Archiv der Kategorie: Hertha

Wer gewinnt ein Fußballspiel: Trainer oder Mannschaft?

In einer angesehenen und auch nach eigener Einschätzung niveauvollen Berliner Tageszeitung konnte man vor wenigen Tagen zur Entlassung von Fürths Trainer lesen: „…Büskens, der kein Heimspiel gewinnen konnte…“ Nanu! Schnell im kicker-Sonderheft 12/13 nachgesehen, und wirklich: Büskens ist am 19.3.1968 geboren, hat also das selige Fußballeralter von 45 Jahren erreicht. Kein Wunder, dass man in diesem Alter nicht mehr ganz mithalten kann, bei dem heutigen Tempo! Dass dieser Michael Büskens sich in keinem der bis dahin absolvierten 22 Spiele selbst eingewechselt hatte, was mangels Spielberechtigung auch gar nicht möglich gewesen wäre, war dem Schreiber offensichtlich entgangen, hätte es doch ansonsten heißen müssen: „…Büskens, dessen Mannschaft kein einziges Heimspiel gewinnen konnte,…“.

Aber so ist das heute: Der Trainer ist nicht nur verantwortlich für Siege und Niederlagen, was angesichts der Tatsache, dass Fürths Spieler serienweise den Ball aus zwei Metern nicht im Tor unterbringen konnten, schon sehr diskussionswürdig ist (muss man Torschusstraining aus zwei Metern wirklich ernsthaft trainieren und wenn ja, hat Büskens dies versäumt?), nein er gewinnt und verliert heutzutage selber. Traurig, dass diese unsinnige These auch durch Journalisten verbreitet wird, die es eigentlich besser wissen müssten. Außerdem prügeln sie sofort verbal auf angeblich unfähige Manager und Vorsitzende ein, die nach drei Niederlagen in Folge den Trainer als Sündenbock entlassen, rechtfertigen aber durch ihre Formulierungen derartige Handlungen.

Was man einem Trainer wirklich vorwerfen könnte, wäre eine unsachgemäße Zusammensetzung des Kaders (Beispiel: Winfried Schäfer einstmals bei Tennis Borussia) mit satten, charakterlosen Abzockern, wobei Vorstand und Manager daran ebenso schuldig wären; oder ein Training, das die Erfordernisse von Fitness, Taktik und Technik außer Acht lässt, was jedoch nur derjenige beurteilen kann, der täglich das Training beobachtet.

Fast jeder weiß, dass Trainerentlassungen im Schnitt nichts bringen, was angesichts der Tatsache, dass alle während der Trainerausbildung an denselben Lehrgängen teilgenommen haben, auch nicht allzu verwunderlich ist. Natürlich gibt es Unterschiede in der Art der Vermittlung und der Motivationsfähigkeit, aber wenn ein Büskens seit Dezember 2009 die Fürther Mannschaft trainiert und über die Tabellenränge elf, vier und eins erstmalig in der Vereinsgeschichte in die erste Liga geleitet hat, dann kann er weder ein schlechter Motivator noch ein fachlich unfähiger Trainer sein. Warum also dann seine Entlassung? Geben sich die Spieler ab jetzt mehr Mühe, beim Schuss aus zwei Metern…?

P.S.: Mal sehen, ob Fürth unter Führung des neuen Trainers noch einen Heimsieg schafft. Ansonsten hätte man im 50. Bundesligajahr den Rekord von Hertha aus der Saison 2009/2010 (ein Heimsieg) vor Tasmania 1900 (Saison 1965/66: 2 Heimsiege) über- bzw. unterboten. Tasmania hält also nicht alle Negativrekorde der Liga. Aber das wäre ein anderes Thema…

Fifa-WM 2026 in Grönland!

