Hohes EM-Niveau – mit Ausnahmen

Das Niveau bei der Euro 24 ist erfreulich hoch, sowohl was die Spiele der deutschen Mannschaft (mit Einschränkungen), aller übrigen Spiele (mit Ausnahmen: England, Italien, Belgien…) und der Schiedsrichterleistungen angeht. Bei letzteren sei aber auf zwei genauso bemerkenswerte wie entscheidende Fehlleistungen hingewiesen:

Beim Spiel Kroatien gegen Italien führte Kroatien lange mit 1:0, was deren Qualifikation für die K.o.-Runde bedeutet hätte. Nach 7 Minuten und 18 Sekunden der Nachspielzeit erzielten die Italiener gegen irrsinniger Weise aufgerückte Kroaten den Ausgleich und kegelten diese damit aus dem Turnier. Die Frage bleibt: Warum gab es acht Minuten Nachspielzeit? Handelte es sich um ein Missverständnis in der Kommunikation von Schiedsrichter und 4. Offiziellem? Es gab keine Verletzungsbehandlungen, kein auffälliges Zeitspiel und die Dauer der Unterbrechung beim Videobeweis beim Elfmeter für Kroatien betrug genau 2 Minuten und 15 Sekunden. Wenn man vier Minuten für die diversen Wechsel dazugibt, ist man bei sechs Minuten Nachspielzeit, und der Ausgleich wäre nie gefallen. Was das Verrückte auf die Spitze treibt, ist die Tatsache, dass nach dem Tor und der italienischen Jubelarie die fehlenden 42 Sekunden nicht mehr gespielt wurden und der fällige Anstoß den Kroaten gestohlen wurde. Streng genommen ein Regelverstoß wie einstmals in der Relegation zwischen Düsseldorf und Hertha.

Eine zweite, noch eindeutigere Fehlleistung gab es im Spiel der Türkei gegen die Tschechen. Nachdem ein Spieler der Tschechen frühzeitig (berechtigt) mit Gelb-Rot zum Duschen geschickt wurde, wurde gleiches bei einem türkischen Spieler, der sich eine Minute nach Erhalt einer gelben Karte einen Ellbogenschlag gegen einen tschechischen Spieler leistete, nicht bestraft. Folgenschwer: Mit zehn gegen elf kämpften die Tschechen zwar wie um ihr Leben und erzielten noch das 1:1, der Siegtreffer, der das Weiterkommen und gleichzeitig das Aus der Türkei bedeutet hätte, wollte aber nicht fallen. Bei 10 gegen 10 wäre es ein ganz anderes Spiel mit großer Gewinnchance für Tschechien geworden. Absurd die Tatsache, dass der Schiedsrichter insgesamt fast 20 gelbe, gelbrote und rote Karten verteilte, an Spieler, Ersatzspieler, Trainer und am liebsten auch an zu vorlaute Kinder. Die einzige Gelbe Karte, die das Spiel entscheidend beeinflusst hätte, gab er nicht, übersah das Foul vollständig und gab Einwurf (von den fast alle falsch ausgeführten Einwürfen in allen Spielen wollen wir hier nicht reden).

Dass der VAR beim Ellbogenschlag (angeblich) nicht eingreifen DURFTE, macht den Wahnsinn nur noch kompletter, wenn man bedenkt, dass er sich meldet, wenn ein Spieler drei Zentimeter beim Elfmeter zu weit vorne steht.

Wie gesagt: Die Leistungen sind bei dieser EM erfreulich hoch, leider nicht immer…

