Archiv der Kategorie: Hertha und die Nationalmannschaft

Herthaner der ersten Stunde

Gerade feierte man intensiv das 50-jährige Bestehen der Fußball-Bundesliga. Und nächstes Jahr ist es dann schon wieder 60 Jahre her, dass in Deutschland als letztem Land Europas eine zentrale Liga eingeführt wurde.

Von den jungen und nicht mehr ganz so jungen Hertha-Ultras kennt natürlich niemand mehr die elf Spieler, die am 24. August 1963 um 17 Uhr (!) zum ersten Spiel gegen den 1.FC Nürnberg antraten. Der spielte immerhin noch mit Weltmeister Max Morlock, war zwei Jahre zuvor Deutscher Meister geworden und mit acht Titeln deutscher Rekordmeister, quasi das Bayern München der ersten 60 Jahre „Deutsche Meisterschaft“.

Hertha spielte mit Wolfgang Tillich im Tor, „Verteidiger“, wie es damals hieß, waren Otto Rehhagel und Hans-Günter Schimmöller, „Läufer“ (heute Mittelfeldspieler, bzw. der Mittelläufer war Innenverteidiger, der den gegnerischen „Mittelstürmer“ (heute „Neuner“) in Manndeckung nahm) waren Peter Schlesinger, Hans Eder und Hansi Altendorff und im Sturm spielten Carl-Heinz Rühl, Uwe Klimaschewski, Harald Beyer, Helmut Faeder und Lutz Steinert.

Es waren wirklich nur diese elf, die spielten, denn auswechseln wurde erst Jahre später erlaubt. Wenn sich ein Spieler verletzte, spielte man zu zehnt weiter, oder der angeschlagene Spieler biss auf die Zähne und humpelte als Linksaußen herum.

Peter Schlesinger wurde zwar am ersten Spieltag eingesetzt, Stammspieler auf der Position des rechten Läufers wurde aber Lothar „Wanze“ Groß, nicht zu verwechseln mit Volkmar Groß, der von 1968 bis 1971 im Tor stand.

Da der erste Bundesligaspieltag fast 60 Jahre zurückliegt, müssen die Mitwirkenden demnach zwischen 80 und 90 Jahren sein. Die meisten wurden in den dreißiger Jahren geboren, haben also den 2. Weltkrieg als Kinder oder Jugendliche erlebt, waren aber nicht aktiv als Soldat beteiligt.

Wie es die Biologie nun mal so vorschreibt, leben nur noch vier der zwölf genannten Herthaner: Rehhagel (geboren 1938), Groß (1940), Klimaschewski (1938) und Steinert (1939). Verstorben sind Tillich (1939 – 1988, er wurde also nur 49 Jahre alt. Auf wikipedia wird keine Todesursache genannt. In dem Alter kann man aber eigentlich nur durch einen Unfall (das war nicht der Fall) oder an Krebs sterben), Schimmöller (1940 – 2016), Eder (1934 – 2022), Altendorff (1940 – 2016), Rühl (1939 – 2019), Beyer (1939 – 2017), Faeder, der erster Nationalspieler Herthas nach dem Krieg war, 1935 – 2014), Schlesinger (1937 – 2014).

Außer Rühl, Beyer, Rehhagel und Klimaschewski sind die anderen (mehr oder weniger) Berliner Jungs. Auch wenn Fredi Bobic den Gedanken absurd findet: Vielleicht sollte man einfach mal anstreben, wieder mehr auf Spieler zu setzen, die aus der Stadt oder zumindest aus der Region stammen. Das wäre mit Sicherheit preiswerter und für die Motivation durchaus förderlich. Und die Herthaner, die aus dem Fußballhimmel ihrer blauweißen Hertha bei den Spielen den Daumen drücken, würden das sicher auch ganz gerne sehen…

Die Karawane zieht weiter

Selten hat man eine Fußball-Weltmeisterschaft mit weniger Überraschungen erlebt. Da war in der Vorrunde der Sieg der Saudis über Argentinien. Aber am Ende waren die Südamerikaner trotzdem weiter und die Araber ausgeschieden.

Der Sieg von Japan gegen Deutschland kann ja nicht wirklich als Überraschung gewertet werden.

