Reisende soll man ziehen lassen…

Dass Spieler heutzutage den Verein gefühlt alle zwei Jahre wechseln, ist eine Tatsache. Niemand erwartet eine so altmodische Einstellung wie Dankbarkeit, wenn ein Fußballer acht Jahre in einer Nachwuchs-Akademie ausgebildet wurde und er ein gut dotiertes auswärtiges Angebot erhält. Was einen jungen Menschen davon abhalten könnte, den Verein zu wechseln wäre a) die Überlegung, ob man beim aufnehmenden Verein auch genügend Gelegenheit erhält, sein Talent zu entfalten, sprich: häufig genug eingesetzt zu werden und b) die charakterliche Neigung, nicht nur auf sich, sondern auch auf das Umfeld zu schauen. Zu a) wäre zu sagen, dass ein Nachwuchsfußballer, der es zu einer gewissen Anerkennung seiner Fähigkeiten gebracht hat, in der Regel so von sich überzeugt ist, dass er mit Sicherheit nicht an die Möglichkeit Kader-Ergänzungsspieler zu werden denkt. Sonst hätte er nicht seit seinem achten Lebensjahr an von Eltern, Trainern, Betreuern und vielleicht sogar Freunden gehört, wie gut er ist. Und b) ist ja gerade das Gegenteil von allem, was ein Fußballtalent all die Jahre seiner Jugendkarriere zu hören bekommt. Es geht ja immer nur darum, Ellbogen zu benutzen, sich durchzusetzen und Fairness gegenüber Gegnern und selbst Mitspielern kommt erst, wenn es nicht wehtut. Das eigene Fortkommen ist viel wichtiger als die Zukunft des Vereins, dessen Wappen man gerade noch küsste und in dessen Bettwäsche man vielleicht noch bis vor kurzem zu ruhen pflegte.

Lassen wir ihn also gehen, den Bence Dardai (der noch nichts für Hertha geleistet hat) oder auch den Marton Dardai, wenn sie glauben, dass es ihnen woanders besser gehen wird. Der Kontostand wird, zumindest in den ersten ein, zwei Jahren, höher sein. Ob die Anerkennung und die erfolgreiche Fortsetzung der Karriere entsprechend positiv sein werden, steht in den Sternen. Lassen wir sie und mit Sicherheit einige andere ziehen. Andere kommen nach und vielleicht bleiben am Ende die, die mit der richtigen Mentalität in einigen Jahren erfolgreich sein werden. Vielleicht sogar mit dem Trainer, dessen Mannschaft nur eines der vergangenen neun Spiele verloren hat.

Für den Berliner Weg wäre es allemal gut.

Hertha ohne Dardai

Pal Dardai wird zum Ende der Saison gehen müssen, wenn nicht wider Erwarten die letzten sechs Spiele gewonnen werden sollten und Hertha die Relegation erreicht.

Fest steht aber: Alle Saisonziele sind erreicht:

1) Die aus der Not zusammengewürfelte Mannschaft schlägt sich mindestens so gut, wie vor Beginn der Spielzeit erwartet, als Dardai unwidersprochen sagen durfte, dass es zwei bis drei Jahre dauern werde, bis die Mannschaft um den Aufstieg mitspielen werde.

2) Der Berliner Weg wurde erfolgreich ein- und fortgeführt. Bis zu sieben Berliner Jungspunde aus der Hertha-Akademie standen zeitweilig auf dem Platz, einmalig im deutschen Profifußball seit den Sechzigerjahren, als noch fast alle Spieler aus der Stadt des Vereins kamen.

3) Im Pokal erreichte man das Viertelfinale und wenn Bouchalakis nicht dem Gegner das 0:3 aufgelegt hätte, wäre auch dieses Spiel noch nicht verloren gewesen.

Eins ist klar: Dardai ist seit Favres Fast-Meisterschaft (immerhin schon 15 Jahre her) der mit Abstand erfolgreichste Hertha-Trainer ! Weder Covic, Labbadia, Korkut noch Schwarz oder gar Klinsmann schafften es wie Dardai, der die Mannschaft zweimal nach Europa führte und zweimal vor dem Abstieg rettete, auch nur annähernd so erfolgreich zu sein.