Deutschland – Schottland

Julian Nagelsmann sagte im Interview auf die Frage, welche Person vor seinem geistigen Auge erscheine, wenn er das Wort „Bundestrainer“ höre, dass er an Jogi Löw denke. Als frühgeborener denkt unsereins natürlich an Helmut Schön, der 1972 Europameister und 1974 Weltmeister wurde. Den Europameistertitel hat er Jogi Löw also demnach voraus. Und sonst? Helmut Schön erreichte bei seinen EM-Spielen einen Punkteschnitt von 2,25. Jogi Löw nur von 1,95. So klar wie sie scheint, ist die Sache natürlich nicht. Wie bei allen Statistiken muss man etwas genauer hinsehen: Helmut Schön coachte nur vier EM-Spiele, weil es früher nach der Qualifikation im K-o.-System mit dem Viertelfinale im Hin- und Rückspiel weiterging. Die eigentliche Europameisterschaft war ein Mini-Turnier mit vier Mannschaften, die die zwei Halbfinals und das Endspiel austrugen. Helmut Schön hatte nur eine Niederlage zu verantworten, als Uli Hoeneß den Mond von Belgrad anvisierte und die Tschechoslowakei im Elfmeterschießen gewann. Jogi Löw hingegen kam in den immer aufgeblähteren Kommerz-Spielen auf 21 Partien, wobei es 13 Siege, zwei Unentschieden und 6 Niederlagen gab.

Zweiter in dieser kleinen Unsinns-Statistik ist übrigens der oft unterschätzte Berti Vogts mit einem Punkteschnitt von 2,09 bei 11 Spielen, vor Jupp Derwall (2,0 – 7 Spiele), Franz Beckenbauer (1,75 – 4 Spiele), Rudi Völler (0,66 – 3 Spiele) und dem von seinen Spielern im Stich gelassenen Erich Ribbeck (0,33 – 3 Spiele).

Wo wird Julian Nagelsmann nach der EM in dieser Statistik stehen? Superexperte Matthäus sieht, wie alle 84 Millionen Bundestrainer, die deutsche Mannschaft souverän durch die Gruppenphase segeln, natürlich nicht ohne vorsichtshalber vor der Stärke der Gegner zu warnen. Falls es schiefgeht, hat man es ja schon immer gewusst.

Wie stark ist denn nun Auftaktgegner Schottland wirklich? Die Spieler sind in der Premier League, der schottischen 1. Liga und anderen Ligen (Spanien, Italien) unterwegs, wobei es auch gerne mal die 2. Liga sein darf. Im Vergleich ist das individuelle Niveau der deutschen Spieler sicher höher einzuschätzen, aber alle kennen ja die eigenen Gesetze solcher Turnierspiele. Insgesamt gab es gegen Schottland 8 Siege, 5 Unentschieden und vier Niederlagen, wobei die letzte 25 Jahre zurück liegt. Bei der WM 1986 siegte Deutschland 2:1, bei der EM 1992 mit 2:0. Mit dem heutigen Spiel hat das alles gar nichts zu tun. Alles ist denkbar, auch eine Niederlage und ein folgendes Zitterspiel gegen Ungarn. Man müsste mal mit Garmisch-Partenkirchen Kontakt aufnehmen und fragen, ob die dortigen Biervorräte schon zur Neige gehen. Aber selbst wenn, würde es das Tippen nicht leichter machen

Ende des Berliner Wegs?

Christian Fiél ist neuer Hertha-Trainer. Bis auf den Accent auf dem „e“ im Namen ist das erstmal weder gut noch schlimm. Fiél hat seine Meriten erworben, ohne sensationelles bei Dresden und Nürnberg geleistet zu haben. Ob er den Hertha-Dampfer auf Kurs (sprich Aufstieg) bringt, wird man sehen. Wichtig wird eine große Kontinuität im Kader sein. 40 Transferbewegungen wie in der vorigen Sommerpause werden es sicher nicht werden, aber schon die vorhergesagten 20 Bewegungen, also zehn Abgänge und zehn Zugänge, wären viel zu viel. Und außerdem völlig unnötig. Eine Stabilisierung im Mittelfeld, um dort die Löcher zu schließen, ein sicherer linker Außenverteidiger, damit Karbownik weiter vorne spielen kann: Das wäre es schon beinahe, um um den Aufstieg mitspielen zu können. Eine Garantie, dass das letztlich auch wirklich klappt, kann natürlich niemand geben, ist auch von zu viel Unwägbarkeiten und Glück oder Pech abhängig.

