Archiv der Kategorie: Hertha

54-74-90-14: Erkenntnisse vom 26.6.2014: Jogi und die Wüstenfüchse

 Nun also doch: 32 Jahre nach 1982 wollen die Algerier, Leidtragende der Schande von Gijon, Revanche, wenn nicht sogar Rache üben, für das damalige Ausscheiden in der Vorrunde. Jogi Löw tut gut daran, die Algerier, die sich ja selbst die „Wüstenfüchse“ nennen, ernst zu nehmen und nicht, wie einstmals Jupp Derwall, großspurig anzukündigen, nach Hause zu laufen, falls man Algerien nicht schlagen werde. Deutschland verlor damals 1:2 und es war keine Gurkentruppe, die für Deutschland antrat: Es spielten u.a. Kaltz, Stielike, Briegel, Breitner, Magath, Fischer, Rummenigge, Hrubesch, Littbarski! Derwall brach sein Wort und lief  nicht. Abgesehen davon, dass Löw schwimmen müsste, ist er wahrscheinlich zu klug, um sich zu einer derartigen Aussage hinreißen zu lassen.

Was charakterisiert den Wüstenfuchs und somit den algerischen Fußballer? Er ist klein, ein Allesfresser (russische Bären, koreanische Tiger, jetzt deutsche Adler?), hat 42 Zähne (Beißattacken wie von Suarez sind aber nicht zu vermuten), ist verspielt und meidet die Hitze des Tages ( da das Spiel um 17 Uhr Ortszeit im kühlen Porto Alegre stattfindet, hat er hier sicher keine Nachteile).

Deutschland ist am Montag Favorit und bei richtiger Einstellung der Mannschaft müsste ein Sieg, und sei es im Elfmeterschießen, möglich sein. Sicher ist er aber keinesfalls, es gibt keine kleinen Mannschaften mehr und die Algerier pinnen bestimmt Zeitungsartikel von 1982 an die Kabinenwand…

54-74-90-14: Erkenntnisse vom 25.6.2014: Zwei kleine Italiener…

 Spiel 39: Italien – Uruguay 0:1

 Das war ja zu erwarten: Zwei Mannschaften, die sich nichts schenken und selten ein mögliches oder unmögliches Foul beim Zweikampf auslassen würden. Dass Balotelli nach seinem zugegebenermaßen artistischen Hochsprung, bei dem er dem Gegenspieler sein Knie gegen den Kopf rammte, noch weiterspielen durfte, ist nur so zu erklären, dass der Schiedsrichter gerade mit seiner Sprühflasche beschäftigt oder aus anderen Gründen abgelenkt war. Wenn er Balotellis Aktion gesehen hätte, wäre Rot alternativlos gewesen. Dagegen hätte bei Marchisios Tritt gegen das Knie des Gegners eine gelbe Karte ausgereicht, wenn der Schiedsrichter die Aktion als Foul gewertet hätte. Da der Ball aber am Boden lag, der Tritt jedoch 50 cm darüber gesetzt wurde, wertete der Schiri dies als Tätlichkeit. Kann man machen! Weil schließlich Suarez’ Beißangriff gegen Chiellini, einer Einlage, wie wir sie sonst nur in der wesensverwandten Sportart Boxen erleben, ohne Folgen blieb, konnte Uruguay die Überzahl ohne Hektik ausnutzen, um das 1:0, wenn auch per Rücken nach Standard, zu erzielen. Das wütende Anrennen unserer Freunde südlich der Alpen wurde nicht belohnt. Zweieinhalb Wochen länger Urlaub als geplant ist aber auch nicht zu verachten!

P.S.: In der Pizzeria, in der wir das Spiel verfolgten, weinte am Ende, entgegen meiner Prognose, niemand. Die Emotionen der Italiener sind auch nicht mehr, was sie mal waren…

54-74-90-14: Erkenntnisse vom 24.6.2014: Die Konferenz und das glückliche Händchen

