielzeiten) in der Rückrunde geholt.

Wäre das schon das Ende des Rückrunden-Fluchs? Und hat diesen eigentlich Favre selbst ausgesprochen, als er von Herthas damaligem und heutigen Manager Preetz als eine von dessen ersten Amtshandlungen entlassen wurde? Oder war Dieter Hoeneß vielleicht sogar der Übeltäter? Flüche gibt es ja so einige, sei es bei den Boston Red Sox oder Benfica Lissabon. Wer dran glauben will, ist sicher enttäuscht, wenn er denn durchbrochen wird. In diesem Sinne müsste Hertha gegen Leverkusen etwas reißen, um den Paranoikern und Verschwörungstheoretikern mal zu zeigen, was eine Berliner Harke ist. Aber richtig dran glauben kann man eigentlich nicht. Fluch ist schließlich Fluch…

Werder gegen HSV?

Der Kampf um die Meisterschaft? Gääähn! Zum 24. Mal das Pokalfinale mit Bayern München? Wie öde!

Aber immerhin gibt es noch ein bisschen Spannung, wenn es um Auf- und Abstieg und die kommenden Relegationen geht, falls Corona nicht dazwischenfunkt. Wenn Werder Bremen wirklich in die allseits erwünschte Relegation mit dem HSV als Zweitliga-Dritten will, müssen sie am Wochenende in Paderborn gewinnen. Ansonsten könnte es auch Düsseldorf schaffen, sich in Extra-Spielen beweisen zu müssen. Obwohl der während der 2012-er Relegation gegen Hertha während des Spiels ausgebuddelte Elfmeterpunkt inzwischen wieder nachgewachsen sein soll und auch ein kompletter Satz Eckfahnen zur Verfügung steht, würde man aus Hertha-Sicht einen Abstieg der Fortuna nicht direkt beweinen, obwohl ein erster Abstieg nach dem Skandal ja schon verdientermaßen im darauf folgenden Jahr realisiert wurde. Ohne Publikum, das ein Relegations-Rückspiel je nach Bedarfslage unterbrechen kann, würde es für Düsseldorf sehr schwer werden. Es kann aber auch sein, dass der HSV, wie eigentlich erwartet, auch mit einem Trainerfuchs an der Seitenlinie, in hanseatischer Arroganz und Überheblichkeit selbst den dritten Platz zugunsten des 1.FC Heidenheim verspielt. Dann würden die Sympathiekarten natürlich neu gemischt werden.

Auch in Liga drei können sich noch einige Altmeister Hoffnungen auf einen Relegationsplatz machen: Eintracht Braunschweig, 1860 München und selbst Hansa Rostock und KFC Uerdingen haben noch realistische Chancen. Wenigstens für etwas Spannung ist also gesorgt.

Und Hertha? Sieht zu, wie sich die anderen echauffieren oder zittern. Labbadias vorgezogene Verpflichtung war ein Griff ins Goldtöpfchen. Preetz hat alles richtig gemacht und seine „Fehler“ (nennen wir es lieber „unglückliche Entscheidungen“) zu Saison-Beginn mehr als wett gemacht.

Übrigens: Morgen ist das Eröffnungsspiel der Fußball-Europameisterschaft 2020. Wenn nicht irgendwas dazwischenkommt…