Entscheidend wird die Fortführung des Berliner Wegs sein, mit dem sich die Anhänger in ungeahnter Einigkeit identifizieren können. Marton Dardai, Pascal Klemens und Marten Winkler gehörten über die Saison zur Stammelf, in der Rückrunde auch Ibrahim Maza und Linus Gechter, als Einwechselkönig Derry Scherhant. Mit dem jungen Tjark Ernst und dem Rückkehrer Julian Eitschberger sowie Palko Dardai gibt es neun Spieler, die den Berliner Weg verkörpern. Wenn Reese und Tabakovic bleiben, die ja entsprechend der Kennedy-Maxime auch als Berliner gelten dürfen, hat man die Mannschaft fast beisammen.

Christian Fiél wird daran zu messen sein, ob er es wie Dardai wagt, alle diese Spieler auch aufzustellen und nicht den scheinbar einfacheren Weg der Verpflichtung „fertiger“ Spieler zu gehen.

Geben wir Fiél eine Chance. Wenn er die erste Pokalrunde in Rostock wider Erwarten überstehen sollte, hat er schon mal einen guten Grundstein für sein weiteres Schaffen gelegt.

P.S.: Die Union-Vergangenheit von Fiél, die einigen selbsternannten Hertha-Freunden schon wieder sauer aufstößt, spielt übrigens überhaupt keine Rolle in der zukünftigen Bewertung von Fiéls Arbeit. Nur die Ergebnisse und wie sie zustande kommen, zählen. Eine Wette, ob er eine ganze Saison bei Hertha Trainer sein wird, würde ich aber nicht abschließen…

Herthas Fast-Meisterschaft

Nachdem Hertha die Saison 23/24 im genauso sicheren wie langweiligen Mittelfeld beendet hat, bläst alles zum großen Aufstiegs-Halali im nächsten Jahr. Aber ist es eigentlich auch nur ansatzweise sicher, ob es so kommen wird? Das Negativbeispiel HSV wollen wir hier gar nicht bemühen. Aus Herthas eigener Geschichte wissen wir, dass es Jahre dauern kann, bis irgend ein glücklicher Zufall den Aufstieg begünstigt. Natürlich sind die achtziger Jahre des vorigen Jahrtausends kein Maßstab. Hertha spielte im März 1984 vor 3362 Zuschauern gegen Oberhausen (3:2-Sieg). Das war damals typisch und erst über den Umweg Amateuroberliga Berlin (damals 3., heute 6. Liga) gelang der Aufstieg in Liga 2 und dann in Liga 1, um sich ab 1997 in der ersten Liga festzusetzen und seitdem stehen 24 Jahre Bundesliga drei Jahre zweite Liga gegenüber.

Zeit also, in trister Gegenwart an die besten Zeiten zu erinnern:

Die Fußball-Woche kramte dazu in ihrem Archiv und veröffentlichte das Titelblatt der Nr. 20 von 2009:

„Hertha BSC: Jetzt ist alles möglich“ heißt die Überschrift und in einer Prognose für die letzten drei Spieltage heißt es: “Hertha schafft es!“

Wie kam es zu dieser optimistischen Voraussage, die ja, wie wir alsbald erkennen mussten, zu optimistisch war?

Lucien Favre hatte die Mannschaft im Vorjahr übernommen und eine völlig verunsicherte Truppe mit 44 Punkten auf einen soliden 10. Tabellenplatz geführt.

„Im zweiten Jahr läuft die Schonfrist ab“ schrieb die FuWo und Favre beeindruckte alle mit modernstem One-Touch-Fußball. Hertha war europaweit die Mannschaft mit der geringsten Ballbesitzzeit, bis der Spieler den Ball weitergab.

Hertha startete mit einem 2:0-Sieg in Frankfurt, war nach dem 13. Spieltag und einem 2:1-Heimsieg gegen den HSV Tabellenvierter, um nach 17 Spieltagen mit 33 Punkten Dritter zu sein, zwei Punkte hinter den führenden Hoffenheimern und Bayern. Am 20. Spieltag schlug man Bayern München mit 2:1 und war erstmals in dieser Saison 2008 /09 Tabellenführer. Anschließend wurde Hertha in Wolfsburg von Knut Kircher verpfiffen, als er ein korrektes Hertha-Tor aberkannte, um ein klares Foul von Dzeko vor seinem Siegtreffer nicht sehen zu wollen. Ergebnis: 3. Platz.