Spiel 33 Kamerun – Brasilien 1:4

Spiel 34 Kroatien – Mexiko 1:3

Seit der Schande von Gijon werden die letzten Gruppenspiele immer zeitgleich ausgetragen, um Manipulationsvorwürfen von vorneherein den Wind aus den Segeln zu nehmen. Abgesehen davon, dass totale Gerechtigkeit auch auf diese Weise nicht herzustellen ist (ein Spiel kann durch – auch willkürlich herbeigeführte – Unterbrechungen mehrere Minuten länger laufen als das andere), kann der WM-Nerd deshalb nur durch Tricks und Kniffe alle Spiele sehen. Z.B., das scheinbar oder wirklich weniger wichtige Spiel auf 1Festival direkt sehen und sich im Anschluss das per Festplattenrekorder aufgezeichnete Spiel reinziehen. Mit Rücksicht auf diese Personengruppe gibt es wohl jetzt zwei Stunden Pause zwischen den Spielen. Aber leider ist das zweite Spiel nicht mehr vollständig, da ja mehrmals zum anderen, schon gesehenen Match, geschaltet wird. Nun gut, dann kann man’s auch gleich sein lassen und sieht sich die Konferenz an. In beiden Spielen fielen zusammen neun Tore. Beim geschickten Hin- und Herschalten schaffte es der glückliche Regisseur durch großartiges fußballerisches Einfühlungsvermögen stets in dem Moment umzuschalten, wenn eine Mannschaft drauf und dran war, ein Tor zu erzielen. Durch diese Meisterleistung an Weitsicht wurden genau drei von neun Toren live eingefangen (also nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung weniger, als wenn man einem Schimpansen den Knopfdruck gestattet hätte), der Rest nach hektischem Reporterschrei „Tor in …“ als Konserve geliefert. Immerhin spart man auf diese Weise Zeit und kann langsam „abtrainieren“, um sich seelisch und körperlich auf den ersten WM-freien Tag am Freitag vorzubereiten…

Das Spiel Italien – Uruguay sehen wir uns beim Italiener an. Aus taktischen Gründen (Deutschland verliert immer gegen Italien, gewinnt immer gegen die Urus) sind wir für Uruguay, obwohl Troches Ohrfeige gegen Uwe Seeler noch nicht vergessen ist! Außerdem möchten wir gerne mal wieder erwachsene Männer richtig schön weinen sehen…

54-74-90-14: Erkenntnisse vom 23.6.2014: Die Schande von Recife

Spiel 30: USA – Portugal 2:2

 Bei der Weltmeisterschaft 1982 in Spanien musste Deutschland im letzten Vorrundenspiel gegen Österreich 1:0 oder höher gewinnen, um in die zweite Runde einzuziehen. Bei einem österreichischen Sieg oder einem Unentschieden wäre Deutschland nach Hause gefahren. Bei einem höheren Sieg als 1:0 wiederum wären die Österreicher auf der Strecke geblieben. Algerien wäre jeweils weitergekommen. Nach 20 Minuten erzielte Horst Hrubesch das 1:0. Nun hätte man ja erwarten können, dass sich Deutschland für Cordoba, wo die Österreicher vier Jahre zuvor ihren historischen 3:2-Sieg feierten und Deutschland das Spiel um den 3. Platz versauten, rächen würde. Nichts da! Blut ist eben dicker als Trinkwasser. Nach dem 1:0 stellten beide Mannschaften das Spielen ein und schoben sich 70 Minuten die Bälle zweikampflos zu: Die Schande von Gijon.

Die Konstellation ist nach dem 2:2 der USA gegen Portugal identisch: Bei einem Unentschieden beim Spiel am 26.6. in Recife sind die USA und Deutschland in jedem Falle weiter, Portugal und Ghana hätten das Nachsehen. Es bietet sich also an, auch ohne telefonische Absprache zwischen den Ex-Bundestrainern Vogts und Klinsmann mit Löw, es sich im Mittelkreis bequem zu machen (Liegestühle verbietet leider das Reglement) und den einen oder anderen Caipirinha zu schlürfen. In 90 Minuten (plus jeweils 5 Minuten Nachspielzeit wegen Spielverzögerung) könnte man zwei bis drei dieser Getränke schaffen. Ob das Regelwerk einen Spielabbruch oder die Disqualifikation beider Mannschaften hergibt, wage ich zu bezweifeln. Wahrscheinlich trauen sich die Weicheier in vorauseilendem Gehorsam nicht und werden so tun, als wenn sie Fußball spielen würden. Aber auf ein Unentschieden kann man im Wettbüro schon ein mittleres Monatsgehalt einsetzen…

54-74-90-14: Erkenntnisse vom 22.6.2014: Ronaldo und der Fußballgott

Spiel 29: Deutschland – Ghana 2:2

Der Brasilianer Ronaldo, mit 15 Treffern der bisherige Torschützenkönig aller Weltmeisterschaften, hat den Fußballgott (oder den richtigen Gott, wenn das zwei verschiedene Götter sein sollten) gebeten, ihm seien Rekord zu lassen und Miroslav Klose am Erzielen eines weiteren Tores zu hindern. Kaum war Klose gegen Ghana auf dem Platz, erzielte er aus Abstauberposition das 2:2, versuchte seien Salto, was ihm nicht ganz gelang und hatte plötzlich den Torrekord eingestellt: 15 Tore, wie Ronaldo und ein Tor mehr als kleines, dickes Müller. Entweder hat Gott Ronaldo nicht gehört, weil er gerade anderes zu tun hatte oder er wollte Ronaldo mit Kloses Tor bestrafen, weil es äußerst unchristlich ist, einem anderen um des eigenen Vorteils willen die Pest an den Leib zu wünschen.

