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Die Fahnenküsser

Man kennt die Geste: Der Spieler erzielt ein Tor, rennt Richtung Eckfahne und küsst das Vereinswappen, bei der Hertha die Fahne. Soll bedeuten: Oh, wie liebe ich diesen Verein, dir werde ich immer treu sein…Die Halbwertszeit dieser Gesten beträgt normalerweise die Zeit, die noch bis zum Schlusspfiff des Schiedsrichters verbleibt. Am selben Abend kann es schon das Treffen des Spielers mit dem Berater und Funktionären eines anderen Vereins geben, auf dem über den Wechsel zu wahrscheinlich lukrativeren Fleischtöpfen verhandelt wird.

Bence Dardai und Ibrahim Maza, beide stolze 18 Jahre alt, werden Hertha BSC, den Verein, der sie geformt und bis in die erste bzw. zweite Liga des Profifußballs geführt hat, wahrscheinlich zum Saisonende verlassen. Ein herber Rückschritt auf dem Berliner Weg, der in dieser Übergangssaison bis zu sieben in Berlin geborene und hier ausgebildete Spieler in die Mannschaft gebracht hat? Ja und nein. Natürlich wäre es schade, wenn ein so überragendes Talent wie Maza ( Bence Dardai blieb es in seinen bisherigen Profieinsätzen meist schuldig) den Verein verlassen würde. Andererseits kommen auch wieder andere Spieler nach und drängen nach oben.

Über die charakterlichen Qualitäten solcher jungen Leute muss man sich keinerlei Illusionen machen. Wenn man bei der erstbesten Gelegenheit nach dem großen Geld schielt und die bisherige Lebensvergangenheit in die Tonne tritt (die überragende Nachwuchsarbeit bei Hertha hat ja das Interesse anderer Vereine erst möglich gemacht), würde man auch in der Zukunft vielleicht mehr Enttäuschungen als Erfolge bringen.

Warum können diese Menschen nicht ein, zwei Jahre warten? Wenn dann der Aufstieg von Hertha partout nicht klappen sollte, kann man immer noch in jungen Jahren wechseln. Etwar anders stellt sich die Situation bei Fabian Reese dar, der mit 26 Jahren nicht mehr sooo viel Zeit hat für die ganz große Karriere. Ihm dürfte man einen Wechsel, auch schon zum Saisonende, nicht übelnehmen.

Was ist denn aus den Spielern geworden, die Hertha groß gemacht hat und die bei erster Gelegenheit von Bord gingen?

Ein Sascha Bigalke wurde immerhin ein guter Drittligaspieler bei Unterhaching. Christopher Schorch ging zu Real Madrids zweiter Mannschaft und versaute sich dort die Karriere, Lazar Samardzic wollte bei RB Leipzig groß rauskommen. Hört man noch was von ihm? Yanni Regäsel ging zur Frankfurter Eintracht und ging dort unter. Genau wie letztens der Fahnenküsser Ngangkam, der ganz begeistert nach den ersten Wochen in Frankfurt war und jetzt schon weiterverliehen wurde.

Einzig Luca Netz spielt regelmäßig bei Gladbach und ein Hany Mukhtar ist zumindest in den USA eine große Nummer. Auch Arne Maier, den viele schon als kommenden Nationalspieler sahen, spielt immerhin meist bei Augsburg in der ersten Liga, wenn er nicht verletzt ist.

In der Mehrzahl der Fälle geht ein Wechsel in die Fremde mit so jungen Jahren schief. Wir werden den Weg von Bence Dardai und Maza aufmerksam verfolgen und unsere Schadenfreude nicht verbergen, wenn dieser Weg ins Abseits führt.