Natürlich wackelt die Abwehr zu oft, kein Wunder bei den vielen jungen Spielern. Natürlich kommen aus dem Mittelfeld zu wenig Ideen, kein Wunder, wenn man alle Mittelfeldspieler (Tousart, Boateng, Boetius, Cigerci, Richter und Serdar) verkaufen musste. Aber ist es nicht ein Wunder, dass die Mannschaft trotzdem so gut dasteht? Man kann sich mal den Tabellenstand von unseren Gelsenkirchener Freunden ansehen. Und dass der Angriff zu wenig Tore schießt, wagt auch der verlogenste Kritiker nicht zu behaupten.

Wer will trotz dieser Tatsachen den Trainer absägen?

Es sind die ewigen Zweifler und Nörgler auch im Verein, die Hertha in den letzten Jahrzehnten immer wieder mal an den Rand des Abgrunds gewirtschaftet haben und dies auch wieder tun würden und werden, wenn sie sich durchsetzen. Es sind die Journalisten, die nur, was Dardai ständig moniert, das Negative sehen. Nun gut, Journalisten dürfen auch kritisch sein und Dardai muss sich vorwerfen lassen, dass er nicht immer souverän genug reagiert hat. Eine PK eingeschnappt zu verlassen, zeugt von Dünnhäutigkeit, die man an ihm eigentlich nicht kennt. Oder wollte er mit seiner vorher geplanten Aktion eine Entlassung provozieren?

Es sind wahrscheinlich die ahnungslosen Geschäftemacher von tripleseven, die auf schnellen Profit aus sein müssen, da ihr wackliges Finanzkonstrukt bedenklich in Schieflage geraten zu sein scheint.

Und es sind die besserwisserischen „Fans“, die nur deshalb nicht Bayern-Anhänger sind, weil sie zufällig in Marzahn oder Spandau und nicht in München-Solln geboren wurden und die meinen, eine Fußballmannschaft hat gefälligst immer zu gewinnen. Würden sie auch gerne tun, wenn da nur nicht immer die bösen Gegner wären, die etwas dagegen haben.

Fazit: Dardai wird wohl gehen müssen und niemand kann vorhersagen, ob der Neue besser sein wird. Schade. Es ist nur zu hoffen, dass der Berliner Weg damit nicht zu Grabe getragen werden wird. Kay Bernstein wird es genau beobachten.

Hertha im Niemandsland

Sieben Spiele vor Schluss der Saison befindet sich Hertha mit acht Punkten Rückstand auf den Aufstiegsrelegationsplatz und neun Punkten Vorsprung auf den Abstiegsrelegationsplatz im Niemandsland der Tabelle. Um den Abstieg auch fußballtheoretisch (nicht mit mathematisch zu verwechseln) auszuschließen, benötigt man noch zwei Pünktchen, was machbar erscheint. Und für das Erreichen des dritten Platzes müssten sechs von sieben Spielen gewonnen werden, was bei der Inkonstanz der Mannschaft mehr als unwahrscheinlich, wenn auch nicht völlig ausgeschlossen ist. „Wundääär – gibt es immer wiedääär…“ heißt es zwar im deutschen Liedgut, aber sie sind eben doch so selten, dass Hertha in den letzten 61 Jahren keines davon erlebt hat.

Immerhin ist die Mannschaft nicht so schlecht, wie sie von einigen Nörglern gemacht wird. Denn Hertha hat nur eines von den letzten sieben Spielen verloren (gegen Spitzenreiter St. Pauli). Wenn da nicht die vielen Unentschieden wären, die jedes mal zwei Punkte kosteten (Braunschweig, Kiel, Nürnberg) und den Abstand zu Platz 3 nicht schrumpfen ließen! Auch die Serie zwischen Spieltag 11 und 18 mit acht Spielen ohne Niederlage (aber auch fünf Unentschieden) war nicht schlecht, durch viele verlorene Punkte (Rostock, KSC, Hannover, Osnabrück, Düsseldorf) aber eben auch nicht besonders zielführend. Entscheidend für den Rückstand auf Platz 3 ist aber die Serie Nummer 1, nämlich die null Punkte aus den ersten drei Spielen. Diesen Rucksack schleppte Hertha durch die ganze Saison und konnte ihn nie ablegen.