Eher noch der Sieg Australiens gegen Dänemark und das absurde 1:0 Costa Ricas gegen Japan. Absurd deshalb, weil die Mittelamerikaner sich in 100 Minuten genau zweimal in die gegnerische Hälfte wagten. Dass Marokko Belgien schlug ist sicher als ungewöhnlich zu bewerten, wenn man sich die Weltranglisten-Plätze ansieht: Belgien 2, Marokko 23. Aber die besten Zeiten der Roten Teufel sind eben vorbei. Und dass Südkorea Portugal schlägt ist auch keine Sensation. Schließlich haben die Asiaten bei der letzten WM schon Fußball-Weltmacht Deutschland aus dem Turnier gekegelt.

Und im Achtelfinale? Sieben Favoritensiege und Marokkos Elfmeterdemonstration gegen Spanier, die Elfmeterschießen angeblich seit einem halben Jahr geübt hatten. Merke: Allzuviel ist niemals gut.

Nach menschlichem Ermessen läuft alles auf ein Finale Brasilien gegen Frankreich hinaus. Aber vielleicht kommen die Sensationen ja jetzt. Marokko gegen Kroatien wäre auch ein schönes Endspiel.

P.S.: Jegliche Kritik am Turnier war mit Sicherheit berechtigt, von der gekauften Vergabe an ein Land ohne Fußballtradition bis zur Menschenrechtslage. Aber offenbar ist es bei uns niemandem aufgefallen, dass Deutschland mit dem Hervorheben der Kritik über das Sportliche international total isoliert dastand. Und wie sangen schon Ton Steine Scherben: „Allein machen sie dich ein…“

Die Durchschnitts-Mannschaft

Wie sagte doch der große Fußball-Weise Pal Dardai: „Fußball besteht zu 30 % aus Glück“ Oder aus Pech, könnte man genauso sagen, wenn man das Glück nicht auf seiner Seite hat.

Natürlich ist es Pech, dass der Siegtreffer Japans gegen Spanien offensichtlich irregulär war. Natürlich ist es Pech, wenn man gegen Costa Rica dreimal Pfosten oder Latte trifft. Es hat auch mit Pech zu tun, wenn man zwanzig (gegen Japan) oder dreißig (gegen Costa Rica) Torschüsse kreiert und die Bälle überall hin, aber nicht ins Tor gehen. Hier kann man jedoch schon mal einwerfen, dass zum Pech auch die fehlende Fähigkeit kommt, zu finalisieren, wie es neudeutsch so schön heißt. Das ist ein Phänomen, das die Nationalmannschaft nicht erst seit gestern mit sich herumschleppt. Das war schon gegen Südkorea 2018 der Fall. Genauso sind die Gegentreffer gegen Japan und Costa Rica keinesfalls mit Pech zu begründen, sondern mit einer Abwehr, die seit mindestens sechs Jahren fast immer wacklige Phasen hatte, ausgerechnet im Spiel gegen Spanien allerdings nicht, was zeigt, dass es, theoretisch zumindest, auch ginge. Fehlende Konzentration gegen vermeintlich Schwächere? Fehlende internationale Klasse? Letztlich nicht zu analysieren, da können die Verantwortlichen nach der WM lange diskutieren.

Apropos Verantwortliche. Da sind sie wieder alle da, die neunmalklugen Besserwisser. Flick muss zurücktreten, weil er ständig in der Abwehr rotiert und Füllkrug nicht einsetzt. Bierhoff muss zurücktreten, weil der Bindenrummel der Mannschaft die Konzentration geraubt hat. Muss der Chefkoch eigentlich auch zurücktreten? Es ist nicht bewiesen und nicht beweisbar, dass, wenn Flick und Bierhoff anders gehandelt hätten, die Mannschaft anders gespielt hätte. Geht ein Ball ins Tor statt knapp darüber (Musiala: mindestens fünf Mal), wenn es statt Eierkuchen Rührei gibt? Bzw., wenn statt Müller Füllkrug daneben steht? Es ist alles Spekulation.

Und wie anders wären die Kommentare gewesen, wenn die deutsche Mannschaft, die ja beileibe nicht so schwach wie 2018 in Russland gespielt hat, das Achtelfinale erreicht hätte! Bei gleicher Leistung wäre die Bewertung eine völlig andere gewesen. Dass Spiele nur und ausschließlich vom Ergebnis her beurteilt werden, ist ein Phänomen im Journalismus (und bei den „Fans“), das zwar dem Zeitgeist entspricht, nicht aber dem Verständnis des Bloggenden vom Fußball.

