Konstanz nach Bobic-Art

Neulich sagte Fredi Bobic in einem Interview die Wahrheit: Zecke Neuendorfs Wunsch, einmal eine Hertha-Mannschaft zu sehen, in der nur Berliner spielten, sei unrealistisch im modernen Profifußball. Nun ja, fast, denn in dem Team, das 1999/2000 in der Champions-League spielte und dort Chelsea und Milan schlug, kam man annähernd an Zeckes Ideal heran: Fiedler, Beinlich, Rehmer, Hartmann, Zecke, Andi Schmidt, Thom aus Berlin, dazu die aus der „Umgebung“ (DDR) stammenden Herzog, Tretschok, Veit und Wosz ergeben schon eine regional verankerte Mannschaft, und eine gute noch dazu. Aber auch das ist zwanzig Jahre her und wahrscheinlich nicht zu wiederholen. Vor allem, wenn man bedenkt, wie leichtfertig manchmal eigene Talente abgegeben werden, um sie durch teurere, auswärtige Spieler zu ersetzen, die noch dazu oftmals nicht unerhebliche Eingewöhnungsschwierigkeiten haben.

Zugegeben: Der Sprung von der Jugend in den Erwachsenenbereich muss schwer sein und noch niemand konnte so richtig erklären, warum es bei höchst talentierten Junioren mit 18 oder 19 Jahren einen Bruch in der Entwicklung gibt:

Vor acht Jahren schrieb ich in einem Blog über Herthas Nachwuchsarbeit über den Gewinn der Fritz-Walter-Medaille in Silber von Damir Bektic. Eine Ehrung, die zuvor auch die Herren Jerome Boateng, Manuel Neuer, Toni Kroos und einige andere nicht unbekannte Spieler erhielten. Und wo spielt Herr Bektic mit Mitte Zwanzig jetzt? Wenn er Bundesliga-Profi geworden wäre, wüsste man es. Also in der 2. oder 3. Liga? Weit gefehlt. Er kickt in der Regionalliga bei Tasmania! Sicher muss man als Regionalligaspieler überdurchschnittlich viel können, wenn man die eineinhalb Millionen aktive Fußballer betrachtet. Aber der ganz große Wurf sieht anders aus.

Wenn es also nicht gelingt, jedes Jahr wenigstens EINEN Spieler aus einer der besten Jugendabteilungen Deutschlands ins Profiteam zu holen (was bei Hertha schon ansatzweise verwirklicht wird (siehe Mittelstädt, Torunarigha, Dardai und zuletzt Gechter) mussen also Transfers realisiert werden. Und wie es bei Schiller so schön heißt: „Mit weiser Hand, zur rechten Zeit“. Aber da geht es ja nur ums Glockengießen! Und bei Hertha hat man seit vielen Jahren (Ausnahmen bestätigen die Regel) keine weise Hand und der Zeitpunkt ist oft alles andere als richtig.

Wie wäre es sonst möglich, dass die sportliche Leitung einerseits „Kontinuität“ bzw. „Konstanz“ predigt, und das Gegenteil macht? Oder ist es Kontinuität, wenn in zwei Transferperioden (Sommer 21 und Winter 22) 18 (achtzehn!) Spieler abgegeben und 13 (dreizehn!) verpflichtet werden ?

Abgänge: Cunha, Cordoba, Netz, Jastrzembski, Leckie (Verkäufe), Torunarigha, Maier, Lukebakio, Piatek, Dilrosun, Alderete, Zeefuik, Löwen, Redan, Ngankam (Leihen), Khedira (Karriereende), Guendouzi, Radonjic (Leihe beendet).

Zugänge: Serdar, Richter, Maolida, Ekkelenkamp, Christensen, Belfodil, Jovetic, Selke, Björkan, Kempf, Lee, Nsoma und Michelbrink (eigene Jugend!).

Entweder weiß Bobic nicht, was er tut oder er hat einen genialen Spürsinn (was man bis zum Spieltag 20 noch nicht erkennen konnte) oder er ist wirtschaftlich gezwungen so zu handeln, da Herthas alter Kader 90 Millionen im Jahr kostete (und im Geschäftsjahr 2021 ca. 90 Millionen Defizit bei knapp 200 Millionen Umsatz auflief). Denn dass eine Mannschaft nicht besser wird, wenn sie Spieler im „Wert“ (erinnert zwar an Klinsmanns „Mehrwert“, ist aber in Tabellen so aufgelistet) von 138 Millionen € abgibt und für 56 Millionen € verpflichtet, ist eigentlich sonnenklar. Trotz aller wirtschaftlichen Zwänge, ein System kann man bei Bobics Transferaktivitäten bisher nicht erkennen. Aber wenn der Abstieg vermieden wird, wird spätestens in der nächsten Saison alles viel besser…

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