Was soll`s.

Wahrscheinlich ist es sowieso besser, in dieser Saison nicht aufzusteigen, was ja (siehe oben) durchaus im Bereich des Möglichen gelegen hätte, da den vielen jungen Spielern noch mindestens ein Jahr Ausbildung und Erfahrungsammeln in Liga 2 wesentlich besser bekommt, als in der nächsten Saison in Liga 1 verschlissen zu werden. Das klappt natürlich nur, wenn die vielen Talente den Verein nicht verlassen und an die lukrativeren Fleischtöpfe ziehen, wie es Bence Dardai schon mal vormacht. Wenn aber Maza, Gechter, Marton Dardai, Ernst, Klemens, Scherhant, Christensen und Winkler bleiben, kann durchaus etwas Großes entstehen.

Ganz im Sinne von Kay Bernstein.

Hertha und die Investoren

Das waren noch Zeiten, als Hertha eine Anleihe ausgab, um von seinen Freunden und Mitgliedern ein paar schnelle Millionen für die dringendsten Ausgaben aus der Portokasse zu requirieren. Nach Schillers gut bezahltem Deal mit Herrn Windhorst, der angeblich immer noch nicht im Gefängnis einsitzt, der 375 Millionen einbrachte, die in der Rekordzeit von drei Jahren verschwendet wurden, ist momentan der Investor mit dem schillernden Namen „777 Partners“ Herthas Geldgeber. Ob er neben der vergleichsweise lächerlichen Kaufsumme, die Herr Windhorst bzw. seine Gläubiger bekamen, weiteres Geld für diverse Hertha-Anteile in die klamme Kasse spülte, ist nie so richtig kommuniziert worden. Ob die 100 zugesagten Millionen schon auf dem Hertha-Konto liegen oder nicht, ist unklar. Wenn sie dort noch nicht angekommen sind, dürfte nach einem mehrseitigen Bericht in der April- Ausgabe von „11freunde“ mehr als fraglich sein, ob sie jemals ihr Ziel erreichen. Denn nach diesem Bericht hat „tripleseven“, wie sich diese Firma auch gerne nennen lässt, selber derartige finanzielle Probleme, dass man sich wundert, dazu nicht schon viel mehr gehört zu haben. Außerdem scheint der geschäftsführende Gesellschafter Josh Wander, der auf der gemeinsamen Pressekonferenz als Kumpel mit Baseballcap auftrat, offenbar ein „Businessmann“ zu sein, gegen den Lars Windhorst geradezu die Verkörperung von Seriösität darstellt. Gefängnisstrafen wegen Drogenhandels und Verkehrsdelikten (wobei unklar bleibt, ob Wander diese Strafen wirklich antreten musste) sowie etliche andere Auftritte im Namen der (Un-) Gerechtigkeit verschönern laut „11freunde“ seinen Lebenslauf.

Dass sich Wander bisher aus Herthas Tagespolitik heraushält und nicht im Medienporzellanladen herumtrampelt wie Windhorst, muss nichts heißen. Zwischen den Zeilen hört und liest man schon, dass die Amerikaner an Dardais Stuhl sägen. Wenn sie sich nicht mehr einmischen, liegt das wohl in erster Linie daran, dass sie viel mit sich selbst zu tun haben.

Und wenn der Investor in die Insolvenz geht?

