FC St. Pauli und die Liebe der Kiezbewohner

Wenn das Hotelzimmer zufälligerweise so liegt, dass man beim Blick aus dem Fenster nicht nur ein „Fuck HSV“-Graffito an der Hauswand, sondern auch den Eingang des neuen Millerntor-Stadions sieht, muss man sich auch in der tiefsten Sommerpause zwangsläufig mit Fußball beschäftigen. Denn im Stadtteil St. Pauli fällt ja nicht nur auf, dass die Tattoodichte eine knappe Zehnerpotenz höher liegt als in Kreuzberg-Friedrichshain, sondern auch, dass die öffentliche Identifikation der Einwohner mit „ihrem“ Verein nicht gespielt ist. An jedem Haus hängt mindestens eine braun-weiß-rote St. Pauli-Fahne, als ob der Verein gerade Deutscher Meister geworden wäre, mindestens aber die Bayern geschlagen hätte; in jeder, aber wirklich jeder Kneipe oder Bar werden die Spiele des FC live übertragen, hängen Spielpläne hinter dem Tresen, laufen die Menschen mit hässlichen, braunen St. Pauli-Trikots aller Jahrgänge herum. Aber auch der von Oma selbstgestrickte Pullover mit St.Pauli-Wappen vorn und Hamburger Stadtwappen hinten (große Strickkunst!), der eigentlich auf einen Parteitag der Grünen in den frühen Achtzigerjahren gehört, darf nicht fehlen. Und wenn dann ein Saisonvorbereitungsspiel gegen Celtic Glasgow ansteht und trinkfreudige Schotten im Sechserpack friedlich durch die Straßen marschieren, wenn sie nicht gerade im Lokal sitzen, um ihren Alkoholpegel zu stabilisieren, entfaltet sich eine wohl einzigartige Atmosphäre von Fußballkultur, wie man sie heute nur noch selten erlebt: Man ist ganz weit weg von Betriebssportgemeinschaften wie Bayer Leverkusen oder VfL Wolfsburg, Milliardärshobbyvereinen wie der TSG Hoffenheim oder Marketingträgern wie RB Leipzig.
Und wenn dann 21.000 Zuschauer kommen, um sich einen traditionell müden Saisonvorbereitungskick anzusehen (1:0 für St. Pauli, Celtic aber wohl eher mit der 2. Mannschaft), dann wird klar, dass die Liebe echt ist…

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