Der Konstrukteur der diesjährigen Meistermannschaft, Simon Rolfes von Bayer Leverkusen, empfahl Nachwuchsspielern mal, dass sie in den ersten Profijahren mit einem Lehrergehalt (das für einen Teller warme Suppe zum Mittag angeblich ausreichen soll) auskommen und den Rest vernünftig anlegen sollten. Aber Rolfes ist ein intelligenter und vernunftbegabter Mensch. Von Spielern, die mit 18 Jahren nur auf die erste Million auf ihrem Konto schauen, kann man das nicht unbedingt behaupten…

Konstanz fehlt

Nein, es ist nicht die schöne Stadt am Bodensee gemeint, wenn von fehlender Konstanz die Rede ist. Aus Gründen, die auch Trainer Dardai nicht versteht, bzw. als „Kopfsache“ identifiziert, spielt die Mannschaft, teilweise innerhalb eines Spieles, alles zwischen Bundes- und Oberliga. Wenn man das abstellen könnte, aber in dieser Saison wird das sicher nicht mehr gelingen, könnte man in der Tabelle an ganz anderer Position stehen. Nach dem Magdeburg-Spiel war man nur sechs Punkte vom Relegationsplatz entfernt. Hätte man nur eines der beiden Spiele gegen den HSV gewonnen, wäre man mit den Hamburgern punktgleich gewesen. Es gab zwar noch ein paar andere Mannschaften, die vor Hertha gestanden hätten, aber auch diese wären bei etwas ausgeglicheneren Leistungen distanziert worden. Bei mittlerweile acht Punkten Rückstand auf Rang 3 verbietet sich jede Träumerei. Wenn alles halbwegs normal läuft, wird Hertha am Saisonende mit ca. 51 Punkten (dafür muss man 5 von 11 Spielen gewinnen und drei Unentschieden erreichen, was ambitioniert genug ist) zwischen Rang 6 und 9 auflaufen. Das ist genau das, was Dardai jenseits allen Wunschdenkens stets als realistisch betrachtet hatte. Wenn sich im nächsten Jahr die jungen Spieler Ernst, Gechter, Eitschberger (jetzt verliehen), Klemens, Winkler, die drei Dardais, Maza, Hussein, Ibrahim, Hoffmann, Scherhandt und Christensen weiterentwickelt haben werden, wird sich die Schwankungsbreite der Leistungen vielleicht verringern. Dann kann man eventuell auch wieder nach oben sehen. Immerhin scheint der Abstieg in Liga 3 mit derzeit 11 Punkten Vorsprung auf den Relegationsplatz kein Thema mehr zu seien. Die sieben Punkte bis zur 40-er-Marke, die einen Abstieg faktisch ausschließen, werden ja wohl zu holen sein. Die ersten drei am Besten schon gegen Holstein Kiel. Auch wenn man den sympathischen Norddeutschen den Aufstieg (als erstem Verein aus Schleswig Holstein!) gönnen würde…

Oben oder unten?

Innerhalb von drei Tagen sind alle Herthaträume wie Seifenblasen zerplatzt. Nach dem Ausscheiden aus dem Pokal ist mit der Niederlage gegen den HSV auch die kleine Aufstiegschance nur noch theoretischer Natur. Bei zehn Punkten Rückstand auf den Aufstiegs-Relegationsplatz und nur noch sechs Punkten Vorsprung auf den Abstiegs-Relegationsplatz müsste jedem klar sein, worauf man in den nächsten Wochen den Fokus legen sollte. Natürlich dürfte es unwahrscheinlich sein, dass Hertha nicht noch wenigstens fünf der letzten 14 Spiele gewinnt, um dann mit 41 Punkten nach menschlichem Ermessen nicht mehr absteigen zu können. Aber es gab ja auch schon Rückrunden, in denen genau das nicht gelang, wenn auch in der ersten Liga.