Nach dem folgenden 2:1-Heimsieg gegen Mönchengladbach ist Hertha wieder Tabellenführer und bleibt es auch nach dem 3:1 in Cottbus und die FuWo titelt erstmals: „Hertha greift nach der Meisterschale“. 1:0 gegen Leverkusen am 24. Spieltag, 0:2 gegen Stuttgart am 25. Tag und Hertha ist immer noch Erster. Nach der 1:3-Niederlage gegen Dortmund rutscht Hertha auf Platz 3 ab, nach dem 0:2 in Hannover gar auf Platz 4 am 27. Spieltag. Es folgt ein 2:1 gegen Bremen und ein 1:0 in Hoffenheim und schon ist Hertha wieder auf Rang 2. Ein 1:1 beim HSV und ein 2:0 gegen Bochum folgen, so dass Hertha drei Runden vor Schluss mit einem Punkt Rückstand Dritter ist. Ein 2:1- Sieg in Köln lässt alles möglich erscheinen, bis Hertha beim 0:0 im ausverkauften Olympiastadion gegen Gelsenkirchen den entscheidenden Matchball nicht verwandeln kann. Das 0:4 am letzten Spieltag gegen Absteiger KSC lässt Hertha als Tabellenvierter sogar aus den Champions-League-Rängen herausfallen. Folge: Finanzielle Engpässe, Spieler (Woronin, Simunic) mussten verkauft werden, der Abstieg in der nächsten Saison folgte.

Die Namen der damaligen Hertha-Mannschaft treiben einem die Tränen in die Augen:

Drobny – Friedrich- von Bergen-Simunic- Stein – Dardai- Raffael- Nicu-Cicero- Woronin- Pantelic sowie Piszcek, Kacar, Ebert, Lustenberger und Domovchiyski heißen die Spieler, die nach 1930/31 Geschichte hätten schreiben können. Fehler von Schiedsrichter Kircher, Trainer Favre (Schlechte Kommunikation mit Führungsspielern wie Friedrich und Pantelic) und den Spielern verhinderten den großen Triumph.

Vielleicht macht der Berliner Weg ähnliches in ein paar Jahren ja wieder möglich.

Die verschenkte Saison

Hertha beendet die erste Zweitligasaison seit 11 Jahren auf dem neunten Tabellenplatz. Alle Spieler und Vorstandsmitglieder, wenn sie denn einen Funken Selbstkritik ihr eigen nennen, sagen, dass Hertha zurecht dort steht und dass die Tabelle eben nicht lügt. Soweit – so richtig.

Hertha liegt glatte 15 Punkte hinter dem Tabellendritten Düsseldorf, der zwar die Relegation spielen durfte, aber „leider, leider“ (wir denken mit der Faust in der Tasche an das Relegationsrückspiel 2012) trotz eines 3:0 im Hinspiel doch nicht aufsteigt.

13 von den 15 Rückstandspunkten wurden allein in den Spielen gegen die Absteiger Osnabrück, Rostock und Wehen Wiesbaden verspielt.

Die Anzahl der sonstigen überflüssigen Niederlagen wird hier aus Platzgründen lieber nicht aufgezählt. Einzig in den Spielen gegen beide Hamburger Mannschaften hatte Hertha keine Chance und verlor dort zu Recht.

Auch wenn ein weiteres Jahr in der zweiten Liga der Entwicklung der vielen jungen Wilden gut tun wird, wäre aber trotz des chaotischen Saisonbeginns der Aufstieg schon in diesem Jahr möglich gewesen.

