Archiv der Kategorie: Europapokal

Der Mann des Spiels

Auch mit ein paar Tagen Abstand zum Champions-League Finale brodelt es in mir noch. Nicht dass es mir nicht völlig egal wäre, ob englische oder spanische Milliardenvernichter den Cup gewinnen, nein, aber es gibt ja schließlich so was wie Gerechtigkeitsempfinden.

Mann des Spiels war eindeutig nicht Garreth Bale mit seinen zwei Toren, auch wenn das eine soviel mehr ansehenswert war als das andere. Auch der arme Karius war nicht der Spielentscheider, obwohl dies auf den ersten Blick so ausgesehen haben mag.

Der „man of the match“, wie es so schön heißt und wofür es oftmals auch den überflüssigsten Pokal der Weltgeschichte gibt, war eindeutig Sergio Ramos! Ja, richtig, der mit dem (Nazi)-Adler –Tatoo im Genick, auch wenn der Adler kein Hakenkreuz, sondern irgendeine Erdbeere in den Klauen hält. Warum die Ehre?

Erstens schaltete er nach dreißig von Liverpool überlegen geführten Minuten mit geübtem Wrestling-Griff den gefährlichsten Mann des Gegners aus. Im Unterschied zum Wrestling, wo die Kontrahenten ihre Gegner meist respektieren und es relativ wenige Verletzungen gibt, halte ich es für nicht allzu unwahrscheinlich, dass Ramos genau das wollte, was er gemacht hat, nämlich den Kontrahenten kampfunfähig machen. Ein Witz, dass der Schiedsrichter nicht mal Freistoß gab und mindestens Gelb zeigte. Ein Foul, das in seiner ganzen Fiesheit für einen Ramos nicht untypisch ist. Getoppt im Humor nur noch von Olli Kahns Spielanalyse, in der er doch ernsthaft behauptete, dass derartige Körperverletzungen in jedem Spiel 15 Mal vorkämen. Wenn Kahn Ahnung vom Fußball und nicht nur vom Wetten hätte, wüsste er, dass kein Spiel beendet werden könnte, wenn 15 Spieler mit schweren Verletzungen ausschieden, da jede Mannschaft mindestens 7 Spieler auf dem Platz haben muss.

Noch entscheidender für die verdiente Wahl zum entscheidenden Spieler war aber vielleicht eine Szene in der zweiten Halbzeit, die im allgemeinen Medienaufruhr fast unterging und in der Spielübertragung nicht und später in der Analyse nur kurz und nebenbei zu sehen war: Nach einem Eckball, als der Ball und alle Augen schon Richtung Mittelfeld unterwegs waren, ging Ramos auf Torwart Karius zu und streckte ihn mit gezieltem Ellbogencheck zu Boden. Da saß er nun, guckte dumm aus der Wäsche, während der gute Sergio unschuldig Richtung Mittellinie trabte. Hätte Karius sich hier, wie es auch angemessen gewesen wäre, am Boden gewälzt und die Betreuer aufs Feld kommen lassen, wäre eventuell über die Aktion zu diskutieren gewesen, die in jedem Fall eine eindeutige Rote Karte war. Außerdem ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass Torwart Karius bei dem Check, vielleicht ohne es selber zu realisieren, eine kleine Gehirnerschütterung davongetragen hat, die ursächlich für seien Fehlgriff beim 1:3 gewesen sein könnte. Auch Kramer hat im WM-Finale 2014 noch eine Weile gespielt, bis er vom Platz ging. Es wäre klug von Karius gewesen, den Schiedsrichter zu fragen, in was für einem Spiel er sich eigentlich befände…

Unwichtiges Spiel gegen Östersund?

Hertha ist nach dem 2:3 in Bilbao aus der Europa-League ausgeschieden. Der geneigte Hertha-Fan, der natürlich die Eintrittskarten für alle Gruppenspiele im Dreierpack erworben hat, gruselt sich schon jetzt vor der abschließenden Begegnung gegen Östersund vor 12.000 Zuschauern im nasskalten, zugigen Olympiastadion, dessen Atmosphäre doch sehr an 20 Jahre zurückliegende Zweitligazeiten erinnern wird (2010/11 und 2012/13 gab es in der 2. Liga ja Erstligastimmung). Für Hertha geht es um nichts mehr, es wird sicher eine Art Nachwuchsmannschaft antreten – was nicht das Schlechteste sein muss, spielten die jungen Arne Meier, Mittelstädt, Torunarigha, Selke u.a., wenn sie denn eingesetzt wurden, souverän und spielerisch teilweise besser als die sogenannten Stammspieler. Aber geht es wirklich um nichts?