Der Verein Hertha BSC e.V. ist davon überhaupt nicht betroffen. Und wenn es die Firma „777 Partners“ nicht mehr gibt, könnten sich Gläubiger die Anteile der KGaA für ein paar Euros unter den Nagel reißen. Da wartet natürlich eine gewisse Gefahr, dass neue Eigner noch unseriöser als die bisherigen sind und auftreten. Aber kann das nach den Erfahrungen der vergangenen sechs Jahre noch jemanden schrecken? Im Idealfall könnte Hertha zumindest einige Anteile für kleines Geld selber zurückkaufen. Dazu müssen aber die Hausaufgaben des „Berliner Wegs“ gemacht werden und muss der Verein Schritt für Schritt durch Transferüberschüsse und Kappung der Gehälter (noch hat Hertha den zweitteuersten Kader der 2. Liga) die Entschuldung vorantreiben. Dann können uns in Zukunft die Windhorsts und Wanders gestohlen bleiben…

Die Fahnenküsser

Man kennt die Geste: Der Spieler erzielt ein Tor, rennt Richtung Eckfahne und küsst das Vereinswappen, bei der Hertha die Fahne. Soll bedeuten: Oh, wie liebe ich diesen Verein, dir werde ich immer treu sein…Die Halbwertszeit dieser Gesten beträgt normalerweise die Zeit, die noch bis zum Schlusspfiff des Schiedsrichters verbleibt. Am selben Abend kann es schon das Treffen des Spielers mit dem Berater und Funktionären eines anderen Vereins geben, auf dem über den Wechsel zu wahrscheinlich lukrativeren Fleischtöpfen verhandelt wird.

Bence Dardai und Ibrahim Maza, beide stolze 18 Jahre alt, werden Hertha BSC, den Verein, der sie geformt und bis in die erste bzw. zweite Liga des Profifußballs geführt hat, wahrscheinlich zum Saisonende verlassen. Ein herber Rückschritt auf dem Berliner Weg, der in dieser Übergangssaison bis zu sieben in Berlin geborene und hier ausgebildete Spieler in die Mannschaft gebracht hat? Ja und nein. Natürlich wäre es schade, wenn ein so überragendes Talent wie Maza ( Bence Dardai blieb es in seinen bisherigen Profieinsätzen meist schuldig) den Verein verlassen würde. Andererseits kommen auch wieder andere Spieler nach und drängen nach oben.

Über die charakterlichen Qualitäten solcher jungen Leute muss man sich keinerlei Illusionen machen. Wenn man bei der erstbesten Gelegenheit nach dem großen Geld schielt und die bisherige Lebensvergangenheit in die Tonne tritt (die überragende Nachwuchsarbeit bei Hertha hat ja das Interesse anderer Vereine erst möglich gemacht), würde man auch in der Zukunft vielleicht mehr Enttäuschungen als Erfolge bringen.

Warum können diese Menschen nicht ein, zwei Jahre warten? Wenn dann der Aufstieg von Hertha partout nicht klappen sollte, kann man immer noch in jungen Jahren wechseln. Etwar anders stellt sich die Situation bei Fabian Reese dar, der mit 26 Jahren nicht mehr sooo viel Zeit hat für die ganz große Karriere. Ihm dürfte man einen Wechsel, auch schon zum Saisonende, nicht übelnehmen.

Was ist denn aus den Spielern geworden, die Hertha groß gemacht hat und die bei erster Gelegenheit von Bord gingen?

Ein Sascha Bigalke wurde immerhin ein guter Drittligaspieler bei Unterhaching. Christopher Schorch ging zu Real Madrids zweiter Mannschaft und versaute sich dort die Karriere, Lazar Samardzic wollte bei RB Leipzig groß rauskommen. Hört man noch was von ihm? Yanni Regäsel ging zur Frankfurter Eintracht und ging dort unter. Genau wie letztens der Fahnenküsser Ngangkam, der ganz begeistert nach den ersten Wochen in Frankfurt war und jetzt schon weiterverliehen wurde.

Einzig Luca Netz spielt regelmäßig bei Gladbach und ein Hany Mukhtar ist zumindest in den USA eine große Nummer. Auch Arne Maier, den viele schon als kommenden Nationalspieler sahen, spielt immerhin meist bei Augsburg in der ersten Liga, wenn er nicht verletzt ist.