Unter dem Stichwort „Klimakatastrophe“, auch abmildernd „Klimaveränderung“ genannt, wird oft das Horrorszenario einer überschwemmten Erde, deren aus dem Schmelzwasser ragenden Restkontinente unter einer Hitzeglocke vor sich hin dörren, vorhergesagt. Dass man die gleichen Fakten auch fröhlich-optimistisch interpretieren darf, zeigt uns das Beispiel Grönland, dessen fast 60.000 Einwohner mittlerweile Selbstversorger bei Kartoffeln und Gemüse sind, da sich die durchschnittliche Jahrestemperatur in den vergangenen 15 Jahren um 4,5 Grad Celsius erhöhte (aus: „Geo“, 2/13). Wo Kartoffeln wachsen, weiß natürlich sogleich der global denkende und lokal handelnde Fußballfreund, wächst aber auch Rasen, und wo Rasen wächst, kann man auch Fifa-Mitglied werden und dementsprechend eine Fußball-Weltmeisterschaft ausrichten. Was dagegen spricht: Nichts! Was dafür spricht: Wenn Katar mit zwar ein paar Einwohnern mehr aber viel weniger Platz (Grönland ist 200 Mal so groß!) eine WM ausrichten kann, warum nicht auch Grönland?

Wenn sich Spieler und Zuschauer in Katar bei Sommertemperaturen von bis zu 45 Grad und 85% Luftfeuchte quälen müssen, warum nicht bei angenehmen 16,3 Grad (durchschnittliche Maximaltemperatur im Juli in der Metropole Kangerlussuaq) die optimalen Klimaverhältnisse auf Grönland ausnutzen (und es wird ja noch deutlich wärmer bis 2026)?

Die schmelzenden Gletscher ermöglichen in Zukunft den großflächigen Abbau von Bodenschätzen wie Edelsteinen, Eisenerz und Seltenen Erden. Die halbe Welt versucht hier in den Bergbau zu investieren, was natürlich mehr als genug Geld fließen lassen wird, um die Kosten für den Bau einiger Stadien, Flugplätze, Hotels und Fankneipen zu decken.

Wer soll für Grönland stimmen? Alle integeren Fifa-Exekutivkommitee-Mitglieder! Da allgemein bekannt ist, dass Katar den Zuschlag für die Fifa-WM 2022 in vorbildlich korruptionsfernem Wettkampf gegen Australien, Japan und die USA aufgrund der überzeugenderen Argumente erhalten hat, kann man das Geld statt in Schmiergeldzahlungen  in den Aufbau einer schlagkräftigen Nationalmannschaft stecken, die als Gastgeber ja automatisch qualifiziert sein wird. Sicher finden sich einige Brasilianer mit grönländischen Vorfahren, unbürokratisches Erteilen der grönländischen Staatsbürgerschaft für den einen oder anderen Profi aus Europa, vorzugsweise vielleicht mit Wurzeln im Wintersport (Österreicher, Schweizer, Südtiroler..) könnten den grönländischen Fußball noch konkurrenzfähiger machen.

Auch die momentan noch gar nicht vorhandene offizielle Anerkennung einer Nationalmannschaft dürfte kein Problem sein: Das Argument fehlender Rasenplätze hat sich doppelt erledigt. Erstens wächst Rasen jetzt ja fast wie in England (siehe oben) und wenn es wieder mal ein paar Jahre frieren sollte, ist Kunstrasen (Russland…) eine auch von der Fifa anerkannte Alternative. Dass nur autonome Staaten eine Nationalmannschaft haben dürfen ist ein unsinniges Argument, denn was für Wales, Schottland, Nordirland und die Färöer gilt, sollte für die zukünftige Großmacht Grönland allemal gelten.

Fraglich ist nur noch, wie viele Mannschaften an der Grönland-WM teilnehmen dürfen. Um genügend Fernsehgelder erzielen zu können, sollten mindestens 64 oder auch 128 Länder teilnehmen. Wogegen allerdings spräche, dass in der entspannteren Qualifikationsphase die Wettmafia leichteres Spiel hätte…

Müller oder Messi?