Zuerst mal wären da 360.000 € Siegprämie (120.000 € für einen Punkt) zu nennen, die zwar im Gesamtetat von über 100 Millionen € wie von einem trockenen Schwamm aufgesogen werden, aber wer den Cent nicht ehrt…Es gab Zeiten, da hätte Hertha so eine Summe vor dem drohenden Lizenzentzug bewahrt! Außerdem, und das erscheint mir oft unterbewertet, zählt jeder Punkt in der UEFA-5-Jahres-Wertung, die für die Startplätze in Champions- und Europa-League entscheidend ist. Drei Punkte machen immerhin 0,428 Endpunkte aus, können also im Zweifelsfall darüber entscheiden, ob Deutschland oder die nachdrängenden Franzosen (oder sollte man sagen Ölscheichs?) einen dritten Champions-League Direktqualifikanten stellt. Dafür lohnt es sich doch zu arbeiten.

Zu guter Letzt wäre noch der „Team-Koeffizient“ in der UEFA zu nennen, wo Hertha momentan auf Platz 114 steht, welcher für die Setzliste bei künftigen Auslosungen eine Rolle spielt. Nebenbei können sich natürlich junge Spieler aus der zweiten Reihe für weitere Einsätze in der Stammformation empfehlen, was eigentlich Motivation genug für eine Höchstleistung sein sollte.

So gesehen geht es also am 7. Dezember beim Spiel Hertha gegen Östersund um mehr als die bronzene Ananas, für Östersund sowieso, denn der 1. Tabellenplatz vermeidet in der nächsten Runde ein Spiel gegen einen Champions-League-„Absteiger“.

So schön auch ein echtes „Endspiel“ gegen Östersund, das sich Hertha nach den Leistungen in der Gruppenphase allemal verdient hätte, gewesen wäre, es könnte ein interessantes Spiel werden. Hoffentlich ist das den Spielern auch klar. Aber die werden sich eher von der eigenen Siegprämie als von Länderpunkten oder Koeffizienten beeindrucken lassen…

Herthas Woche der Wahrheit

Bei der Mitgliederversammlung am Montag schlenderte die Mannschaft zwar lässig durch die Messehalle (der eine oder andere Spieler musste ein Autogramm geben, Lustenberger trödelte weit hinterher, weil er mit jedem plauschte, der nicht schnell genug wegsah, Kalou hatte auch in der warmen Halle noch eine pelzbesetzte Jacke über dem schwarzen Anzug), wurde aber nicht, wie unter Hoeneß` (un-)seligen Zeiten noch üblich, auf die Bühne gebeten. Trotzdem gab es beim Abmarsch überraschend anhaltenden, freundlichen Applaus, was zeigt, dass zumindest die aktiven Mitglieder verstanden haben: Die Mannschaft ist, trotz der Niederlage gegen Mönchengladbach nach hinreißendem Kampf, nicht so schlecht, wie es der 14. Tabellenplatz vermuten lässt – genau, wie sie im vorigen Jahr nicht so gut war, wie viele wegen  des sechsten Platzes zu glauben meinten.

Wenn in Bilbao und Köln nicht verloren wird, kann es noch eine relativ erfolgreiche Hinrunde geben: Ein Unentschieden in Bilbao kann ja, ein Sieg im letzten Spiel gegen Östersund vorausgesetzt, zum Überwintern in der Europa-League reichen und ein Remis oder gar ein Sieg in Köln würde die Mannschaft fast das Soll der vorigen Saison erreichen lassen. Wobei der Punkt in Köln den ungleich schwierigeren Part der Wochenarbeit darstellt, wie wir nach dem Pokal-Aus wissen: Köln ist viel besser als sein Tabellenstand vorgaukelt und Hertha ist seit Jahrzehnten spezialisiert darauf, angeschlagene Mannschaften großzügig wieder aufzubauen. Sollte Hertha doch beide Spiele verlieren, wird es im Blätterwald der Hauptstadt und in den Chat-Foren zwar gewaltig rauschen, trotzdem täte der Verein gut daran, Dardai nicht so bald als Trainer zur A-Jugend zurückzuschicken. Der gute Pal ist zwar seit fast drei Jahren Cheftrainer und mit jetzt 95 Bundesligaspielen liegt er nach Georg Kessler (102) und vor Jos Luhukay (87) schon auf dem fünften Rang der „ewigen“ Hertha-Trainer-Tabelle. Bis zu Helmut Kronsbein mit 311 Spielen ist es aber noch ein weiter Weg…

P.S.: Wenn alle Stränge reißen und Dardai aufgibt oder zur Aufgabe überredet wird, ist ein Trainertausch schon vorprogrammiert: Dardai geht zu seiner geliebten Jugend und von dort kommt Zecke Neuendorf als nächster Cheftrainer! Wetten dass!!!