Wir wollen nicht unken. Am Saisonende wird Hertha, wenn nicht noch etwas ganz außergewöhnliches passiert, zwischen dem 8. und 12. Tabellenplatz eintrudeln. Allerdings ohne die Aussicht, sich in den kommenden Spielzeiten extrem steigern zu können, wenn man sich nur den Abgang von Reese vor Augen führt, der momentan 50 % des Hertha-Spiels ausmacht. Der blödsinnige Spruch, dass ein Spieler, wenn er mal zwei Tore geschossen hat, den Gegner „fast im Alleingang“ besiegt hätte: Hier wird er ausnahmsweise Realität. Und angesichts klammer Kassen dürfte Besserung kaum erfolgen, es sei denn, der Berliner Weg biegt durch überragende Talente auf eine nicht geahnte Zielgerade ein. Möglich wäre es. Mit einem guten linken Verteidiger (Karbownik scheint eine Position offensiver viel besser eingesetzt) und mit Gechter, Eitschberger oder Dardai neben Leistner anstelle des unbeständigen Kempf könnte man zumindest die Abwehr stabilisieren. Und es war ja die Abwehr, die die Spiele gegen Hannover, Nürnberg, Rostock nicht gewonnen und jüngst gegen Kaiserslautern und den HSV verloren hat. Vorne reicht ein Tor, das auch ohne einen Reese-Fußballgott möglich ist, wenn hinten die Null steht.

Fazit: Es hätte ja auch viel schlimmer kommen können, wenn wir uns daran erinnern, dass ein Neustart in der 4. Liga nach einer Insolvenz im Sommer 2023 nicht ausgeschlossen war. Nehmen wir einen Mittelfeldplatz in diesem Jahr als Grundlage für eine Aufstiegsperspektive in zwei oder drei Jahren als gegeben hin. Ein Punkt in Fürth am Wochenende wäre natürlich ein großer Schritt in diese Richtung. Und bei einem Auswärtssieg schielen bestimmt wieder alle in Richtung Platz 3. Die Frage bleibt, ob Dardai wackelt, wenn auch das sechste Spiel in Serie nicht gewonnen wird. Oder gehört Dardai grundsätzlich zum Berliner Weg?

Unnötiger Pokal-k.o.

Der Bruder sagt nach der Pokal-Niederlage gegen Kaiserslautern, was er seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten sagt: In unserem Restleben werden wir es nicht mehr erleben, dass Hertha einen Titel gewinnt (Zweitligameisterschaft mal außen vor gelassen). Man soll ja nie „Nie“ sagen, aber wahrscheinlich muss man dem Bruder, auch wenn man es äußerst ungern tut, recht geben. Selten war die Chance, zumindest den Pokal zu gewinnen, oder wenigstens ins seit 1985 in Berlin stattfindende Endspiel zu kommen, so groß wie in diesem Jahr, wo die üblichen Verdächtigen, wie Dortmund, Bayern und Leipzig, bereits ausgeschieden waren.

War es wirklich so selten?

1975 war Hertha, was die meisten der Spätgeborenen gar nicht wissen, Vizemeister. Zwar lag man am Ende mit sechs Punkten recht deutlich hinter Borussia Mönchengladbach (Zwei Punkte-Regel), aber im Verlaufe der Saison war das eine knappe Kiste. Allerdings war von Euphorie damals in der Stadt nichts zu spüren. Die Nachwirkungen des Bundesliga-Skandals von 1971 waren nirgends größer als in Berlin.

Noch näher am Titel waren die Herthaner 1977 und 1979, als sie im Endspiel des DFB-Pokals jeweils knapp unterlagen: 1977 erst im Wiederholungsspiel (!) mit 0:1 gegen Köln, wo Hertha ein klarer Elfmeter verweigert und ein reguläres Tor aberkannt wurde. Der ruhige Zeitgenosse Ete Beer läuft immer noch fast Amok, wenn er von diesem Skandal berichtet. 1979 verlor man 0:1 gegen Düsseldorf, als Uwe Kliemann in der Verlängerung meinte, dem Torwart Nigbur einen Ball zuspielen zu sollen, obwohl sich ein Düsseldorfer Spieler in Torwartnähe aufhielt. Schief gegangen!