P.S.: Hoffentlich betet Ronaldo vor dem Spiel Deutschland – USA nochmals intensiv, dass Klose nicht sein 16. Weltmeisterschaftstor schießt…

54-74-90-14: Erkenntnisse vom 21.6.2014: Nationalhymnen bitte nicht wörtlich nehmen

Spiel 25: Schweiz – Frankreich 2:5

Irgendetwas scheint Herr Debuchy missverstanden zu haben. Zwar heißt es in seiner schönen Nationalhymne:“… Marschieren wir, marschieren wir! Bis unreines Blut unserer Äcker Furchen tränkt!“, aber erstens ist der Acker im Stadion von Salvador meines Wissens kein exterritoriales Gebiet oder französisches Überseedepartement, zweitens ist unbekannt, ob in Steve von Bergens Adern unreines Blut fließt, bzw., was unreines Blut überhaupt ist (alles unfranzösische?) und drittens geht es in Brasilien derzeit um Fußball und nicht um Revolution oder Krieg! Insofern war es nicht unbedingt nötig, den Schweizer Abwehrchef mit einem Tritt ins Gesicht zum Bluttränken des Stadionrasens zu veranlassen. Dass Debuchy für seine Körperverletzung (wenn nicht absichtlich, war sie doch zumindest grob fahrlässig) nicht mal eine gelbe Karte erhielt, setzt nur die Kette unglaublicher Schiedsrichter-Fehlleistungen fort.

P.S.: Dass der arme Steve von Bergen, einstmals unter Favre drei Jahre in Diensten von Hertha BSC als allenfalls mittelmäßiger Bundesligaspieler bekannt (nachdem er kurz hintereinander zwei Handelfmeter verursacht hatte, brachte ihm Favre übrigens das heute oft gesehene Hände-auf-den-Rücken-nehmen bei Flanken bei), der unersetzbare Abwehrchef der Schweizer Nationalmannschaft sein soll, spricht Bände über die Qualität ihrer Defensive. Fabian Lustenberger wäre eine Klasse besser, wenn er sich denn nicht verletzt hätte…

54-74-90-14: Erkenntnisse vom 20.6.2014: England genau so gut, wie Spanien!

 Spiel 23: Uruguay – England 2:1

Spiel 24: Italien – Costa Rica 0:1

 Meistens bin ich nicht traurig, wenn die oftmals Häme und Ironie über alles unenglische (und besonders gegen alles, was deutsch sein könnte) absondernden englischen Freunde im Elfmeterschießen bei großen Turnieren scheitern, vorzugsweise an Deutschland. Diesmal tun sie mir aber schon ein bisschen leid. Nicht, weil sie besonders gut gespielt hätten oder weil sie erstmals seit 56 Jahren (also 1958!) nach der Vorrunde einer WM nach Hause fahren müssen. Nein: Sondern weil sie nach ihrer Niederlage gegen Uruguay für 24 Stunden die irrwitzige Hoffnung hatten, die Italiener würden ihnen durch zwei Siege noch ein Hintertürchen ins Achtelfinale öffnen (Gary Lineker, der Fußballphilosoph, entblödete sich nicht, in einem italienischen Trikot im Fernsehstudio aufzutauchen). Einen größeren Fehler kann man gar nicht machen. Italien wird sich auch so noch in die K.o.-Runde mogeln, aber an andere denken? Da ist der italienische Fußballer doch Minimalist und Egoist und zerstört die englischen Hoffnungen schon im ersten Spiel. Anders die Spanier 1982. Nach der Niederlage gegen Deutschland in der zweiten Finalrunde konnten sie nicht mehr ins Halbfinale einziehen. Trotzdem haben sie nach aufopferungsvollem Kampf den Engländern ein 0:0 abgetrotzt und ihren deutschen Besiegern den späteren Einzug ins Finale ermöglicht. Chapeau nachträglich…  

54-74-90-14: Erkenntnisse vom 19.6.2014: Groß gegen Gernegroß

 Spiel 20: Australien – Niederlande 2:3

 Holland ist 41.000 Quadratkilometer groß und hat 17 Millionen Einwohner. Australien dagegen ist 7,7 Millionen qkm groß und hat 23 Millionen Einwohner. Was sagt uns das über die Art Fußball zu spielen? Der Holländer hat wenig Platz zuhause, muss also den Ball eng am Fuß führen, auf knappstem Raum dribbeln und den Abschluss suchen, bevor eine Fensterscheibe kaputt ist. Der Australier hingegen muss mit langen Bällen arbeiten und viel laufen, ist das nächste Tor doch eventuell 1300 km entfernt. Wenn zwischendurch ein Kampfkänguru den Weg kreuzt, muss es beiseite gegrätscht werden. Nicht lange aufhalten, wenn man vor dem Dunkelwerden noch ein paar Bier trinken möchte.