Spätestens bei der WM 2018 in Russland wird Miroslav Klose Gerd Müllers Torrekord von 68 Toren in der Nationalmannschaft geknackt haben. Einige Qualifikationsspiele gegen Aserbaidschan, Malta und die Ost-Vogesen werden ihm dabei helfen als erster deutscher Nationalspieler die 70-Tore-Marke zu erreichen und zu übertreffen. Es ehrt Miro Klose, dass er es in der für ihn typischen ehrlichen und selbstkritischen Art ablehnt, mit Gerd Müller auf eine Stufe gestellt zu werden. Gerd Müller verkörperte über Jahre absolute Weltklasse vor dem Tor, er war und ist bis heute weltweit der Maßstab aller Spieler, deren primäre Aufgabe es ist, den Ball irgendwie mit irgendeinem Körperteil ins gegnerische Netz zu befördern. „Muss nicht gut aussehen, Hauptsache drin“, hätte Müller dazu sagen können, wenn er einen seiner gesprächigeren Tage gehabt hätte. Dass Müller auch in der Torvorbereitung (mit Beckenbauer, Netzer…) geniale Ideen hatte, ist vielen nicht mehr bewusst, gehört aber in jedem Fall zum Gesamtbild. Er war einfach ein herausragender Fußballer.

Wahrscheinlich gibt es auch keine zwei Meinungen darüber, dass Lionel Messi, ohne dass ein direkter Vergleich möglich oder auch nur sinnvoll wäre, der bessere Fußballspieler der beiden ist. Und jetzt hat Messi auch noch den Torrekord Gerd Müllers aus dem Jahre 1972 mit 85 Pflichtspieltoren im Kalenderjahr gebrochen. 91 Mal traf Messi 2012, nicht ohne Müller honoriger Weise zu ehren und zu grüßen. Hut ab! Aber ist Messi nun wirklich der bessere Torjäger der beiden? Wie im Fall Klose zurückhaltend angedeutet, darf man nicht nur die reine Zahl sehen, sondern muss sie stets im Zusammenhang mit der Anzahl der Spiele betrachten. Denn heute werden viel mehr Pflichtspiele absolviert als früher: Die Gruppenphase der Champions-League, die größeren Quali-Gruppen bei EM und WM u.a. bedeuten 10 bis 20 Spiele mehr pro Jahr.

Und was wir schon alle vermuteten, hat dankenswerter Weise ein Wikipedia-Mitarbeiter, der in mühevoller Kleinarbeit recherchiert und uns viel Arbeit abgenommen hat, herausgefunden: Messis 91 Tore in 69 Pflichtspielen im Jahr 2012 ergeben eine Quote von 1,32; Gerd Müllers 85 Tore in 60 Pflichtspielen des Jahres 1972 übertreffen dies knapp aber sicher mit 1,42!

Noch Fragen?

Ultras – Die einzig wahren Fans?

Die Ultras sind im Fußballstadion eine relativ neue Gruppe. Einst in Italien in Mode gekommen, gibt es sie unter dieser Bezeichnung seit einigen Jahren auch in Deutschland. Sie bereichern die Stadionatmosphäre durch zum Teil witzige Choreographien und Gesang. So weit, so gut. Aber gab es früher, in den Sechziger- und Siebzigerjahren eigentlich keine Stimmung im Fußballstadion? Herrschte eine Konzertatmosphäre, bei der man das leise Hüsteln aus dem gegenüberliegenden Oberring schon als Ausbruch unkontrollierter Emotion empfand? Als jemand, der grundsätzlich, ohne nach Wetter, Gegner oder Sinn zu fragen, seit 1963 ins Stadion geht, egal ob 600 Zuschauer (Tasmania-Gladbach 0:0) oder 88.000 Zuschauer (Hertha-Köln 1:0) dabei sind, kann ich mit ruhigem Gewissen behaupten, dass Hysterie, Wahnsinn und Lärm auch ohne Ultra-Choreographie und hauptamtlichen Megaphon-Einpeitscher schon immer Bestandteil der Stadion-Atmosphäre waren. Ein nicht unwesentlicher Teil der Ultras scheint jedoch in Unwissenheit dieser Tatsachen sich und ihre Inszenierungen für das eigentliche Event und das nebenher ablaufende Fußballspiel nur als Aufhänger für die Darstellung ihrer eigenen Großartigkeit anzusehen. Dass es vielen gar nicht um Fußball geht, sieht man daran, dass die Einpeitscher oder Vorsänger 90 Minuten mit dem Rücken zum Spielgeschehen agieren. Kein Interesse oder sehen sie sich als Märtyrer („Einer muss es ja machen!“)? Riesige Fahnen, die nicht nur beim Torjubel, sondern teilweise während des gesamten Spiels geschwenkt werden, verdecken die Sicht für viele Fans. Ist die Sicht auf das Spielfeld egal, Hauptsache die Fahne weht im Wind? Bei Protesten, wenn es um die Sache aller Fußballanhänger (Anstoßzeiten) oder die eigenen Belange geht (Pyrotechnik, Kontrollen…) bestraft man die eigene Mannschaft mit Liebesentzug, indem man später ins Stadion strömt oder die Anfeuerung verweigert. Emotion nicht spontan, sondern als kopfgesteuerte Äußerung?

