Gersbecks zweite Chance

Schade, dass Mario Gersbeck kein sächsischer Neonazi ist. Dann könnte man bei seiner Gerichtsverhandlung wegen schwerer Körperverletzung auf Nachsicht des Richters hoffen, weil schließlich durchaus denkbar ist, dass er von seinem Gegner provoziert, vielleicht sogar angegriffen wurde und er sich nur verteidigt hat. Außerdem ist die Schuldfähigkeit durch übermäßigen Alkoholgenuss sowieso fraglich. Und mit der Polizei hatte er vorher nie etwas zu tun. Und dass jungen Leuten mal die Hand ausrutscht, hat es schließlich schon immer gegeben und, und, und. Aber leider ist Gersbeck kein Neonazi, der die volle Gnade eines einäugigen Gerichts zu spüren bekommt, sondern ein (in dieser Situation) dummer Fußballer, der sich im Vollsuff nicht kontrollieren konnte. Und deshalb gehört er auch bestraft. Und zwar sollte es eine empfindliche Geldstrafe geben (mit dem Geschädigten hat er sich ja wohl, wenn man Meldungen glauben darf, ebenfalls auf ein angemessenes Schmerzensgeld geeinigt). Alles andere erscheint, ohne den Fall bis ins Letzte zu kennen, unangemessen.

Und was macht Hertha? Präsident Bernstein ist, wie man hört, für eine baldige Begnadigung. Andere Vorstandsmitglieder sind für eine Kündigung, was natürlich sofort die nächste (fünfte?) Klage vor dem Arbeitsgericht gegen Hertha zur Folge hätte. Der gesunde Menschenverstand, auch wenn man bei diesem Begriff sehr vorsichtig sein sollte, sagt doch, dass ein immer noch junger Mann für einen einmaligen Ausrutscher nicht sein Leben lang büßen sollte. Und darum handelt es sich ja wohl, wenn ihm eine noch mehrjährige Profikarriere verwehrt wird.

Präzedenzfälle gab es einige in der Geschichte der Bundesliga. Weltmeister Helmut Rahn fuhr mit seinem Auto im Suff in eine Baugrube, leistete Widerstand gegen die Polizisten und wurde festgenommen, um trotzdem ein Jahr später unter dem ach so gestrengen Sepp Herberger bei der WM 1958 in Schweden zu brillieren. Später saß er als Wiederholungstäter vier Wochen im Gefängnis und durfte dennoch am Abend seiner großen Karriere noch zwei Bundesligaspielzeiten beim Meidericher SV (MSV Duisburg) spielen. 1860 Münchens Rudi Brunnenmeier saß wegen einer „zünftigen“ Wirtshausschlägerei zwei Wochen im Gefängnis, was ihn nicht daran hinderte, später im stolzen Dress der deutschen Nationalmannschaft unter dem moralisch untadeligen Helmut Schön aufzulaufen.

Der Vorstand von Hertha sollte nicht päpstlicher als der Papst sein und Gersbeck nach zeigen der vereinsinternen gelbroten Karte begnadigen, nicht ohne eine empfindliche Geldstrafe (im Idealfall für soziale Zwecke) auszusprechen. Das Schädigen des eigenen Vereins im Zuge des Skandals von 1971 ist bei den etwas gesetzteren Anhängern noch in allerschlechtester Erinnerung. Groß, Steffenhagen, Patzke und der Rest der Mannschaft, die gegen Bielefeld verlor, wurden nach ihren Sperren aussortiert. Kein anderer Verein hat das gemacht. Die negativen Folgen sind bis heute zu spüren…

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