Der letzte Anlauf von Hertha auf einen Titel, der natürlich wieder nach dem Motto „Knapp daneben ist auch vorbei“ verlief, ist noch gar nicht so lange her. Wundertrainer Favre (das ist nicht mal ironisch gemeint) formte einen Titelanwärter, indem er das machte, was ein Jürgen Klinsmann immer gerne machen wollte, aber nie geschafft hat: Jeden Spieler jeden Tag ein bisschen besser zu machen! 2009 lag Hertha zwar wieder sechs Punkte hinter Wolfsburg (Drei-Punkte-Regel), wurde aber in Wolfsburg von Knut Kirchner verschoben, als er ein klares Foul vorm Wolfsburger 1:0-Siegtreffer nicht ahndete. Beim 0:0 wären es nur drei Punkte gewesen, und die hätte man im letzten Spiel gegen die schon abgestiegenen Karlsruher geholt, wenn man nicht völlig frustriert gewesen und 0:4 verloren hätte.

Im Pokal war man immerhin neben den beiden Endspielen (Hertha-Bubis natürlich 1993 nicht zu vergessen) auch 1964, 1976, 1981 und 2016 im Halbfinale und verlor jeweils. 2016 auch unter Dardai als Trainer, als nach Angsthasen-Fußball gegen Dortmund im Olympiastadion 0:3 verloren wurde.

Und 2024? Wieder nichts, trotz 20:13 Schüssen und 7:5 Torschüssen, trotz 70 % Ballbesitz, 588 : 262 Pässen und 79 % : 56 % Passgenauigkeit. Aber als Hertha nach verschlafener erster Halbzeit mit Reese munter das 1:2 ansteuerte, versetzte Bouchalakis mit seinem „Eigentor“-Fehlpass Hertha den K.o. Und Dardai hat recht, wenn er sagt, dass individuelle Fehler nicht (ab-)trainierbar sind. Aber ob Experimente wie eine Dreierkette ausgerechnet vor 74.000 Zuschauern gemacht werden müssen, ist zumindest diskutierbar…

Herthas Nicht-Abwehr…

Es war wohl auf der Pressekonferenz nach dem dritten Dardai-Einstand als Hertha-Trainer, nach dem desaströsen 2:4 gegen Werder Bremen, das auch gerne ein 0:8 hätte sein können: Dardai belehrte die Journalisten, dass man als Abwehrspieler nicht Fußballspielen können, sondern nur diszipliniert sein müsse. Dardai steigerte sich in gewohnte Launenhaftigkeit, indem er der anwesenden Journaille zurief, dass er sie ( die Sportjournalisten!) innerhalb von drei Wochen fit für die Abwehr machen könne, wenn sie nur wollten. Im Prinzip hatte Dardai natürlich recht, wie Weise im Prinzip immer recht haben. Dardai hat es dann trotzdem nicht mit den Journalisten versucht die Bundesliga zu halten, sondern mit seinen hochbezahlten Profis, was bekanntermaßen nicht ganz gelang. Jetzt hat Dardai, außer Kempf und Kenny, weniger hoch bezahlte Angestellte in seiner Abwehr und spielt gegen Gegner, die in der Regel nicht Erstliganiveau besitzen und es passiert genau das Gleiche: Die Abwehr ist regelmäßig ungeordnet und für Konter anfällig, kurz gesagt: Undiszipliniert. Denn dass Dardai die Abwehr so schlecht einstellt, ist unwahrscheinlich. Wie schon gegen Magdeburg, Nürnberg, Rostock, KSC und Hannover verschenkte man nun auch in Wiesbaden wichtige Punkte, weil ein eigentlich dominant bestimmtes Spiel durch Gegentore nach Kontern aus der Hand gegeben wurde. Entweder wird außen nicht rechtzeitig gestört und am Flanken gehindert (Kenny, Zeefuik oder Karbownik) oder die Abwehrspieler klären unsauber vor der Abwehr oder lassen die Stürmer ungehindert schießen (Kempf, Leistner) oder die Innenverteidigung steht beim schnellen Gegenangriff zu weit auseinander, so dass die Mitte offen wie ein Scheunentor ist.