Die Ultras fordern den Dialog! Völlig in Ordnung – sprechen ist immer gut. Aber für wen sprechen die Ultras eigentlich? Doch nicht für die Mehrheit der Zuschauer. Die meist in den Kurven, bzw. hinter dem Tor stehenden Ultras (Kurven gibt es ja kaum noch), machen ungefähr ein Viertel der Zuschauer aus. Dieser Anteil bleibt in etwa gleich, denn dass es sooo toll mit der ewigen Treue von vielen Ultras nicht ist, sieht man daran, dass bei schlechtem Wetter, an verkaufsoffenen Wochenenden, wenn Sebastian Vettel in der Stadt ist oder der eigene Verein dreimal hintereinander nicht gewonnen hat („Scheiß-Millionäre“), nicht nur der „normale“ Zuschauer zu Hause bleibt, sondern auch die Zahl der Ultras dementsprechend abnimmt. Viele derjenigen, die in ihrem hormongesteuerten jugendlichen Überschwang der Gefühle (Ultras sind in der Mehrheit unter 30 Jahren) ihrem Verein ewige Treue schwören, werden in zehn Jahren die Spiele, wenn überhaupt, nur noch sporadisch vor dem Fernseher auf der Couch verfolgen, weil die Familie…, der Beruf…, das Wetter…

Nicht jeder ist eben ein Fan im Hornbyschen Sinne, der sich seinen Verein nicht ausgesucht hat, sondern sozusagen mit dem Verein ganz selbstverständlich, wie mit dem jährlichen Weihnachtsbaum oder der Geburtstagsfeier mit Freunden, lebt, da sind die Ultras ganz normaler Durchschnitt. Beweis? Wenn’s anders wäre, läge das Durchschnittsalter der Kurvenfans nicht in den Zwanzigern sondern bei ca. 50 Jahren.

 

Die Mehrheit der Zuschauer, die sich für das Spiel an sich interessiert, hat mit dem Ultras-DFL-Dialog wenig zu schaffen. Und wer legitimiert jemanden ultraintern, für den Rest zu sprechen? Hat der Lauteste, der Klügste oder der, der am längsten dabei ist, das Sagen? Demokratisch legitimiert scheint mir da niemand zu sein, und dass es schnell Zoff zwischen verschiedenen Fraktionen gibt, konnte man während der Spiele nach dem 12.12. feststellen, als die einen zaghaft anfeuerten und die anderen standhaft schwiegen. Von „Scheiß-Verrätern“ war schon die Rede. Hoffentlich wird durch die Winterpause das Mütchen soweit gekühlt, dass sich die verschiedenen Fraktionen nicht noch die Schädel einschlagen.

Insofern sollte man die Debatte wieder auf den Boden der Tatsachen holen: Die Ultras sind Anhänger/Fans, die, nur weil sie lauter und organisierter auftreten, nicht bessere Fans sind, als der Dauerkartenbesitzer in der Oberring-Geraden. Und wenn sich die Ultras darauf besinnen, dass es nicht um sie, sondern um das Fußballspiel geht, können auch wieder alle gemeinsam für (noch bessere) Stimmung im Stadion sorgen.