In der Mehrzahl der Fälle geht ein Wechsel in die Fremde mit so jungen Jahren schief. Wir werden den Weg von Bence Dardai und Maza aufmerksam verfolgen und unsere Schadenfreude nicht verbergen, wenn dieser Weg ins Abseits führt.

Der Konstrukteur der diesjährigen Meistermannschaft, Simon Rolfes von Bayer Leverkusen, empfahl Nachwuchsspielern mal, dass sie in den ersten Profijahren mit einem Lehrergehalt (das für einen Teller warme Suppe zum Mittag angeblich ausreichen soll) auskommen und den Rest vernünftig anlegen sollten. Aber Rolfes ist ein intelligenter und vernunftbegabter Mensch. Von Spielern, die mit 18 Jahren nur auf die erste Million auf ihrem Konto schauen, kann man das nicht unbedingt behaupten…

Konstanz fehlt

Nein, es ist nicht die schöne Stadt am Bodensee gemeint, wenn von fehlender Konstanz die Rede ist. Aus Gründen, die auch Trainer Dardai nicht versteht, bzw. als „Kopfsache“ identifiziert, spielt die Mannschaft, teilweise innerhalb eines Spieles, alles zwischen Bundes- und Oberliga. Wenn man das abstellen könnte, aber in dieser Saison wird das sicher nicht mehr gelingen, könnte man in der Tabelle an ganz anderer Position stehen. Nach dem Magdeburg-Spiel war man nur sechs Punkte vom Relegationsplatz entfernt. Hätte man nur eines der beiden Spiele gegen den HSV gewonnen, wäre man mit den Hamburgern punktgleich gewesen. Es gab zwar noch ein paar andere Mannschaften, die vor Hertha gestanden hätten, aber auch diese wären bei etwas ausgeglicheneren Leistungen distanziert worden. Bei mittlerweile acht Punkten Rückstand auf Rang 3 verbietet sich jede Träumerei. Wenn alles halbwegs normal läuft, wird Hertha am Saisonende mit ca. 51 Punkten (dafür muss man 5 von 11 Spielen gewinnen und drei Unentschieden erreichen, was ambitioniert genug ist) zwischen Rang 6 und 9 auflaufen. Das ist genau das, was Dardai jenseits allen Wunschdenkens stets als realistisch betrachtet hatte. Wenn sich im nächsten Jahr die jungen Spieler Ernst, Gechter, Eitschberger (jetzt verliehen), Klemens, Winkler, die drei Dardais, Maza, Hussein, Ibrahim, Hoffmann, Scherhandt und Christensen weiterentwickelt haben werden, wird sich die Schwankungsbreite der Leistungen vielleicht verringern. Dann kann man eventuell auch wieder nach oben sehen. Immerhin scheint der Abstieg in Liga 3 mit derzeit 11 Punkten Vorsprung auf den Relegationsplatz kein Thema mehr zu seien. Die sieben Punkte bis zur 40-er-Marke, die einen Abstieg faktisch ausschließen, werden ja wohl zu holen sein. Die ersten drei am Besten schon gegen Holstein Kiel. Auch wenn man den sympathischen Norddeutschen den Aufstieg (als erstem Verein aus Schleswig Holstein!) gönnen würde…

Oben oder unten?

Innerhalb von drei Tagen sind alle Herthaträume wie Seifenblasen zerplatzt. Nach dem Ausscheiden aus dem Pokal ist mit der Niederlage gegen den HSV auch die kleine Aufstiegschance nur noch theoretischer Natur. Bei zehn Punkten Rückstand auf den Aufstiegs-Relegationsplatz und nur noch sechs Punkten Vorsprung auf den Abstiegs-Relegationsplatz müsste jedem klar sein, worauf man in den nächsten Wochen den Fokus legen sollte. Natürlich dürfte es unwahrscheinlich sein, dass Hertha nicht noch wenigstens fünf der letzten 14 Spiele gewinnt, um dann mit 41 Punkten nach menschlichem Ermessen nicht mehr absteigen zu können. Aber es gab ja auch schon Rückrunden, in denen genau das nicht gelang, wenn auch in der ersten Liga.