Es muss für Dardai auch zum Verzweifeln sein. Vielleicht sollte er aber auch das Experimentieren und ständige Umstellen lassen und eine Abwehrformation sich einspielen lassen. Kempf, der offenbar nicht immer bei der Sache ist, weil er sich zu Höherem berufen fühlt, sollte raus und Marton Dardai stattdessen rein. Auf der Sechser-Position hat Hertha einige Alternativen. Eine eingespielte Formation mit Kenny, Dardai, Leistner und Karbownik sollte deutlich weniger Fehler als bisher machen.

Der Aufstieg, wenigstens Relegationsplatz Drei, dürfte mit der überflüssigen Niederlage in Wiesbaden verspielt sein. Aber für die Zukunft sollte eine sichere Abwehr das Ziel sein. Denn alle wissen: Der Angriff entscheidet Spiele, die Abwehr entscheidet die Meisterschaft…

Der Berliner Weg – Bernsteins Vermächtnis

In der Saison 2001/2002 spielten für die blauweißen Farben u.a.: Christian Fiedler, Marko Rehmer, Andreas Schmidt, Stefan Beinlich, Michael Hartmann, Thorben Marx und Zecke Neuendorf. Sieben Spieler, die alle in Berlin und Umgebung geboren wurden. Ein Jahr später stieß Benjamin Köhler, zwei Jahre danach noch Sofian Chahed und Malik Fahti dazu. Vor zwanzig Jahren ist Hertha, als man in der Bundesliga regelmäßig Gast des UEFA-Pokals (heute Europa-League) war, schon einmal den Berliner Weg gegangen und zwar höchst erfolgreich. Wie sich ein Manager namens Fredi Bobic hinstellen kann und ein gewünschtes stärkeres Einbinden Berliner Talente als „romantische Träumerei“ verunglimpfen kann, ist vor diesem Hintergrund unverständlich, wenn man es nicht, der Höflichkeit wegen, als dumm bezeichnen möchte. Der große Vorteil des Berliner Wegs liegt ja nicht nur darin begründet, dass Ablösesummen in der Regel wegfallen und die Gehälter, zumindest am Beginn der Karriere, moderat sind. Noch wichtiger ist ja der Aspekt der Identifizierung mit dem Verein (dem die Spieler oftmals seit ihrem zehnten, zwölften Lebensjahr angehören). Und schon seit dem 1954-er WM-Gewinn von Sepp Herbergers Elf wissen wir, dass der Spruch „Mentalität schlägt Qualität“, auch wenn das damals nicht so genannt wurde, eine gewisse Berechtigung hat. Auch wenn man ehrlicher Weise „schlägt“ durch „kann schlagen“ ersetzen müsste. Sonst würde ja Bayern München fast jedes Spiel verlieren und nicht gewinnen. Trotzdem: Spieler, die nicht ausschließlich auf Karriere und Kontoauszug starren, bringen im Durchschnitt mehr Leistung.

Kay Bernstein hat den Berliner Weg sicher in erster Linie wegen des finanziellen Aspekts in den Focus gerückt. Dass dieser Weg alternativlos und deshalb in der Hertha-Gemeinde weitgehend unumstritten ist, macht Bernsteins Verdienst um das Umsteuern der Vereinspolitik nicht geringer. Nach den Jahren des Wahnsinns und der Geldverbrennung musste der Verein wieder geerdet werden. Das hat Kay Bernstein geschafft und das bleibt nach seinem unfassbaren Tod, der ihn aus der Mitte des Lebens gerissen hat, für immer Teil der Hertha-Geschichte.

Der Berliner Weg ist richtig. Und er wird erfolgreich sein!

Was haben Reese?