Gibt es Farben, die es nicht gibt?

Die Geschichte der Trikotmode ist so alt wie der Fußball selbst. In der neunundvierzig-einhalbjährigen Zeitspanne der Bundesligaexistenz haben wir an Formen und Farben alles sehen können, was das Herz begehrt und was es auf gar keinen Fall begehrt: Die goldenen Seidentrikots der Dortmunder Borussia in frühen Europapokalspielen gegen Benfica Lissabon, waren sicher ein Highlight. Die diagonal rot-weiß geteilten Hemden des 1.FC Köln waren modern, später fand man sie hässlich, heute sieht man sie als Retromode schon mal wieder. Schmale Streifen, breite Streifen, horizontal oder vertikal, runde Kragen, Schnürkragen, Borten, Bündchen, eng oder flatterig geschnitten, alles schon dagewesen!

Tiefpunkt der auch von der Werbung des Sponsors beeinflussten Trikots war der regenbogenartig-diagonale Faberlook des VfL Bochum und das schmutzige Camouflagehemd des FC St. Pauli. Das an die Müllabfuhr erinnernde Orange von Energie Cottbus nahm man vor etlichen Jahren gelassen hin, weil man von Cottbus eben nicht mehr erwartete. Dass dieses Orange auch mit Werdergrün korrespondieren könnte, war zwar theoretisch nicht vorstellbar, setzte sich aber in der Praxis überraschender Weise in den letzten Jahren durch.

Aber das Überschreiten dieser Grenze darf nicht hingenommen werden: Werder Bremen hat zum schmutzigen Orange das ehemalige Grün in einer Weise variiert, dass man dabei unwillkürlich an das Blut des gequälten Wiesenhof-Geflügels denken muss, in das die Hosen getaucht wurden und das durch Kapillarwirkung in die Hemden gezogen ist. Eine größere Beleidigung für das nicht farbenblinde Auge ist kaum vorstellbar und man fragt sich, ob es sich um fehlenden Geschmack, eine ehrliche Werbestrategie (wofür, wofür bloß…) oder die maßlose Sucht nach Neuem, egal um welchen Preis, handelt.

Wiesenhof als Trikotsponsor hat zu einigen Austritten von Vereinsmitgliedern geführt. Es scheint, dass der Kreator der neuen Farbe nur das Wort „Kot“ in Trikot gesehen hat. Werder, du warst mal Sympathieträger…

Vorfreude ist die schönste Freude

Hertha macht wahr, was Jos Luhukay, der Prophet, im August sagte: Sie sind schwer zu schlagen. Die unvermeidliche Folge ist mit Rang 2 ein direkter Aufstiegplatz. Das kann so bleiben, das kann sogar noch besser werden (Braunschweig wird wohl noch abbauen), aber was, wenn nicht? Dann könnte wahr werden, wovon alle Nicht-Herzkranken träumen: Zwei Relegationsspiele am Ende der Saison. Gegner? Zwei Lieblingskandidaten drängen sich auf:
Nach dem 12 Spieltag war es Fortuna Düsseldorf. Die schwanken um diesen Tabellenplatz 16 und peilen ihn realistischerweise an. Ich freue mich schon auf einen möglichen freundlich-friedlichen Platzsturm drei Minuten vor dem Ende. Damit der Schiedsgerichtsbarkeit des DFB keine Zweifel über den Charakter des Ereignisses kommen, werden vor Spielbeginn 70.000 smiley-Masken an die Zuschauer verteilt, die sie vor dem Sprung in den Innenraum aufsetzen müssen. Als Schiedsrichter könnte man vielleicht Babak Rafati zu einem Comeback überreden…
Als zweiter Wunschgegner und Kandidat auf Platz 16 drängt sich immer mehr die TSG Hoffenheim in den Vordergrund. Eine Relegation gegen eine von Markus Babbel betreute Mannschaft würde den einen oder anderen Herthaner nicht wenig ergötzen, sind doch noch diverse Rechnungen nicht beglichen. Einen Haken hat diese Wunschvorstellung: Bleibt Hoffenheim im Tabellenkeller, ist Markus Babbel im Mai dort nicht mehr Trainer. Schade eigentlich…