Wir wollen nicht unken. Am Saisonende wird Hertha, wenn nicht noch etwas ganz außergewöhnliches passiert, zwischen dem 8. und 12. Tabellenplatz eintrudeln. Allerdings ohne die Aussicht, sich in den kommenden Spielzeiten extrem steigern zu können, wenn man sich nur den Abgang von Reese vor Augen führt, der momentan 50 % des Hertha-Spiels ausmacht. Der blödsinnige Spruch, dass ein Spieler, wenn er mal zwei Tore geschossen hat, den Gegner „fast im Alleingang“ besiegt hätte: Hier wird er ausnahmsweise Realität. Und angesichts klammer Kassen dürfte Besserung kaum erfolgen, es sei denn, der Berliner Weg biegt durch überragende Talente auf eine nicht geahnte Zielgerade ein. Möglich wäre es. Mit einem guten linken Verteidiger (Karbownik scheint eine Position offensiver viel besser eingesetzt) und mit Gechter, Eitschberger oder Dardai neben Leistner anstelle des unbeständigen Kempf könnte man zumindest die Abwehr stabilisieren. Und es war ja die Abwehr, die die Spiele gegen Hannover, Nürnberg, Rostock nicht gewonnen und jüngst gegen Kaiserslautern und den HSV verloren hat. Vorne reicht ein Tor, das auch ohne einen Reese-Fußballgott möglich ist, wenn hinten die Null steht.

Fazit: Es hätte ja auch viel schlimmer kommen können, wenn wir uns daran erinnern, dass ein Neustart in der 4. Liga nach einer Insolvenz im Sommer 2023 nicht ausgeschlossen war. Nehmen wir einen Mittelfeldplatz in diesem Jahr als Grundlage für eine Aufstiegsperspektive in zwei oder drei Jahren als gegeben hin. Ein Punkt in Fürth am Wochenende wäre natürlich ein großer Schritt in diese Richtung. Und bei einem Auswärtssieg schielen bestimmt wieder alle in Richtung Platz 3. Die Frage bleibt, ob Dardai wackelt, wenn auch das sechste Spiel in Serie nicht gewonnen wird. Oder gehört Dardai grundsätzlich zum Berliner Weg?

Unnötiger Pokal-k.o.

Der Bruder sagt nach der Pokal-Niederlage gegen Kaiserslautern, was er seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten sagt: In unserem Restleben werden wir es nicht mehr erleben, dass Hertha einen Titel gewinnt (Zweitligameisterschaft mal außen vor gelassen). Man soll ja nie „Nie“ sagen, aber wahrscheinlich muss man dem Bruder, auch wenn man es äußerst ungern tut, recht geben. Selten war die Chance, zumindest den Pokal zu gewinnen, oder wenigstens ins seit 1985 in Berlin stattfindende Endspiel zu kommen, so groß wie in diesem Jahr, wo die üblichen Verdächtigen, wie Dortmund, Bayern und Leipzig, bereits ausgeschieden waren.

War es wirklich so selten?

1975 war Hertha, was die meisten der Spätgeborenen gar nicht wissen, Vizemeister. Zwar lag man am Ende mit sechs Punkten recht deutlich hinter Borussia Mönchengladbach (Zwei Punkte-Regel), aber im Verlaufe der Saison war das eine knappe Kiste. Allerdings war von Euphorie damals in der Stadt nichts zu spüren. Die Nachwirkungen des Bundesliga-Skandals von 1971 waren nirgends größer als in Berlin.

Noch näher am Titel waren die Herthaner 1977 und 1979, als sie im Endspiel des DFB-Pokals jeweils knapp unterlagen: 1977 erst im Wiederholungsspiel (!) mit 0:1 gegen Köln, wo Hertha ein klarer Elfmeter verweigert und ein reguläres Tor aberkannt wurde. Der ruhige Zeitgenosse Ete Beer läuft immer noch fast Amok, wenn er von diesem Skandal berichtet. 1979 verlor man 0:1 gegen Düsseldorf, als Uwe Kliemann in der Verlängerung meinte, dem Torwart Nigbur einen Ball zuspielen zu sollen, obwohl sich ein Düsseldorfer Spieler in Torwartnähe aufhielt. Schief gegangen!