Eins ist aber klar: Deutschland ist nicht umsonst momentan nur 11. der Weltrangliste. Die Zeiten, wo ein Einzug ins Halbfinale einer WM sozusagen Standard war, sind lange vorbei. Die Ergebnisse der Mannschaft gegen Gegner der internationalen Spitze sind seit langem nur mäßig. Insofern war das Gerede über den angepeilten fünften Stern nur Pfeifen im Wald. Das Achtelfinale hätte durchaus erreicht werden können, aber ob man gegen Marokkos pfeilschnelle Konterspieler eine Chance gehabt hätte, wird leider immer unklar bleiben.

Ein kleiner Trost für Statistiker: Deutschland ist die beste der 16 ausgeschiedenen Mannschaften. Besser als Dänemark (FIFA-Rang 10) und auch besser als Belgien (FIFA-Rang 2). Und besser als die pausierenden Italiener sowieso.

Und in der „ewigen“ WM-Rangliste ist Deutschland nach wie vor glorreicher Zweiter. Nur, dass diese Zeiten eben schon fast ein Jahrzehnt zurückliegen. Man sollte sich nicht auf den Meriten von anno dazumal ausruhen…

Erster oder Zweiter?

Was soll die Frage? Alle (deutsche) Welt hofft, dass sich die Spanier im letzten Gruppenspiel nicht hängenlassen, bzw. nicht, wie die Franzosen gegen Tunesien, mit einer B-Elf antreten. Denn wenn Spanien verliert, hätte Japan sechs Punkte und wäre von Deutschland, einen Sieg gegen Costa Rica vorausgesetzt, nicht mehr einzuholen.

Aber was ist denn mit den Spaniern? Die hätten im Falle einer Niederlage vier Punkte, genau soviel wie Deutschland, wenn sie gewännen. Aber natürlich haben sie ein uneinholbares Torverhältnis!

Uneinholbar?

Wer zu den ganz Harten gehört und sich das Spiel Japan gegen Costa Rica in voller Länge angesehen hat, kommt zu der Erkenntnis, dass auch ein hoher Sieg gegen dieses Team, das zweimal höchstens unteres Zweitliganiveau zeigte, bei konzentrierter Herangehensweise durchaus möglich ist. Wie diese Mannschaft Japan schlagen konnte, wird in die Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaften als ewiges Rätsel eingehen. Wenn man konsequentes Tempospiel über die Außen von der ersten Sekunde an durchzieht, können zwei, drei Tore in der ersten Halbzeit fallen. Alles weitere wäre dann ein Selbstläufer. Die Tore fallen dann zwangsläufig.

Wie viele Tore müssten es sein?

Wenn Spanien verliert, haben sie bestenfalls eine Tordifferenz von +6. Deutschland müsste dafür sieben Tore schießen und wäre damit gleich, um auf Nummer sicher zu gehen, wäre also ein 8 : 0 nötig. Das hört sich utopisch an, ist aber, angesichts der Schwäche des Gegners, nicht unmöglich.

Möglich, und vielleicht sogar wahrscheinlicher, ist aber auch eine andere Konstellation: Spanien gewinnt gegen Japan oder spielt Unentschieden und Deutschland schlägt Costa Rica, allem oben gesagten zum Trotz, nicht, wie vor vier Jahren in Russland, als Südkorea maßlos unterschätzt wurde.

Alles ist also denkbar. Wie sagte doch der weise Sepp Herberger selig? „Die Leute gehen zum Fußball, weil sie nicht wissen, wie`s ausgeht.“

Und wo er Recht hat, hat er Recht.

P.S.: Unschön wäre übrigens folgendes Szenario: Japan spielt 1:1 gegen Spanien und Deutschland gewinnt 1:0 gegen Costa Rica. Dann haben beide 4 Punkte und 3:3 Tore. Deshalb würde eine Tabelle der punkt- und torgleichen Mannschaften erstellt (also Japan und Deutschland), welche leider ein 2:1 zugunsten Japans anzeigt. Soviel Pech wäre allerdings auch Unvermögen…

Boykott boykottieren

Nie hat man weniger Lust gehabt, sich in vierwöchiges Koma zu versenken und von morgens bis abends Fußballspiele anzusehen, die einen normalerweise überhaupt nicht interessieren. Aber bei einer Fußball-Weltmeisterschaft gibt es eben keine uninteressanten Spiele. Auch aus einer Partie Marokko gegen Kroatien kann man Erkenntnisse gewinnen, egal welche.