Wen die Götter lieben…

Wenn ich ins Stadion gehe, bin ich neunzig Minuten lang konzentriert bei der Sache. Ich beteilige mich nur halbherzig an Laolas, komme nicht zwölf Minuten nach Beginn der zweiten Halbzeit vom Bierstand und verlasse das Stadion auch nicht vor dem Abpfiff (seit ich 1980 drei Tore in den letzten fünf Minuten verpasst habe, das ist aber ein anderes Thema…).

Ich gebe aber zu, dass ich von dem Tor von Alex Alves nur die letzten drei Meter der 52m langen Flugbahn gesehen habe, weil ich durch ein anschwellendes Raunen im Stadion aus einer Diskussion über das unnötige 0:2 des 1.FC Köln gegen Hertha gerissen wurde. In unzähligen Wiederholungen habe ich aber später das Tor des Monats und des Jahres, unverschämter Weise direkt vom Anstoß aus erzielt, in voller Schönheit sehen dürfen.

Alex Alves befindet sich jetzt im brasilianischen Fußballhimmel, gemeinsam mit Garrincha und Socrates und kann sich mit den beiden ebenfalls viel zu früh gestorbenen, gescheiterten Fußballhelden über verprasstes Geld, die Probleme des Ruhms und Brasiliens Chancen bei der WM 2014 unterhalten.

Alex Alves wird von den meisten als ein besonders bizarres Element der scheinbar unendlichen Reihe teurer Fehleinkäufe von Herthas Ex-Manager Dieter Hoeneß angesehen. Er war jedoch alles andere als das. Er hat in 81 Spielen innerhalb von dreieinhalb Spielzeiten immerhin 25 Tore geschossen, womit er den 11. Rang in der Hertha-Bundesligatorschützenliste belegt. Seine Schusstechnik, bei der er das Schussbein kurz nach dem Ballkontakt stoppte, wodurch er auf merkwürdige Weise einen unglaublich starken Impuls auf den Ball übertrug, war einmalig und sensationell. Ebenso einmalig war sein weißer Fellmantel, mit dem er sich bei der stets verspäteten Rückkehr aus der Winterpause zu zeigen pflegte, sowie sein Copoeira-Tänzchen nach dem Torjubel, den er allerdings meist alleine zelebrierte, weil die Mannschaftskollegen Angst vor Kopfverletzungen hatten.

Alex Alves hatte das Potential zum Weltklassespieler. Dass er jetzt mit nur 37 Jahren an Krebs gestorben ist, passt ins traurige Bild dieses Lebens, nachdem die Millionen, die er im kalten Deutschland verdient hatte, genauso schnell wieder weg waren, wie der deutsche Schnee in brasilianischer Sonne schmilzt. Die Goldmünze, die er für das Tor des Monats erhielt, sollte versteigert werden, um Behandlungskosten, die er selbst nicht aufbringen konnte, zu übernehmen. Wenn ihm sein reicher Bruder keinen Grabstein spendiert, könnte das Geld vielleicht dafür angelegt werden…

Fußball ist ein Mannschaftssport

Der Sport – und vor allem seine Berichterstattung – sind sehr anfällig für Floskeln und Phrasen. Ob der Pokal nun seine eigenen Gesetze hat oder die Zuschauer an den Hängen und Pisten standen:  Tausendmal gehört – tausendmal hat`s nicht gestört. Aber einer dieser ewig wiederholten Sprüche ist so absurd, so unsinnig und so falsch, dass ich laut aufzuheulen pflege und immer kurz davor bin, meinen hervorragenden 29 Jahre alten Grundig-Fernseher vom Balkon zu werfen (was meine Frau freuen würde, weil ich dann endlich dem Kauf eines großen Flachbildapparates zustimmen müsste).