Der neue Trainer muss das coachen, was laut Pal Dardai nicht gecoacht werden kann: Das Vermeiden von individuellen Fehlern im defensiven Mittelfeld und in der Abwehr. Denn eins ist klar: Aus finanziellen Gründen ist der Aufstieg fast schon Pflicht. Wenn er in der nächsten Saison nicht gelingt, könnte Hertha dem neuen Zweitligadino HSV bald ungewollt dauerhafte Gesellschaft leisten…

Der Zweitligadino

Irgendein Witzbold, der nicht glühender HSV-Anhänger sein dürfte, hat recherchiert, dass der HSV, wenn St. Pauli und Kiel aufsteigen, der Verein mit der längsten ununterbrochenen Zweitliga-Zugehörigkeit ist.

Stimmt: Köln, Paderborn, Union Berlin, Heidenheim, Darmstadt 98, VfL Bochum und Greuther Fürth stiegen seit 2019 irgendwann auf. Bielefeld, Regensburg, Dresden, Aue, Sandhausen, Ingolstadt, Magdeburg und Duisburg stiegen für immer oder zeitweise in Liga 3 ab. St. Pauli und Kiel steigen auf, also haben wir einen neuen Dinosaurier, auch wenn das Alter mit sechs Jahren noch nicht ganz dinosaurierwürdig ist. Nach dem Abstieg belegte der HSV 2019, 2020, 2021 und 2024 (höchstwahrscheinlich) jeweils einen ehrenvollen vierten Tabellenplatz. Zweimal wurde der HSV tatsächlich Dritter, man verspielte 2022 allerdings in der Relegation einen 1:0 Auswärtssieg gegen Hertha, indem man das Rückspiel 0:2 verlor. Und 2023 hatte man gegen den VfB Stuttgart mit 1:3 und 0:3 nicht den Hauch einer Chance. So geht der HSV, mit Schadenfreude (warum eigentlich?) von den meisten Fußballfreunden bedacht, in seine siebente Zweitligasaison in Folge.

Es wird höchste Zeit im „Volksparkstadion“ wieder die alte Uhr anzubringen. Stand 06 Jahre, 00 Monate, 00 Tage. Zum Glück musste das Uns Uwe nicht mehr alles erleben.

Ungelöste Trainerfragen

Während bei Hertha die Trainerfrage weiterhin ungelöst ist und Fans, Mannschaft und Pal Dardai selber nicht wissen, ob er ab dem 1.7. noch Trainer der Alten Dame ist, machen die Köpenicker ganz schnell Nägel mit Köpfen: Zwei Tage nach der Versicherung des Präsidenten Zingler, dass nichts an den Gerüchten über eine vorzeitige Trainerentlassung stimme, ist Herr Bjelica auch schon weg vom Fenster. Nicht aber von den lukrativen Fleischtöpfen: Der Vertrag läuft bis Mitte 2025 und wenn Union nicht absteigt, sogar bis Mitte 2026. Union kann dann mal eben ein bis zwei Millionen Euro in den Wind schreiben. Aber da ist Union, das sich selber gerne als den etwas anderen Verein, fern von Kommerzialisierung und Abgehobenheit, sieht, genau wie alle anderen, die im Profizirkus mitspielen.

In den letzten 17 Jahren gab es 10 Trainer bei Union, was sich erst mal unterdurchschnittlich anhört. Wenn man aber die erstaunlichen sieben Jahre von Uwe Neuhaus und die fünfeinhalb erfolgreichen Jahre von Urs Fischer weglässt, gab es siebenTrainer (plus zwei Interimstrainer) in den vergangenen 10 Jahren, d.h., man nähert sich bei Union dem branchenüblichen Durchschnitt von etwas über einem Jahr ziemlich genau an.

Erinnert sich noch jemand an Norbert Düwel (2014 bis 2015), Sascha Lewandowski (2015 bis 2016), André Hofschneider (2016), Jens Keller (2016 bis 2017) und nochmal André Hofschneider?