Als Fabian Reese Mitte Dezember gegen den VfL Osnabrück wegen eines „Infektes“ nicht mitspielen konnte, ahnte man zwar, dass die Alte Dame ohne ihren besten Spieler Probleme bekommen könnte (was sich dann auch bestätigte), man wusste zum damaligen Zeitpunkt aber nicht, was unter einem Infekt zu verstehen war. In früheren Zeiten hätte man an einen grippalen Infekt oder schlimmstenfalls an eine Grippe gedacht, was eine Genesung nach einer Woche, höchstens aber 10 Tagen bedeutet hätte, wenn man auf Nummer sicher gehen will, da Sport während eines Infekts schnell zu einer lebensbedrohlichen Herzmuskelentzündung führen kann.

Um so erstaunter waren Fans und Öffentlichkeit, als Reese beim ersten Training im neuen Jahr fehlte und auch bekannt wurde, dass er das Trainingslager in Spanien versäumen wird. Hoppla! Das kann doch kein normaler „Infekt“ sein. Nun heißt es von Seiten des Vereins, dass Reeses Blutwerte nach einer Corona-Infektion noch nicht wieder normal seien.

Wenn das vier Wochen nach Krankheitsbeginn so ist, dann sollten alle Alarmglocken läuten. Eine Post-Covid oder Long-Corona-Erkrankung scheint nicht mehr ausgeschlossen. Das hieße nicht mehr und nicht weniger, als dass eine Genesung völlig unbestimmt ist, und der Termin erstmaliger körperlicher Belastung in den Sternen steht. Das vertrackte an der Situation ist, dass zwischen wenigen Wochen und vielen Monaten bis zur Gesundung alles möglich ist, im schlimmsten Fall eine dauerhafte körperliche Schädigung nicht ausgeschlossen werden kann!

Da kann man nur die Daumen drücken und hoffen, beten scheint laut BAP nicht zu helfen, kann aber wiederum auch nicht schaden.

Ins Reich der Verschwörungstheoretiker gehört natürlich die Annahme, dass sich Reese schon zur Winterpause mit einem neuen Verein einig ist und ein Wechsel unmittelbar bevorsteht. Wenn das wahr sein sollte, müsste man allerdings vom Glauben abfallen…

Still ruht der See

Auch die umtriebigsten Journalisten wollen mal ein paar Tage Ruhe haben, bevor sie sich wieder Geschichten, die das Leben nicht schrieb, ausdenken müssen, um ihr schmales Gehalt aufzubessern. Keine Zugänge, keine Abgänge bei Hertha im Blick. Offensichtlich nahmen sich die Verantwortlichen das Weihnachtslied „Schlaf in himmlischer Ruh…“ wörtlich zu Herzen. Und das ist auch gut so. Schließlich gibt es nur wenig Handlungsbedarf im Kader, wenn man davon absieht, dass die selten oder nicht berücksichtigten Maolida, Nsona und Lucoqui gehen könnten und für das gesparte Gehalt andere, hoffentlich bessere Spieler verpflichtet werden könnten.

Denn natürlich gibt es Handlungsbedarf in der Abwehr (ein sicherer Linksverteidiger, wie wäre es eigentlich mit Plattenhardt, wenn er ein Zweitligagehalt akzeptieren würde) und im kreativen Mittelfeld. Aber auch mit den derzeit vorhandenen Spielern wird Hertha die Saison beenden können, allerdings dürfte ein Aufstieg nur bei sensationellem Verlauf der Rückrunde denkbar sein.

Immerhin: Ein Einzug ins Halbfinale des DFB-Pokals ist nach dem Heimspiel gegen den 1.FC Kaiserslautern denkbar.

Und ein Aufstieg ist in dieser Saison kein Muss. Wenn wir an die Monate Juni, Juli, August 2023 zurückdenken, als auch die 4. Liga oder gar die Totalinsolvenz mit Wiederanfang in der Kreisliga C (11. Liga) im Raum standen, ist die jetzige Situation doch geradezu großartig.