Herthas gute Chancen in der Europa-League

Machen wir es mal mathematisch: Es gibt in der Gruppe von Luhansk, Bilbao, Östersund und Hertha noch vier Spiele. Hört sich wenig an, lässt aber eine Unzahl von Tabellenkonstellationen zu, da jedes Spiel drei verschiedene Ergebnismöglichkeiten hat, nämlich Heimsieg, Unentschieden oder Auswärtssieg. Dementsprechend gibt es 3x3x3x3=81 verschiedene Endtabellen. Allerdings, wie beim Fahrrad die Gänge einer Schaltung mit drei Kettenblättern und 9 Ritzeln, überschneiden sich einzelne Möglichkeiten. Machen wir es uns einfacher: Hertha spielt in Bilbao unentschieden (bei einer Niederlage ist man unweigerlich raus) und schlägt im „Endspiel“ Östersund. Dann gibt es nur noch neun verschiedene Endtabellen, wobei Hertha bei sechs Konstellationen weiter wäre. Im Idealfall spielt Östersund gegen Luhansk unentschieden, dann ist Hertha immer weiter (Voraussetzung siehe oben), aber auch wenn Luhansk oder Östersund gewinnen, ist noch nichts verloren, allerdings müsste dann Bilbao…Wir merken, es gibt wie immer viele Wege, die nach Rom bzw. ins beschauliche Nyon am Genfer See führen, wo die Auslosung für die Runde der letzten 32 vorgenommen werden wird. Bei zwei Siegen, wenn Östersund mit zwei Toren Differenz geschlagen wird, ist Hertha sowieso immer weiter. Wir sehen: Es wird wider Erwarten doch noch spannend und sollte Hertha in Bilbao wirklich nicht verlieren, dann sollten am 7. Dezember gegen Östersund trotz später Anstoßzeit und nasser Kälte doch etwas mehr als 12.000 Zuschauer ins Olympiastadion kommen. Es muss ja nicht gleich ausverkauft sein…

Hertha und die Brasilianer

Ohne einen einzigen Neuzugang (Duda ist für die Europaleague-Qualifikation gesperrt) gewann Hertha am Donnerstag gegen Bröndby IF in erstaunlich flotter Art und Weise. Wenn man an quälende Saisoneröffnungen früherer Jahre denkt, muss man feststellen, dass offensichtlich in den vergangenen Wochen auf den Punkt genau hingearbeitet wurde. Was natürlich noch nicht bedeutet, dass Hertha im Schongang in die nächste Runde einziehen wird. Aber ein Unentschieden kann man Hertha in Kopenhagen durchaus zutrauen. Die Chancen aufs Weiterkommen sind von 55:45 auf 65:35 gestiegen, mehr nicht.

Aus heutiger Sicht erhebt sich aber nach dem Gesehenen die Frage, ob Hertha überhaupt Neuzugänge braucht? Duda ist da und wird die taktischen Variationsmöglichkeiten enorm vergrößern und ein kleiner Brasilianer namens Allan nahm am Probetraining teil. Wie bei Cottbus viele Rumänen unter Vertrag waren und Freiburg vor einigen Jahren eine Handvoll Wilis aus Georgien in den eigenen Reihen hatte, spielten für Hertha etliche Brasilianer in der Bundesliga, nicht zuletzt weil Dieter Hoeness gerne mal nach Brasilien jettete und neben Vertragsverhandlungen wohl auch das Drink- und Strandleben zu genießen wusste.

Herthas erfolgreichster Brasilianer ist natürlich Marcelinho, der von 2001 bis 2006 in 155 Spielen 65 Tore schoss, womit er 4. in der Hertha Torschützenliste ist. Raffael (2007 bis 2012) folgt mit 140 Spielen und 33 Toren, davon allerdings 30 Spiele und 10 Tore in der zweiten Liga. Bruder Ronny, der momentan seinen genialen 4-Jahres-Vertrag aussitzt, hat 112 Spiele und 27 Tore auf seinem Konto (55 Spiele/20 Tore in der 2. Liga).

