Hätte man die Spieler nicht erkannt, hätte der neutrale Zuschauer im Kölner Stadion den Aufstiegskandidaten und den Eben-noch-Abstiegskandidaten doch glatt verwechseln können. Eine Viertelstunde vor Schluss vermeldete der Reporter 15 : 2 Torschüsse für Hertha. Auch wenn dieses Verhältnis die wahren Chancen etwas verschleiert, denn Köln war, immer mehr gegen Ende des Spiels, mehrfach in aussichtsreicher Position um den und im Strafraum, so spiegelt es doch recht gut die bärenstarke Leistung der ersatzgeschwächten Hertha-Mannschaft wider. Von Beginn an spielte Hertha nach vorne, immer wieder wurde Reese gesucht, der allerdings manchmal zu sehr mit dem Kopf durch die Wand wollte. Etwas weniger Ego-Show wäre hier ein paar Mal sinnvoller gewesen. Wenn der Mitspieler allerdings nach der besten Flanke des Spiels drei Meter vor dem leeren Tor über den Ball semmelt, kann man verstehen, dass Reese sich lieber auf sich selbst verlässt. Wie z.B. vor seinem Tor, als er aus keiner Chance den Ball trotzdem ins Netz schlenzte.
Hat die enorme Leistungssteigerung mit den neuen Trainern zu tun?
Definitiv ja!
Die Umstellung auf die Dreier- bzw. Fünferkette mit drei Innenverteidigern und Leistner als überragendem Ruhepol in der Mitte, hat die Abwehr extrem stabilisiert. Reese UND Scherhandt als ständig rochierendes Außenstürmer-Pärchen bringt jede Zweitliga-Abwehr durcheinander. Da fällt der fehlende Mittelstürmer gar nicht so sehr auf. Natürlich spielt Leitl in die Karten, dass Reese wieder zu früherer Form findet, mit der Ausnahme seiner Sprints entlang der Linie (Ball vorlegen und dem Verteidiger einfach weglaufen). Die absolute Sprintgeschwindigkeit scheint noch nicht wieder bei 100 Prozent zu sein. Dafür sind Dribbling und Abschluss deutlich zielführender geworden.
Leitl kann jetzt drei Siege, ein Unentschieden und zwei Niederlagen verbuchen, wobei nur eines der sechs Spiele (Elversberg) richtig schlecht war. 10 Punkte in sechs Partien ergibt einen Punkteschnitt von 1,66, was zwar für Hertha-Verhältnisse recht gut ist, nach 34 Spielen aber nur 56 Punkte ergäbe, was zum Aufstieg nicht reichen würde. Ob in der neuen Saison, die bei acht Punkten Vorsprung auf den Abstiegs-Relegationsplatz mit ziemlicher Sicherheit in der zweiten Liga stattfindet, wenn Reese und andere nicht mehr an Bord sind, dieses Niveau gehalten bzw. ausgebaut werden kann, ist zum jetzigen Zeitpunkt fraglich. Aber noch ist Reese da. Und vielleicht überwiegen ja die von Reese so benannten „weichen Faktoren“ bei seiner Entscheidung, ob er wechseln oder bleiben will, die Nullen auf dem Gehaltskonto. Passen würde es zu Reese…