Der letzte Anlauf von Hertha auf einen Titel, der natürlich wieder nach dem Motto „Knapp daneben ist auch vorbei“ verlief, ist noch gar nicht so lange her. Wundertrainer Favre (das ist nicht mal ironisch gemeint) formte einen Titelanwärter, indem er das machte, was ein Jürgen Klinsmann immer gerne machen wollte, aber nie geschafft hat: Jeden Spieler jeden Tag ein bisschen besser zu machen! 2009 lag Hertha zwar wieder sechs Punkte hinter Wolfsburg (Drei-Punkte-Regel), wurde aber in Wolfsburg von Knut Kirchner verschoben, als er ein klares Foul vorm Wolfsburger 1:0-Siegtreffer nicht ahndete. Beim 0:0 wären es nur drei Punkte gewesen, und die hätte man im letzten Spiel gegen die schon abgestiegenen Karlsruher geholt, wenn man nicht völlig frustriert gewesen und 0:4 verloren hätte.

Im Pokal war man immerhin neben den beiden Endspielen (Hertha-Bubis natürlich 1993 nicht zu vergessen) auch 1964, 1976, 1981 und 2016 im Halbfinale und verlor jeweils. 2016 auch unter Dardai als Trainer, als nach Angsthasen-Fußball gegen Dortmund im Olympiastadion 0:3 verloren wurde.

Und 2024? Wieder nichts, trotz 20:13 Schüssen und 7:5 Torschüssen, trotz 70 % Ballbesitz, 588 : 262 Pässen und 79 % : 56 % Passgenauigkeit. Aber als Hertha nach verschlafener erster Halbzeit mit Reese munter das 1:2 ansteuerte, versetzte Bouchalakis mit seinem „Eigentor“-Fehlpass Hertha den K.o. Und Dardai hat recht, wenn er sagt, dass individuelle Fehler nicht (ab-)trainierbar sind. Aber ob Experimente wie eine Dreierkette ausgerechnet vor 74.000 Zuschauern gemacht werden müssen, ist zumindest diskutierbar…

Herthas Nicht-Abwehr…

Es war wohl auf der Pressekonferenz nach dem dritten Dardai-Einstand als Hertha-Trainer, nach dem desaströsen 2:4 gegen Werder Bremen, das auch gerne ein 0:8 hätte sein können: Dardai belehrte die Journalisten, dass man als Abwehrspieler nicht Fußballspielen können, sondern nur diszipliniert sein müsse. Dardai steigerte sich in gewohnte Launenhaftigkeit, indem er der anwesenden Journaille zurief, dass er sie ( die Sportjournalisten!) innerhalb von drei Wochen fit für die Abwehr machen könne, wenn sie nur wollten. Im Prinzip hatte Dardai natürlich recht, wie Weise im Prinzip immer recht haben. Dardai hat es dann trotzdem nicht mit den Journalisten versucht die Bundesliga zu halten, sondern mit seinen hochbezahlten Profis, was bekanntermaßen nicht ganz gelang. Jetzt hat Dardai, außer Kempf und Kenny, weniger hoch bezahlte Angestellte in seiner Abwehr und spielt gegen Gegner, die in der Regel nicht Erstliganiveau besitzen und es passiert genau das Gleiche: Die Abwehr ist regelmäßig ungeordnet und für Konter anfällig, kurz gesagt: Undiszipliniert. Denn dass Dardai die Abwehr so schlecht einstellt, ist unwahrscheinlich. Wie schon gegen Magdeburg, Nürnberg, Rostock, KSC und Hannover verschenkte man nun auch in Wiesbaden wichtige Punkte, weil ein eigentlich dominant bestimmtes Spiel durch Gegentore nach Kontern aus der Hand gegeben wurde. Entweder wird außen nicht rechtzeitig gestört und am Flanken gehindert (Kenny, Zeefuik oder Karbownik) oder die Abwehrspieler klären unsauber vor der Abwehr oder lassen die Stürmer ungehindert schießen (Kempf, Leistner) oder die Innenverteidigung steht beim schnellen Gegenangriff zu weit auseinander, so dass die Mitte offen wie ein Scheunentor ist.