Gilberto, von vielen schon fast vergessen, spielte zwischen 2004 und 2008 101 Mal für Hertha und erzielte dabei 14 Tore, während Alex Alves, unvergessen und zu früh verstorben, in 81 Spielen 25 Tore schoss. Und was für welche!

Außerdem gab es von 2008 bis 2010 einen Cicero (63/10), von 2006 bis 2008 Mineiro (36/2), 2002 bis 2004 Luizao (26/4), 2007/2008 André Lima (15/2), 2008 bis 2011 Kaka (15/1), 2002/03 Nene (10 Spiele) und der unglückliche Lucio, der sich so schwer verletzte (2007 bis 2009: 10 Spiele, 1 Tor). Weiterhin Rodnei 2008/09 (9 Spiele), Leandro Cufré (2008/09, 5 Spiele) und Cesar (2009/10, 3 Spiele).

Viel Masse aber auch große Klasse! Vielleicht wird sich das Talent Allan, wenn er nur zu einem Bruchteil an seinen großen Namensvetter Allan Simonsen (Europas Fußballer des Jahres 1977) anknüpft, in die Reihe der brasilianischen Herthaner einreihen können.

Hertha und der „Europapokal“

Natürlich hat der Begriff „Europapokal“ längst ausgedient, er stammt aus einer Zeit, als man Dauerlauf betrieb und noch nicht joggte und als noch sechs Schraubstollen unter dem Fußballschuh statt einer Batterie von Plastikklötzchen Kreuzbandrisse den Skiläufern überließen. Nun gut, es kann nicht alles schlechter werden. Champions-League und Europa-League sind auch eindeutiger als EC I, II und III, wie es in der verblichenen DDR so schön buchhaltermäßig klang.

Weil Hertha am Ende der vorigen Saison etwas schwächelte, bzw. wieder im Normalmodus der letzten Jahre werkelte, muss man in die Doppelqualifikation, um in die Gruppenphase der Europa-League einzugreifen. Bröndby IF ist weiß Gott keine Altherrentruppe, sondern eine international erfahrene Mannschaft. Als Hertha 2009  im letzten Spiel beim Absteiger KSC mit einem 0:4 die Champions-League-Qualifikation verpasst hatte und in die Europa-League Quali musste, verlor Hertha in Kopenhagen 1:2. Im Rückspiel lief man im Jahn-Sportpark lange einem 0:1 hinterher, bis nach dem Ausgleich 10 Minuten vor Schluss ein gewisser Pal Dardai einen abgewehrten Eckball volley entgegen seine sonstige Gewohnheit zum 2:1 ins Netz schmetterte. Die Verlängerung blieb der zahlenden Kundschaft durch ein Tor von Gojko Kacar kurz vor Schluss erspart. Ob die Hertha des Jahres 2016 schon genug Klasse hat, diesen Gegner zu bezwingen? Viel mehr als 3,50 € würde ich nicht verwetten!

Immerhin hat sich das ruhige Zurücklehnen im Liegestuhl aus der vorigen Woche gelohnt: Mit Ondrej Duda kommt der erste Neuzugang zu Hertha und es sollte uns wundern, wenn es der Slowake nicht, wie Landsmann Pekarik und Fast-Landsmann Darida, auf Anhieb in die Startformation schaffen würde. Einen echten Zehner hat Hertha ja seit Raffaels seligen Zeiten nicht mehr, von Ronny in der zweiten Liga mal abgesehen. Das Vertrauen zu Baumjohann ist aus unbekannten Gründen trotz Vertragsverlängerung (vielleicht um eine höhere Ablösesumme zu generieren?) offensichtlich nicht vorhanden. Umso wichtiger die Verpflichtung von Duda. Da kann man sich freuen. Und eventuell hilft er ja doch, die Dänen zu besiegen und den Traum vom „Europapokal“ aufrecht zu erhalten…

Eine besondere Spezies: der Bayern-Fan

Wenn man zum Olympiastadion fährt, wohlgemerkt dem Berliner, nicht dem Münchener, und gefühlte 80 % der sich im S-Bahn-Waggon drängelnden Menschen offensichtlich Bayern-Fans sind, und dies auch arrogant den Gegner verunglimpfend herausposaunen, kommt man schon ins Grübeln. Wo kommen all’ diese Roten her? Die reisen doch nicht aus München an, schon aus Sorge, nach überqueren des Weißwurscht-Äquators nur unangemessene Speisen und Getränke angeboten zu bekommen. Aber überall in Deutschland scheint sich in den letzten Jahrzehnten der weiß-rote Bayern-Bazillus ausgebreitet zu haben, wie die Zika-Mücke in Brasiliens Abwasserkanälen. Offensichtlich handelt es sich bei diesen Menschen um entwurzelte arme Seelen, die abgesehen vom wochenendlichen Bayern-Sieg, nicht viel Freude am Leben haben.