Aber 2022 in Quatar?

Man sieht sich die Spiele lustlos an, sozusagen aus jahrzehntelang eingeübtem Pflichtgefühl. Selbst die Vorfreude auf das erste deutsche Spiel gegen Japan hält sich in engsten Grenzen, was wahrscheinlich weniger mit den Umständen dieser WM zu tun hat, als mit der Erwartungshaltung die deutsche Mannschaft betreffend: Auf Platz 11 der Weltrangliste scheint die Mannschaft realistisch eingeordnet, was also ein Ausscheiden im Achtelfinale bedeuten würde. Wundern würde es niemanden, ein Einzug ins Halbfinale, früher mal das Minimalziel deutscher Nationalmannschaften, käme einer Sensation gleich.

Und dann gibt es am gestrigen Nachmittag doch einen Moment der Freude, der glücklichen Erinnerung: In Mexikos Mannschaft steht ein Spieler mit Namen Guilliermo Ochoa im Tor, an dessen Spiel seines Lebens am 17.6.2014, als er gegen Brasilien mit unfassbaren Paraden ein 0:0 rettete, wir uns nur zu gerne erinnern. Und nichts von seiner Ausstrahlung, die so gar nichts machohaftes hat, sondern Ruhe, Weisheit und Überlegenheit an den Tag legt, hat er in den vergangenen acht Jahren verloren. Ochoa ist jetzt 37 Jahre alt, sieht immer noch aus wie zweiundzwanzig und spielt seine fünfte WM. Eine sechste in dreieinhalb Jahren in seinem Heimatland erscheint nicht unmöglich.

Ich verstehe jeden, der keine Lust hat, sich die Spiele dieser WM anzusehen. Aber diese Unlust als Boykott hochzujazzen, erscheint mir etwas übertrieben und mit zweierlei Maß gemessen. Alles was die Ultras am letzten Spieltag an Banneraufschriften in den Stadien gezeigt haben, stimmt.

Aber käme jemand auf die Idee, nicht mehr zu heizen, weil das Öl aus Saudi-Arabien, nicht gerade einem Hort der Menschenrechte, käme?

Verzichtet jemand auf den Kauf eines neuen Fahrrades, eines Computers oder einer Hose, weil mit Sicherheit ein Teil dieses Produkts aus dem Land des Lächelns, wie China fälschlicherweise noch immer genannt wird, stammt?

Aber weil vor zwölf Jahren eine Bande korrupter Funktionäre eine WM verkauften, soll man jetzt auf sein Lieblingshobby verzichten? Geht´s noch?

Jetzt aber wirklich…

Wenn jetzt nicht gegen Köln gewonnen wird, fällt Weihnachten schon mal aus und die Herthaspieler müssen Heiligabend zum Straftraining antreten. Nun gut, so schlimm wird`s nicht kommen, vielleicht wäre Helmut Kronsbein auf so eine Idee gekommen oder Felix Magath, aber beide sind ja momentan nicht als Trainer in der Bundesliga tätig und zumindest Kronsbein (mit 311 Spielen in 10 Spielzeiten Herthas Rekord-Bundesliga-Trainer) wird es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch nicht mehr werden. Allerdings könnte bei einem Unentschieden oder gar einer Niederlage gegen die unberechenbaren Kölner erstmals der Trainer angezählt werden, von wem auch immer. Dass Sandro Schwarz bisher ausgezeichnet arbeitet und völlig unaufgeregt seinem Job nachgeht, könnte dem einen oder anderen Boulevard-Journalisten oder sonstigen Besserwissern gegen den Strich gehen. Wenn man aber nicht nur auf die Punkte, sondern auf die Leistungen der Mannschaft blickt, müsste man mit Trainer Schwarz, wenn es ganz dicke kommt, und das Pech auch in der Rückrunde ständiger Begleiter der Blauweißen bleibt, notfalls auch in die zweite Liga reisen. Es soll ja so was schon gegeben haben, z.B. im Jahre des Herrn 2015, als ein gewisser SC Freiburg mit einem Trainer namens Christian Streich abstieg, um heute wo zu stehen?