Es muss für Dardai auch zum Verzweifeln sein. Vielleicht sollte er aber auch das Experimentieren und ständige Umstellen lassen und eine Abwehrformation sich einspielen lassen. Kempf, der offenbar nicht immer bei der Sache ist, weil er sich zu Höherem berufen fühlt, sollte raus und Marton Dardai stattdessen rein. Auf der Sechser-Position hat Hertha einige Alternativen. Eine eingespielte Formation mit Kenny, Dardai, Leistner und Karbownik sollte deutlich weniger Fehler als bisher machen.

Der Aufstieg, wenigstens Relegationsplatz Drei, dürfte mit der überflüssigen Niederlage in Wiesbaden verspielt sein. Aber für die Zukunft sollte eine sichere Abwehr das Ziel sein. Denn alle wissen: Der Angriff entscheidet Spiele, die Abwehr entscheidet die Meisterschaft…

Der Berliner Weg – Bernsteins Vermächtnis

In der Saison 2001/2002 spielten für die blauweißen Farben u.a.: Christian Fiedler, Marko Rehmer, Andreas Schmidt, Stefan Beinlich, Michael Hartmann, Thorben Marx und Zecke Neuendorf. Sieben Spieler, die alle in Berlin und Umgebung geboren wurden. Ein Jahr später stieß Benjamin Köhler, zwei Jahre danach noch Sofian Chahed und Malik Fahti dazu. Vor zwanzig Jahren ist Hertha, als man in der Bundesliga regelmäßig Gast des UEFA-Pokals (heute Europa-League) war, schon einmal den Berliner Weg gegangen und zwar höchst erfolgreich. Wie sich ein Manager namens Fredi Bobic hinstellen kann und ein gewünschtes stärkeres Einbinden Berliner Talente als „romantische Träumerei“ verunglimpfen kann, ist vor diesem Hintergrund unverständlich, wenn man es nicht, der Höflichkeit wegen, als dumm bezeichnen möchte. Der große Vorteil des Berliner Wegs liegt ja nicht nur darin begründet, dass Ablösesummen in der Regel wegfallen und die Gehälter, zumindest am Beginn der Karriere, moderat sind. Noch wichtiger ist ja der Aspekt der Identifizierung mit dem Verein (dem die Spieler oftmals seit ihrem zehnten, zwölften Lebensjahr angehören). Und schon seit dem 1954-er WM-Gewinn von Sepp Herbergers Elf wissen wir, dass der Spruch „Mentalität schlägt Qualität“, auch wenn das damals nicht so genannt wurde, eine gewisse Berechtigung hat. Auch wenn man ehrlicher Weise „schlägt“ durch „kann schlagen“ ersetzen müsste. Sonst würde ja Bayern München fast jedes Spiel verlieren und nicht gewinnen. Trotzdem: Spieler, die nicht ausschließlich auf Karriere und Kontoauszug starren, bringen im Durchschnitt mehr Leistung.

Kay Bernstein hat den Berliner Weg sicher in erster Linie wegen des finanziellen Aspekts in den Focus gerückt. Dass dieser Weg alternativlos und deshalb in der Hertha-Gemeinde weitgehend unumstritten ist, macht Bernsteins Verdienst um das Umsteuern der Vereinspolitik nicht geringer. Nach den Jahren des Wahnsinns und der Geldverbrennung musste der Verein wieder geerdet werden. Das hat Kay Bernstein geschafft und das bleibt nach seinem unfassbaren Tod, der ihn aus der Mitte des Lebens gerissen hat, für immer Teil der Hertha-Geschichte.

Der Berliner Weg ist richtig. Und er wird erfolgreich sein!