Natürlich habe ich als kleiner Junge auch die Sechziger auf ihrem Europapokaltriumphzug 1964/65 fasziniert vor dem Fernsehgerät begleitet, genauso wie 1966 die Dortmunder Borussen und ein Jahr später die Bayern. Aber man wird doch nicht Fan einer Mannschaft, dessen Heimstätte 600 km entfernt liegt, nur weil diese Mannschaft immer gewinnt! Oberflächlichkeit in Zeiten der Globalisierung (Chinesen als Fans von Manchester United!), der Drang, stets auf der Seite der Gewinner der Geschichte zu sein, unabhängig von Herkunft und Beziehung zum Verein (niemand der nicht Hannoveraner ist, würde auf die absurde Idee kommen, Hannover 96 auf ein Auswärtsspiel nach Ingolstadt zu begleiten) und die Unfähigkeit vieler Menschen auch mal durch ein vierzig Jahre dauerndes Tal der Tränen zu gehen und trotzdem seinem Verein treu zu bleiben, sind wohl die Ursachen für die Event-Fan-Unkultur der europäischen Spitzenvereine. Seit Nick Hornby wissen wir, dass ein echter Fan auch leiden können muss. Ich würde gerne wissen, wie viele der Bayern-Schreihälse vom letzten Sonnabend noch „Fans“ wären, wenn Bayern drei Jahre hintereinander nur Dritter bis Fünfter werden würde. Wahrscheinlich würden sich viele Rot-weiße Atletico Madrid anschließen, weil sie da die Farben nicht wechseln müssten.

Apropos Atletico Madrid: Erstmals in fünfzig Jahren Europapokal am Fernseher drücke ich einer deutschen Mannschaft nicht bedingungslos die Daumen. Klammheimliche Freude im Gedenken an die Schmähgesänge in der S-Bahn könnte ich bei einem Ausscheiden der Bayern im Halbfinale nicht ausschließen…

Arme Bayern

Neulich schrieb ich, dass es schon ein Wunder wäre, wenn sich das Desaster vom Vorjahr (0:1 und 0:4 gegen Real Madrid) angesichts der Totalrotation der Bayern in der Bundesliga nicht wiederholen würde. Nun gut, bis zur 77. Minute hatte ich, was das Ergebnis angeht, daneben gelegen, ermauerten sich die Münchener doch ein achtbares 0:0 in Camp Nou. Was die Spielanteile und die Torchancen angeht, erteilte Barcelona den Bayern aber von der ersten Minute an eine Lektion. Das hat sicher nicht nur mit mangelnder Fokussierung im Meisterschaftsrausch zu tun, sondern mit der Tatsache, das Barcelona mit Suarez, Messi und Neymar den mit Abstand gefährlichsten Sturm im Welt-Vereinsfußball hat. Dagegen ist Bayern mit dem Ein-Mann-Unterhalter Lewandowski (Müller eher indisponiert, Götze nur auf der Ersatzbank und nach seiner Einwechslung ein Schatten seiner selbst) ausgesprochen dürftig besetzt. Die drei Tore fielen zwar spät, aber folgerichtig. Wenn jemals der Begriff „sturmreif schießen“ einen Sinn hatte, dann in diesem Spiel. Sonderbar übrigens, dass Lewandowski eine Maske trug und sein Gegenspieler ein gewisser Mascherano (sprich: Maskerano) war…
Es wäre absurd, zu hoffen, dass Bayern im Rückspiel noch eine Chance hätte. Zwar können sie durchaus mit Harakiri-Angriffsfußball ein oder zwei Törchen erzielen, werden dann aber zwangsläufig auf der Gegenseite auch das eine oder andere Gegentor kassieren. Es sei denn, Barcelona rotiert im scheinbar unwichtigen Rückspiel Messi, Neymar und Suarez aus der Mannschaft heraus, um sie für’s Finale zu schonen. Aber so viel Dummheit und Arroganz gibt es wohl nur manchmal in einer nichtgenannten Stadt in Süddeutschland an der Isar!