Neulich, als Pizarro drei Tore gegen Lille schoss, hörte ich es wieder und am nächsten Tag war es natürlich schwarz auf weiß nachzulesen: „Pizarro hat Lille fast alleine besiegt!“ Ohne das Wörtchen „fast“ wird die Redewendung zwar noch häufiger benutzt, aber auch so zeugt sie entweder von mangelnder Kreativität des Schreibers, diesen wahrlich nicht besonders originellen Satz zu wiederholen, oder von unglaublicher Ahnungslosigkeit das Spiel betreffend. Denn alleine hätte Pizarro ca. 182:0 verloren, und auch, wenn er noch Manuel Neuer in Bestform als Unterstützer gehabt hätte, wäre ein 76:0 ein denkbares Resultat. Um diese wettbewerbsverzerrenden Ergebnisse auszuschließen, gibt es ja auch die Regel, dass mindestens sieben Spieler einer Mannschaft auf dem Platz sein müssen, d.h, wenn Herr Stark nach einer zünftigen Rauferei in einem außer Kontrolle geratenen Relegationsspiel fünf Spieler eines Teams vom Platz stellt, muss er abbrechen und kann nicht einmal nach anschließendem friedlichem Platzsturm weiterspielen lassen.

Dass selbst mit sieben gegen elf Spieler ein Match kaum gewonnen werden kann, weiß jeder, der schon mal einen Ball gesehen hat. Bei zehn gegen elf hilft manchmal die Psychologie, neun gegen elf kann man kaum gewinnen, ist aber schon vorgekommen, aber allein gegen elf…Moment, ich muss mal eben meinen alten Grundig…..

Jupp Heynckes für Joachim Löw?

 

Oft wird meine Angewohnheit belächelt, Zeitungen nach dem Weihnachtsbuchgeschenk-Prinzip zu lesen: Erst mal beiseite legen und irgendwann drin schmökern. Manchmal hat diese Marotte aber auch ihre guten Seiten. So konnte sich die Fassungslosigkeit über das 4:4 der deutschen Nationalelf gegen Schweden langsam legen und einer distanzierten Betrachtungsweise weichen. Diesen Vorteil hat Nik Afanasjew offensichtlich nicht genutzt, behauptet er doch im Tagesspiegel vom Freitag, den 19.10. über Jogi Löw: „Seine Zeit als Cheftrainer ist abgelaufen.“

Immerhin hatte auch Herr Afanasjew ein bis zwei Tage Zeit, über seinen Artikel nachzusinnen, so dass nicht der gesamte Unsinn, den er schreibt, dem noch zeitnahen Eindruck der Vorkommnisse vom Dienstagabend im Olympiastadion geschuldet sein kann. Neben vielem anderen wirft Afanasjew Löw hauptsächlich die Titellosigkeit bei drei (mit 2006 vier) großen Turnieren vor, wofür eine „Atmosphäre der harmlosen Harmonie“ innerhalb der Mannschaft verantwortlich sei (leider geht`s bei uns nicht zu wie bei den Franzosen!). Nicht individuelle Fehler einzelner (Abwehr-) Spieler sondern die „schleichende Breisgauisierung der Nationalelf“ sei dafür verantwortlich, dass seit 1996 kein EM- oder WM-Titel mehr nach Deutschland geholt wurde. Gibt es in England eigentlich auch einen Breisgau, der für die 56-jährige Erfolglosigkeit des Nationalteams verantwortlich ist? Und herrscht in der Holländischen Elf zwischen blassen und dunklen Spielern zuviel Harmonie oder wie sonst ist deren Freiheit von großen Triumphen seit nunmehr 24 Jahren zu erklären?

Mit welcher penetranten Arroganz muss man eigentlich ausgestattet sein, um vor jedem Turnier Titel zu fordern? Können die anderen eigentlich nicht Fußball spielen? Gibt es einen Völkerrechtsparagrafen, nach dem jeder zweite Titel an Deutschland zu gehen hat? Bei den letzten vier Turnieren jeweils im Halbfinale gewesen zu sein (was nicht mal die Spanier geschafft haben): ist das kein Erfolg?