Die Journalisten können bis zum 21. Januar, wenn Fortuna Düsseldorf erstmals seit dem Mai 2012, dem Hinspiel der legendären Relegation mit dem Skandalrückspiel, ins Olympiastadion kommt, ruhig weiterschlafen. Auch wenn es vielleicht nur die Ruhe vor dem Sturm sein könnte. Dem Sturm in Richtung Endspiel und Aufstieg…

Die Jagd auf Reese

Dass man Wildschweine und Rotwild im Winter, außerhalb der Schonzeit, jagen kann, war mir bekannt. Dass man die Jagd auch auf Menschen eröffnen kann, zumal wenn ihre kriminellen Aktivitäten gleich Null sind, war mir neu: Ein nicht zu benennender Sportsender geht mit der Schlagzeile an die interessierte Öffentlichkeit, dass Bremen und Köln die Jagd auf Reese eröffnet hätten. Bremen und Köln? Da lachen ja die Hühner! Wenn Bayern München mit einer 20-Millionen-Offerte winken würde, müssten sich die Verantwortlichen zusammensetzen und beraten, ob das dringend benötigte Kleingeld wichtiger als ein möglicher Aufstieg wäre. Aber Bremen und Köln, die selber kein Geld haben und gegen den Abstieg kämpfen? Reese wird doch einen Teufel tun, sich mit solchen Angeboten überhaupt zu beschäftigen, wenn er nicht vom Regen in die Traufe kommen will. Voriges Jahr unterschrieb er als Zweitligaspieler einen Vertrag bei einem Erstligisten, weil Leistung und Charakter in einer höheren Liga besser zur Geltung kommen können. Es kam wegen Herthas Abstieg anders als gedacht. Reese erfüllt aber seinen Vertrag, und zwar bis jetzt zu mehr als 100 Prozent. Wenn er jetzt wieder von einem Zweitligisten zu einem abstiegsbedrohten Noch-Erstligisten wechseln würde, müsste man an seinem Geisteszustand zweifeln. Wer Reese in Interviews hört, weiß, dass er ein wacher, intelligenter und ehrlicher Typ ist. Ein Wechsel in der Winterpause, auf jeden Fall zu Köln oder Werder, erscheint also völlig ausgeschlossen. Zumal er bei Hertha mit Sicherheit ein Erstligagehalt im Millionenbereich bezieht, irgendwo muss das Geld für den zweitteuersten Kader der 2. Liga ja schließlich bleiben.

Vor der Winterpause, bevor es Ende Januar bei Schnee, Eis und Kälte wieder losgeht (in früheren Vor-Klimawandel-Zeiten war das sehr zuverlässig so), ist noch das schwerste Spiel der Saison zu spielen („Das nächste Spiel ist immer das Schwerste.“, sagte Sepp Herberger, und der musste es schließlich wissen): Gegen den Tabellenletzten Osnabrück erwarten alle natürlich einen (hohen) Sieg. Aber abgesehen davon, dass die Osnabrücker mit neuem Trainer im letzten Spiel dem souveränen Tabellenführer St. Pauli ein 1:1 abrangen, gegen den Hertha zuhause sang und klanglos 1:2 verlor, ist es so einfach eben nicht. Und Hertha war in der Vergangenheit prädestiniert dafür, gerade solche Spiel zu vergeigen. Aber Hertha macht diese Saison ja vieles anders. Gewinnt z.B. Pokalspiele. Mit Verlängerung. Im Elfmeterschießen. Und das nächste Auswärtsspiel gleich noch dazu.