Marco Grote muss jetzt zum zweiten Mal als Interimstrainer einspringen. Ein Nenad Bjelica wird mit seiner gerade fünfeinhalb Monate dauernden Amtszeit eine Randnotiz in der Union-Geschichte bleiben. Ob man jemals wieder einen Trainer wie Urs Fischer finden wird, egal ob in Liga 1 oder 2, steht in den Sternen. Hinterher ist man immer schlauer, aber vielleicht wäre es besser gewesen, an Fischer festzuhalten, wie es einstmals Freiburg gemacht hat, die mit Christian Streich abgestiegen sind, um danach gestärkt wieder aufzusteigen. Oder wie es jetzt Darmstadt 98 vormacht, das mit Trainer Torsten Lieberknecht trotz des Abstiegs weiterarbeitet.

Eventuell hat Union, das eben doch nur ein „normaler“ Fußballverein, wenn auch mit positiv-verrückten Fans, ist, die ungewöhnliche und eigentlich unnormale fünfjährige Erfolgsphase etwas das klare Denken vernebelt: Die Champions-League kann nicht der Normalfall bei Union sein, die Mitgliedschaft in der 1. Bundesliga sollte das neue Ziel sein.

Aufstiegstrainer Dardai

Nach dem etwas enttäuschenden 1:1 gegen Hannover ließ sich ein circa sechzehnjähriger Experte, der sich anhörte, als sei er seit Jahrzehnten kritischer Beobachter der alten Dame, zu der Bemerkung herab, dass Pal Dardai eben kein Aufstiegstrainer sei.

Dieses Statement saß erstmal!

Über den Einwand, dass Hertha vor der Saison u.a. alle sechs Mittelfeldspieler abgeben musste, wollte er nicht weiter diskutieren. Zum Glück. Denn mit arroganten, besserwisserischen Jugendlichen zu reden, macht nur selten Spaß.

Aber was ist an der Aussage vom Aufstiegstrainer dran?

Fragen wir uns doch zuerst, was ein Aufstiegstrainer eigentlich ist:

Fiffi Kronsbein ist zweifellos ein Aufstiegstrainer (gewesen), der sich mit Hertha 1968 in der Aufstiegsrunde nach vier Heimspielen mit je 85.000 Zuschauern gegen Rot-Weiß Essen durchsetzte. Allerdings auch erst im zweiten Versuch, nachdem er 1967 als 5. von fünf Vereinen in der Aufstiegsrunde recht kläglich gescheitert war.

Georg Gawliczek war ein Aufstiegstrainer, der 1982 mit Hertha ins Oberhaus zurückkehrte, nachdem Uwe Klimaschewski im Dezember 81 nach dem Pokal-Aus gegen TuS Langerwehe gefeuert worden war. Allerdings musste Hertha unter Aufstiegstrainer Gawliczek nach einem Jahr die Bundesliga als 18. schon wieder verlassen. Auch keine richtige Erfolgsstory.

Jürgen „Wundermann“ Sundermann war ein Aufstiegstrainer, allerdings auch erst im zweiten Versuch 1988 und auch nur von der Amateuroberliga Berlin (damals 3. Liga) in die zweite Liga. Aufstieg auf niedrigem Niveau.

Der viel zu früh verstorbene Werner Fuchs war der nächste Aufstiegstrainer, der Hertha 1990 in die erste Liga brachte, dort allerdings nach 13 Spieltagen gehen musste, weil der Vorstand es versäumt hatte, Hertha mit Spielern aus Ost-Berlin (Thom, Rohde, etc), die gerne gekommen wären, zu verstärken. Dass diese beiden Spieler später, am Abend ihrer Karriere, doch noch für Hertha spielten, ist dabei der Treppenwitz der Geschichte.

Nach etlichen Zweitligajahren war Jürgen Röber der nächste Aufstiegstrainer, der 1997 aufstieg und die Mannschaft 2000 in die Champions-League führte. Aber Röber ist mittlerweile 70 Jahre alt und genießt seinen Ruhestand, was sicher gesünder ist, als wieder Hertha-Trainer zu werden.

Markus Babbel (2011) und Jos Luhukay (2013) hießen die letzten beiden Aufstiegstrainer, die sich in der ersten Liga aber auch nur ein halbes (Babbel) bzw. eineinhalb Jahre (Luhukay) halten konnten.