Titel bei einem Turnier kann man nicht planen; und schon Sepp Herberger erklärte uns, dass die Menschen nur deshalb zum Fußball gehen, weil sie das Ergebnis vorher nicht kennen.

Wenngleich man natürlich über die eine oder andere Aufstellung oder nicht erfolgte Einwechslung diskutieren kann – wir sind ja alle Bundestrainer – ist Herr Löw der letzte, dem man verpasste Titel vorwerfen kann.

Dass Afanasjew den Wechsel von Sammer zu Bayern als „Gleichschaltung der Nationalelf-Führungsebene“ sieht und allen Ernstes Jupp Heynckes, der besonders in den beiden letzten Jahren von Titeln förmlich erschlagen wurde, als Nachfolger von Löw vorschlägt, deutet allerdings darauf hin, dass es sich bei dem Artikel um eine genial konstruierte Satire handelt, deren Aussage ich nur nicht verstanden habe.

 

Klaus Becker

 

www.tiefedesraums.wordpress.com

Goldener Oktober

Der Oktober ist kein Monat, auf den man mit Spannung wartet, es sei denn, man ist jünger als dreißig und feiert seinen Geburtstag noch, weil das dicke Ende des Lebens das Bewusstsein noch nicht erreicht hat. Morgens ist es dunkel und falls man abends nach der Arbeit noch Sport treiben möchte, ist es schon wieder dunkel oder, wenn es noch hell sein sollte, regnet es oder es ist kalt oder windig, nein: den Oktober kann man vergessen (im Gegensatz etwa zum November, da gilt alles genauso, wie im Oktober, nur ein bisschen schlimmer, aber man kann sich wenigstens auf das bevorstehende Weihnachtsfest, den Beginn des neuen Jahres und den bald kommenden Sommer freuen).

 

Herthafreunde haben sich dieses Jahr ganz besonders auf den Oktober gefreut, kündigte doch der neue Trainer mit der verschatteten Oberlippe an, dass die Mannschaft ab Oktober unschlagbar sei! Das hatte er zwar nie gesagt und es war nur das übliche Wort-im-Mund-Verdrehen einer bestimmten Spezies von Journalisten, wurde aber von vielen für bare Münze genommen und bisher ist auch die verfälschte Prognose voll eingetroffen. Der 3:0-Sieg gegen 1860 München war der bisherige Höhepunkt einer sich müde dahinschleppenden Saison.

 

Was Luhukay wirklich gesagt hat, war, dass Hertha ab Oktober nur noch schwer zu schlagen sei. Diese Aussage sagt genau genommen nichts aus. Denn in der Abstiegssaison 2009/2010 war Hertha auch meist nur ganz schwer zu schlagen, was die vielen 0:1-Niederlagen zuhause eindrücklich beweisen. Aber da 0:1 immer als verloren zählt, auch wenn es dem Gegner sehr schwer gefallen ist oder die Niederlage hauptsächlich durch die  konsequente Arbeit der Anti-Hertha-Dreifaltigkeit Gagelmann/Kirchner/Rafati zustande kam: Schwer zu schlagen zu sein kann eben auch heißen, jedes Spiel zu verlieren. Insofern ist es der Boulevardpresse mit ihrer Sucht, aufgebauschte oder verfälschte Aussagen zu veröffentlichen, zu verdanken, dass  mit dem nichtigen Satz („schwer zu schlagen“) ein Ziel ausgegeben wurde („nicht zu schlagen“), das zwar den gesamten Saisonverlauf betreffend völlig unrealistisch ist, immerhin aber die Mannschaft unter einen Zugzwang gesetzt hat, der  offensichtlich leistungsfördernd wirkte. Es spricht für Jos Luhukays Arbeit, dass er diesen Druck in positive Energie umzuwandeln in der Lage war, denn wie wir alle wissen, kann Druck auch das Gegenteil bewirken.

Für alle Journalisten, die eine Schlagzeile brauchen, möchte ich hiermit ausdrücklich erklären: Bei gleicher Punktausbeute in den kommenden 25 Spielen (2,0 pro Spiel) ist Hertha nur schwer am Aufstieg zu hindern!