Mit derzeit 24 Punkten liegt Hertha momentan vier Punkte hinter dem Relegationsplatz und acht Punkte hinter einem direkten Aufstiegsplatz. Wenn Osnabrück besiegt werden würde, würde Hertha genau da stehen, wo sie Pal Dardai auf der Mitgliederversammlung mit Seherfähigkeiten hinzaubern wollte: „Weihnachten wollen wir noch die Möglichkeit für etwas Schönes haben…“ Besser kann man es nicht ausdrücken…

Leistungsvergleich gegen den HSV

Nach dem vom Verlauf her sensationellen Pokalspiel gegen den HSV kann man feststellen, dass Hertha nicht mehr, wie am dritten Spieltag der Saison, eine Klasse schlechter als der ewige Aufstiegsaspirant Hamburger Sport Verein ist. Im August war Hertha mit dem 0 : 3 in Hamburg noch gut bedient, diesmal endete das Spiel nach 90 Minuten Unentschieden 2 : 2. Das heißt, dass die Abwehr besser und der Angriff zielstrebiger war als vor vier Monaten. Natürlich hatte Hertha 20 schlechte Minuten, als zwischen der 25. und 45. Minute die Hamburger Überlegenheit geradezu erschreckend war. Aber dass Hertha in der 2. Halbzeit zurückkam, den Druck ständig erhöhte, Chancen herausspielte, bis zum Umfallen kämpfte, um schließlich mit dem verdienten Ausgleich belohnt zu werden: Das zeigt, dass sich eine ganz neue Mannschaft gefunden hat. Verdienst von Dardai mit seinem Trainerteam und Benny Weber, der den Kader offensichtlich nach den richtigen Kriterien zusammengestellt hat: a) kann der Spieler den Ball über 10 m geradeaus spielen, b) kostet er weniger als die Hälfte des bisher auf seiner Position Spielenden und c) ist der Junge charakterlich in Ordnung.

Nach diesen Kriterien sollte man auch bei eventuellen Neuverpflichtungen in der Winter-Transferperiode vorgehen.

Auf der Torhüter- und Angriffsposition scheint der Bedarf am geringsten. Ernst hält souverän und Gersbeck wäre im Notfall nicht schlechter.

Tabakovic, Niederlechner, Prevljak und vor allem Reese sowie Winkler, Scherhant und Christensen spielen in verschiedenen Zusammensetzungen erfolgreich zusammen.

Kenny hat sich auf der rechten Verteidigerposition großartig entwickelt, schießt Tore, spielt tödliche Steilpässe, hat aber Defizite im Defensivverhalten. Ebenso links haben sowohl Zeefuik als auch Karbownik ihre Schwächen. Beide sind offensiver besser aufgehoben. In der Innenverteidigung gibt es neben Kempf und Leistner noch Marton Dardai und Linus Gechter, die den Berliner Weg bestens verkörpern. Und mit Eitschberger ist ein weiteres Berliner Talent, das schon Bundesligaerfahrung hat, ausgeliehen, um Spielpraxis zu sammeln.

Den größten Leistungssprung hat wohl Klemens auf der Sechs gemacht, der wie ein Alter spielt und trotz seiner Krämpfe in der Verlängerung einen Elfmeter sicher versenkt, was nach einer solchen Beeinträchtigung selten klappt. Und wer es sich leisten kann, einen Hussein und Bouchalakis auf der Bank zu lassen, hat auch im Mittelfeld nur wenige Probleme.

Fazit: Dringender Bedarf für Transfers besteht in der Winterpause nicht. Wenn man Jungnationalspieler Maolida (zwei Tore für die Komoren!) noch verhökern könnte (statt Ablöse zu kassieren könnte man einem aufnehmenden Verein noch ein Wechselgeld spendieren, wenn man den laut Dardai „faulsten Spieler“ endlich von der Gehaltsliste streichen könnte), wäre alles gut. Der Kader kann, wenn er weiter zusammenbleibt, spätestens in der nächsten Saison um den Aufstieg mitspielen. Ob in dieser Saison bei momentan sieben Punkten Rückstand noch etwas geht, steht in den Sternen. Aber wenn Hertha den jetzigen Dritten, den HSV, vom Relegationsplatz verdrängte, wären die Hamburger wieder einmal dort, wo sie sich eigentlich immer wohlgefühlt haben: Auf dem tragischen vierten Tabellenplatz…