Die vielen verschiedenen Charaktere all dieser Trainer und die vielen verschiedenen Arten, die Mannschaft anzusprechen und einzustellen, zeigen, dass es den Aufstiegstrainer nicht gibt.

Bei Pal Dardai wissen wir, was wir an ihm haben. Bei jedem neu zu verpflichtenden Trainer weiß man genau das nicht.

Außer den bereits genannten Trainern waren bei Hertha seit Helmut Kronsbeins Rücktritt 1974 so einige Übungsleiter am Werke: Georg Kessler, Kuno Klötzer, Martin Luppen, Uwe Kliemann, Rudi Gutendorf, Pal Csernai, Peter Neururer, Karsten Heine, Bernd Stange, Günter Sebert, Uwe Reinders, Falko Goetz, Huub Stevens, Hans Meyer, Lucien Favre, Wolfgang Funkel, Michael Skibbe, Otto Rehhagel, Ante Covic, Jürgen Klinsmann, Alexander Nouri, Bruno Labbadia, Tayfun Korkut, Felix Magath und Sandro Schwarz.

Weiß Gott, viele gute und ein halbes Schock weniger gute Namen, was die Leistungen der Trainer betrifft. Nur wenige waren Aufstiegstrainer. Pal Dardai ist der Aufstieg im zweiten Jahr, wenn die Mannschaft auf zentralen Posten zusammenbleibt und sich die jungen Wilden noch weiterentwickelt haben werden, mit geringen Kaderergänzungen allemal zuzutrauen.

Hoffentlich sehen das die Verantwortlichen und der windige Inverstor genauso.

Reisende soll man ziehen lassen…

Dass Spieler heutzutage den Verein gefühlt alle zwei Jahre wechseln, ist eine Tatsache. Niemand erwartet eine so altmodische Einstellung wie Dankbarkeit, wenn ein Fußballer acht Jahre in einer Nachwuchs-Akademie ausgebildet wurde und er ein gut dotiertes auswärtiges Angebot erhält. Was einen jungen Menschen davon abhalten könnte, den Verein zu wechseln wäre a) die Überlegung, ob man beim aufnehmenden Verein auch genügend Gelegenheit erhält, sein Talent zu entfalten, sprich: häufig genug eingesetzt zu werden und b) die charakterliche Neigung, nicht nur auf sich, sondern auch auf das Umfeld zu schauen. Zu a) wäre zu sagen, dass ein Nachwuchsfußballer, der es zu einer gewissen Anerkennung seiner Fähigkeiten gebracht hat, in der Regel so von sich überzeugt ist, dass er mit Sicherheit nicht an die Möglichkeit Kader-Ergänzungsspieler zu werden denkt. Sonst hätte er nicht seit seinem achten Lebensjahr an von Eltern, Trainern, Betreuern und vielleicht sogar Freunden gehört, wie gut er ist. Und b) ist ja gerade das Gegenteil von allem, was ein Fußballtalent all die Jahre seiner Jugendkarriere zu hören bekommt. Es geht ja immer nur darum, Ellbogen zu benutzen, sich durchzusetzen und Fairness gegenüber Gegnern und selbst Mitspielern kommt erst, wenn es nicht wehtut. Das eigene Fortkommen ist viel wichtiger als die Zukunft des Vereins, dessen Wappen man gerade noch küsste und in dessen Bettwäsche man vielleicht noch bis vor kurzem zu ruhen pflegte.

Lassen wir ihn also gehen, den Bence Dardai (der noch nichts für Hertha geleistet hat) oder auch den Marton Dardai, wenn sie glauben, dass es ihnen woanders besser gehen wird. Der Kontostand wird, zumindest in den ersten ein, zwei Jahren, höher sein. Ob die Anerkennung und die erfolgreiche Fortsetzung der Karriere entsprechend positiv sein werden, steht in den Sternen. Lassen wir sie und mit Sicherheit einige andere ziehen. Andere kommen nach und vielleicht bleiben am Ende die, die mit der richtigen Mentalität in einigen Jahren erfolgreich sein werden. Vielleicht sogar mit dem Trainer, dessen Mannschaft nur eines der vergangenen neun Spiele verloren hat.