Aber so weit ist es noch lange nicht. Wenn in der Hinrunde gegen Köln, in Bochum (heimstark!) und gegen Wolfsburg (letzte sieben Spiele nicht verloren!) fünf von neun Punkten geholt und in der Rückrunde dann solide 20 Punkte eingefahren werden, kann mit 36 Punkten der Abstieg wahrscheinlich vermieden werden. Aber die Relegation könnte es eventuell wieder werden, denn sehr viele Mitstreiter um den Abstieg hat Hertha nicht: Schalke, Bochum, Stuttgart und Augsburg stehen zur Debatte. Und vielleicht rutscht noch ein jetzt vermeintlich sich sicher Fühlender herunter, wie Köln, Mainz oder Bremen. Alles ist möglich. Unter Druck, und wenn niemand so richtig sicher war (vorige Saison 3:0 gegen Hoffenheim mit Fotheringham an der Seitenlinie), hat Hertha schon manchmal gut performt. Warum nicht auch diesmal?

Union benötigt noch 13 Punkte gegen den Abstieg. Am 18. Spieltag sollten sie keinen davon bekommen.

Die Lage ist ernst!

Elf Punkte nach 13 Spielen, wenn wir gegen Bayern die Niederlage schon mal einrechnen, sind ein Alarmsignal. Natürlich können gegen Stuttgart, Köln, Bochum und Wolfsburg (die beiden letztgenannten Spiele erst im nächsten Jahr) noch fünf bis sieben Punkte geholt werden, was für die Rückrunde alles möglich machen würde. Aber sicher ist das schließlich nicht.

Viel angespannter und wirklich bedrohlich erscheint momentan die wirtschaftliche Lage des Vereins: 13 Jahre nach Dieter Hoeneß` vorzeitiger Entlassung aus der Verantwortung, als Herthas Existenz mal wieder bei 50 Millionen Euro Schulden auf der Kippe stand, ist die Lage wieder genauso bedrohlich, als wenn das verdammte Murmeltier wieder grüßen würde, obwohl es sich noch gar nicht zum Winterschlaf hingelegt hat. Zum zweiten Mal hintereinander hat Hertha ca. 80 Millionen Euro Minus erwirtschaftet, wenn wir von Wirtschaft überhaupt sprechen wollen. Der auch so solide Herr Schiller, der jetzt das sinkende Schiff mit viel Lobgesang verlässt, hat dies sehenden Auges zu verantworten. Die Zahlen, die er jedes Jahr auf Mitgliederversammlungen präsentierte, waren immer das Gegenteil von Transparenz, nämlich stets betriebswirtschaftlich schöngerechnete Bilanzen. Auch wenn man ihm zu Gute halten muss, dass er in der Nach-Hoeneß-Ära zusammen mit Manager Preetz durch kluge Einkaufspolitik und Sparsamkeit stets die Lizenzen erhielt, teilweise sogar ohne Auflagen.

Und dass man mit relativ kleinem Etat (vor allem was die Spielergehälter betrifft) erfolgreich sein kann, zeigen nicht nur der 1.FC Union und der SC Freiburg, sondern zeigte auch Hertha, die Anfang des vorigen Jahrzehnts zweimal aufstieg (dass das nicht selbstverständlich ist, zeigt das Beispiel HSV) und unter Dardai sogar zweimal europäisch mitspielte. Das ist noch gar nicht so lange her! Bis dann die Windhorst-Millionen offenbar sowohl Preetz als auch Schiller völlig von ihrem nicht schlechten Weg abkommen ließen, den Kopf vernebelten und größenwahnsinnig werden ließen.

Natürlich hat auch Corona zu den schlechten Zahlen beigetragen. Und zu investieren ist sicher nicht falsch. Nur muss man als seriöser Kaufmann auch die Folgekosten kalkulieren und das wurde hier sträflich versäumt. Hoeneß pokerte damals mit geborgtem Geld, um die Gelddruckmaschine Champions-League zu erreichen. Als das (nach dem ersten erfolgreichen Versuch) beim zweiten und dritten Mal misslang, weil einmal Bastürk fünf Minuten vor Schluss im letzten Saisonspiel gegen Hannover nur den Pfosten statt das Tor traf und das zweite Mal 2009 Hertha beim Absteiger Karlsruhe 0:4 verlor, weil man gegen Trainer Favre spielte, stand man ohne geplante Einnahmen aber hohen Ausgaben da. Genau wie heute, nur dass zwischendurch mal eben 375 Millionen Euro verbraten wurden.