Und genau so spielten sie: Die Holländer dachten die ganze Zeit daran, wie schön es sein wird, endlich den Pokal in den Händen zu halten und die Australier kämpften und arbeiteten, weil ein Australier immer versucht auch die kleinste Chance zu wahren. Aber wie schon 2006, als Australien im Achtelfinale von Kaiserslautern an einem Nicht-Elfmeter gegen Italien scheiterte, gewann auch hier nicht die bessere, sondern die glücklichere Elf: Das holländische Tor war leer und verlassen und trotzdem ging der Ball nicht rein und im Gegenzug rutschte dem australischen Torwart ein haltbarer Fernschuss über die Hände. Fußball kann so ungerecht sein. Aber: Dank an die Australier für ein denkwürdiges Spiel!

54-74-90-14: Erkenntnisse vom 18.6.2014: Nach dem ersten Spieltag: In Brasilien nichts Neues!

Noch machen sich beim WM-TV-Konsumenten keine schweren Störungen im Zentralnervensystem bemerkbar, trotzdem ist ein Drittel der Vorrunde vorbei und jede Mannschaft hat jetzt nach dem unsäglichen Gekicke von Russland und Südkorea mindestens einmal gespielt. Neue Erkenntnisse: Fehlanzeige (außer, dass es laut ZDF-Datenbank noch nie so viele Jokertore gab). Das Niveau ist meist ansprechend und besser, die Favoriten haben gute (Deutschland, Holland, Italien) bis ansprechende (Brasilien, England, Argentinien, Frankreich) Leistungen geboten, Ausnahmen gab es natürlich wie immer: Portugal, Spanien, Uruguay. Und die „Geheimfavoriten“ Chile, Belgien, Kolumbien? Nicht umsonst sind und bleiben sie Geheimfavoriten und werden eher nicht ins Halbfinale kommen. Negatives: Die Mannschaft aus Honduras spielte eine Mischung aus Eishockey und Rubgy, Sportarten, die es in diesem Lande wahrscheinlich gar nicht gibt. Vielleicht gibt es aber dort eine heimliche Sehnsucht nach diesen eher körperlich betonten Darbietungen…Positives: Keine endlosen Freistoßmauer-Entfernungsdiskussionen mehr durch den Sprühsahne-Einsatz!

54-74-90-14: Erkenntnisse vom 17.6.2014: Der Zauberer im mexikanischen Tor

 Spiel 17: Brasilien – Mexiko 0:0

 Selbst Bela Réthy hatte nach 80 Spielminuten gemerkt, wer „The man of the match“ werden würde: Was Guillermo Ochoa, eigentlich als Nr.3 der mexikanischen Torhüter angereist, an möglichen und unmöglichen Bällen hielt, grenzte an Zauberei. Und wie ein Oberschüler, der im Wahlpflichtkurs „Zaubern“ nur deshalb mitmacht, weil dort natürlich die hübschesten Mädchen dabei sind, sieht er auch aus. Die Lockenpracht von einem Stirnband, wie es Ingrid Bergmann in ihren Vierzigerjahre-Schwarzweißfilmen trug, kaum gebändigt, nahm ihm die brasilianische Streitmacht wahrscheinlich nicht ab, dass er Kopfbälle und Schüsse auch aus drei Metern Entfernung entschärfen kann. Außerdem war Ochoa, der allem Anschein zum Trotz bereits 28 Jahre alt ist (und am Tag des Endspiels 29 wird), der einzige Spieler, der im Laufe dieser Schlacht nicht die gelbe bzw. rote Karte verdient hatte. Wie ein sogenannter Schiedsrichter ein Spiel negativ beeinflussen kann, in dem beide Mannschaften nach allem treten, was bunte Fußballschuhe anhat, konnte man hier exemplarisch studieren: Möglichst ohne Karte auszukommen, war wahrscheinlich der Anspruch des lächerlichen Referees, was die aufgeheizten Gemüter aber nur zu noch wilderer Treterei anstachelte. Kein Zweikampf ohne Foul. Bei strengsten Ermahnungen hatten die Spieler Mühe, sich das Lachen zu verkneifen. Ein Wunder, dass sich die Gemüter zwischenzeitlich beruhigten und es keine Schwerverletzten gab. Trotzdem wird uns das Spiel noch lange in Erinnerung bleiben, Guillermo Ochoa sei Dank…