Für den Berliner Weg wäre es allemal gut.

Hertha ohne Dardai

Pal Dardai wird zum Ende der Saison gehen müssen, wenn nicht wider Erwarten die letzten sechs Spiele gewonnen werden sollten und Hertha die Relegation erreicht.

Fest steht aber: Alle Saisonziele sind erreicht:

1) Die aus der Not zusammengewürfelte Mannschaft schlägt sich mindestens so gut, wie vor Beginn der Spielzeit erwartet, als Dardai unwidersprochen sagen durfte, dass es zwei bis drei Jahre dauern werde, bis die Mannschaft um den Aufstieg mitspielen werde.

2) Der Berliner Weg wurde erfolgreich ein- und fortgeführt. Bis zu sieben Berliner Jungspunde aus der Hertha-Akademie standen zeitweilig auf dem Platz, einmalig im deutschen Profifußball seit den Sechzigerjahren, als noch fast alle Spieler aus der Stadt des Vereins kamen.

3) Im Pokal erreichte man das Viertelfinale und wenn Bouchalakis nicht dem Gegner das 0:3 aufgelegt hätte, wäre auch dieses Spiel noch nicht verloren gewesen.

Eins ist klar: Dardai ist seit Favres Fast-Meisterschaft (immerhin schon 15 Jahre her) der mit Abstand erfolgreichste Hertha-Trainer ! Weder Covic, Labbadia, Korkut noch Schwarz oder gar Klinsmann schafften es wie Dardai, der die Mannschaft zweimal nach Europa führte und zweimal vor dem Abstieg rettete, auch nur annähernd so erfolgreich zu sein.

Natürlich wackelt die Abwehr zu oft, kein Wunder bei den vielen jungen Spielern. Natürlich kommen aus dem Mittelfeld zu wenig Ideen, kein Wunder, wenn man alle Mittelfeldspieler (Tousart, Boateng, Boetius, Cigerci, Richter und Serdar) verkaufen musste. Aber ist es nicht ein Wunder, dass die Mannschaft trotzdem so gut dasteht? Man kann sich mal den Tabellenstand von unseren Gelsenkirchener Freunden ansehen. Und dass der Angriff zu wenig Tore schießt, wagt auch der verlogenste Kritiker nicht zu behaupten.

Wer will trotz dieser Tatsachen den Trainer absägen?

Es sind die ewigen Zweifler und Nörgler auch im Verein, die Hertha in den letzten Jahrzehnten immer wieder mal an den Rand des Abgrunds gewirtschaftet haben und dies auch wieder tun würden und werden, wenn sie sich durchsetzen. Es sind die Journalisten, die nur, was Dardai ständig moniert, das Negative sehen. Nun gut, Journalisten dürfen auch kritisch sein und Dardai muss sich vorwerfen lassen, dass er nicht immer souverän genug reagiert hat. Eine PK eingeschnappt zu verlassen, zeugt von Dünnhäutigkeit, die man an ihm eigentlich nicht kennt. Oder wollte er mit seiner vorher geplanten Aktion eine Entlassung provozieren?

Es sind wahrscheinlich die ahnungslosen Geschäftemacher von tripleseven, die auf schnellen Profit aus sein müssen, da ihr wackliges Finanzkonstrukt bedenklich in Schieflage geraten zu sein scheint.

Und es sind die besserwisserischen „Fans“, die nur deshalb nicht Bayern-Anhänger sind, weil sie zufällig in Marzahn oder Spandau und nicht in München-Solln geboren wurden und die meinen, eine Fußballmannschaft hat gefälligst immer zu gewinnen. Würden sie auch gerne tun, wenn da nur nicht immer die bösen Gegner wären, die etwas dagegen haben.

Fazit: Dardai wird wohl gehen müssen und niemand kann vorhersagen, ob der Neue besser sein wird. Schade. Es ist nur zu hoffen, dass der Berliner Weg damit nicht zu Grabe getragen werden wird. Kay Bernstein wird es genau beobachten.