Insofern muss man bei Manager Bobic Abbitte leisten: Seine 30 Transferbewegungen vor Saisonbeginn haben natürlich das Ziel den Kader zu verschlanken und zu verbilligen. Der einzig mögliche Weg wieder in die wirtschaftliche Spur zu kommen. Rein spielerisch hat die verordnete Schonkost bisher gut getan, jetzt müssen nur noch die fehlenden Punkte her.

Wenn Hertha absteigt, wird der sofortige Aufstieg diesmal nicht gelingen.

Übrigens: Union hat jetzt 26 Punkte. Es fehlen noch 14 Punkte bis zum Klassenerhalt. Könnte eng werden…

Alles läuft nach Plan…

Hertha hat momentan vier Punkte weniger als nach dem 10. Spieltag des Vorjahres. Nanu! Warum wird denn da der Trainer nicht angezählt, wie im Vorjahr? Als Pal Dardai nach mehreren unglücklichen Gegentoren in letzter Sekunde, für die kein Trainer der Welt verantwortlich ist, nach dem 14. Spieltag von Kontinuitäts-Monster Bobic gefeuert wurde, hatte Hertha immerhin schon 15 Punkte auf dem Konto, und zwar Pluspunkte! Wenn alles optimal läuft, könnte das diesmal auch gelingen. Die Prognosen des vorletzten Blogs haben sich auf wundersame Weise erfüllt: Gegen Hoffenheim und Freiburg wurde jeweils ein Punkt geholt, gegen Leipzig verloren, auch wenn in allen Spielen mehr drin war. Und das ist vielleicht der springende Punkt, weshalb niemand, wirklich niemand, selbst Manager Bobic nicht, den Trainer in Frage stellt. Sandro Schwarz hat bisher viel, wenn nicht sogar alles, richtig gemacht. Die Mannschaft hat in neun von zehn Bundesligaspielen ansehnlichen bis sehr guten Fußball gespielt. Im letzten Spiel, der Niederlage gegen Leipzig, nach vorher fünf nicht verlorenen Spielen, haben die Herthaner den Gegner in der zweiten Halbzeit an die Wand gespielt. Und darauf kommt es ja auch an: WIE man spielt, auch wenn die Ergebnisse nicht so ganz unwichtig sind, schließlich reicht eine Relegation alle zehn Jahre. Das Herz hält das schließlich nicht ständig aus und jünger wird man ja auch nicht.

Sehen wir in die nahe Zukunft: Um die 15 Dardaischen Punkte nach dem 14 Spieltag zu erreichen, muss jetzt gegen Gelsenkirchen gewonnen werden. Ein Punkt gegen nicht allzu heimstarke Bremer, die obligatorische Niederlage gegen Bayern (vielleicht mal wieder knapp, wie unter Dardai) und dann ein Sieg gegen Stuttgart. Schon wäre man halbwegs im Soll. Und wenn dann der Rückrundenfluch bekämpft wird, was man Trainer Schwarz auch durchaus zutrauen kann, müsste die 40-Punkte-Marke in erreichbare Nähe rücken. Eine Saison ohne Abstiegskampf wird es aber wahrscheinlich trotzdem nicht werden. Insofern läuft also wieder alles nach Plan…

Endlich wieder was los

Mit meiner Frau habe ich eine Wette zu laufen: Wann Lars Windhorst verurteilt und einfahren wird! Die Bandbreite reicht von optimistischen 2025 bis zu sehr optimistischen 2027 – optimistisch aus der Sicht von Lars Windhorst natürlich. Dass der Hertha-Mehrheitsaktionär um den Knast herumkommt, erscheint unwahrscheinlich, wenn man seine Geschichte, sehr gut im Spiegel Nr. 38 vom 17.9.2022 dargestellt, liest und sich die Zukunft halbwegs realistisch vorstellen kann. Hundert ineinander und übereinander verschachtelte Firmen, Konglomerate, Trusts oder Holdings, die geborgtes Geld und Schulden hin- und herschieben, bilden eine Blase, die über kurz oder lang platzen muss, wenn die Informationen stimmen. Wenn alles gelogen und Herr Windhorst der solide Geschäftsmann ist, der einstmals von Kanzler Kohl protegiert wurde, werde ich Abbitte leisten und das Gegenteil behaupten. Wenn nicht, und die Wahrscheinlichkeit liegt nahe bei 100 Prozent, fragt man sich immer noch, warum ein seriöser Finanzvorstand wie Ingo Schiller mit diesem schlitzohrigen Menschen Geschäfte machen konnte? Wir wissen zwar seit zweitausend Jahren, dass Geld nicht stinkt, aber allein auch nicht glücklich macht: Die Vorstände früherer Zeiten würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie sehen könnten, wie die Seele des Vereins verkauft wurde, selbst wenn das Geld dringendst gebraucht wurde. Aber heiligt der Zweck wirklich alle Mittel?

Lars Windhorst hat eine Mehrheit von über 60 % der Anteile der ausgelagerten KgaA (Kommanditgesellschaft auf Aktien), nicht aber, gemäß der 50+1-Regel im deutschen Fußball, die Mehrheit der Stimmrechte. Völlig unabhängig davon ist der Verein Hertha BSC e.V., der sich seit 1892 (wenn wir von der Unterbrechung von 1933 bis 1945, als in jedem Verein das Führerprinzip galt, mal absehen) als eingetragener Verein in den Händen seiner Mitglieder befindet, die mehrheitlich auf Mitgliederversammlungen entscheiden. Ein Mitglied – eine Stimme, so lautet die demokratische Formel. Herr Windhorst oder dessen Nachfolger, die die Hertha-Anteile aus der Insolvenzmasse der Tennor-Gruppe ersteigern werden, werden nie den Verein übernehmen, egal was mit den Anteilen in Zukunft auch geschehen mag.

Beruhigend zu wissen!

Die neue Hertha

Ein Unentschieden in Mainz! Das klingt gar nicht so schlecht, vor allem, wenn man an die vorige Saison denkt, als Hertha mit viel Glück nur 0:4 verlor, ein 0:8 wäre dem Spielverlauf und den Torchancen nach angemessener gewesen. Diesmal also 1:1, und man weiß nicht, ob man sich über einen nicht unbedingt einkalkulierten Auswärtspunkt freuen oder über den Ausgleich mit dem letzten Schuss des Spiels in der 94. Minute ärgern soll.

Es ist nicht mehr zu ändern und nach sieben Spieltagen stehen vor der Länderspielpause sechs magere Pünktchen auf der Habenseite. Im Vorjahr waren es nach sieben Spielen ebenfalls sechs Punkte, allerdings hatte man da schon zwei Desaster gegen Bayern und Leipzig erlebt und fünf Mal verloren (dieses Jahr erst dreimal) bei einem Torverhältnis von 8 : 20 ( jetzt 7 : 9). Andererseits kommen die Spiele gegen die „Großen“ wie Bayern und Leipzig, die momentan gar nicht so groß sind, erst noch, wahrscheinlich, wenn sich beide Mannschaften wieder in alter Form befinden.

Trotz allem: Die Spiele von Hertha sind in dieser Saison einfach sehenswert, es macht Spaß, den Blauweißen zuzusehen und man hat jederzeit das Gefühl, dass da was geht, weil die Spieler es wollen. Dazu kommt die wohltuende Ruhe, die vom neuen Vorstand ausgeht, der momentan, zumindest was nach außen dringt, nämlich nichts, alles richtig zu machen scheint. Ein ganz neues Hertha-Gefühl also.

Wenn jetzt noch bis zur WM-Pause im November ein paar Pünktchen eingefahren werden (nur gut spielen reicht auf die Dauer natürlich nicht), könnte der Weg ein gar nicht so langer werden. Kalkulieren wir mal vorsichtig: Hoffenheim 1, Freiburg 1, Leipzig 0, Schalke 3, Bremen 1, Bayern 0, Stuttgart 3, Köln 1. Das wären 10 Punkte, also 16 bis zur Winterpause, was mit 4 Punkten aus der Restvorrunde im Januar gegen Bochum und Wolfsburg 20 Punkte ergäbe. Ein guter Weg auf den angestrebten 40 Punkten, was a) sieben Punkte mehr als in der Vorsaison ausmachte und b) den Abstieg ausschlösse. Und darüber wäre man bei Hertha in den letzten Jahren schon froh gewesen.

Momentan kann man also optimistisch sein. Aber ist das eigentlich noch unsere Hertha?