Boykott boykottieren

Nie hat man weniger Lust gehabt, sich in vierwöchiges Koma zu versenken und von morgens bis abends Fußballspiele anzusehen, die einen normalerweise überhaupt nicht interessieren. Aber bei einer Fußball-Weltmeisterschaft gibt es eben keine uninteressanten Spiele. Auch aus einer Partie Marokko gegen Kroatien kann man Erkenntnisse gewinnen, egal welche.

Aber 2022 in Quatar?

Man sieht sich die Spiele lustlos an, sozusagen aus jahrzehntelang eingeübtem Pflichtgefühl. Selbst die Vorfreude auf das erste deutsche Spiel gegen Japan hält sich in engsten Grenzen, was wahrscheinlich weniger mit den Umständen dieser WM zu tun hat, als mit der Erwartungshaltung die deutsche Mannschaft betreffend: Auf Platz 11 der Weltrangliste scheint die Mannschaft realistisch eingeordnet, was also ein Ausscheiden im Achtelfinale bedeuten würde. Wundern würde es niemanden, ein Einzug ins Halbfinale, früher mal das Minimalziel deutscher Nationalmannschaften, käme einer Sensation gleich.

Und dann gibt es am gestrigen Nachmittag doch einen Moment der Freude, der glücklichen Erinnerung: In Mexikos Mannschaft steht ein Spieler mit Namen Guilliermo Ochoa im Tor, an dessen Spiel seines Lebens am 17.6.2014, als er gegen Brasilien mit unfassbaren Paraden ein 0:0 rettete, wir uns nur zu gerne erinnern. Und nichts von seiner Ausstrahlung, die so gar nichts machohaftes hat, sondern Ruhe, Weisheit und Überlegenheit an den Tag legt, hat er in den vergangenen acht Jahren verloren. Ochoa ist jetzt 37 Jahre alt, sieht immer noch aus wie zweiundzwanzig und spielt seine fünfte WM. Eine sechste in dreieinhalb Jahren in seinem Heimatland erscheint nicht unmöglich.

Ich verstehe jeden, der keine Lust hat, sich die Spiele dieser WM anzusehen. Aber diese Unlust als Boykott hochzujazzen, erscheint mir etwas übertrieben und mit zweierlei Maß gemessen. Alles was die Ultras am letzten Spieltag an Banneraufschriften in den Stadien gezeigt haben, stimmt.

Aber käme jemand auf die Idee, nicht mehr zu heizen, weil das Öl aus Saudi-Arabien, nicht gerade einem Hort der Menschenrechte, käme?

Verzichtet jemand auf den Kauf eines neuen Fahrrades, eines Computers oder einer Hose, weil mit Sicherheit ein Teil dieses Produkts aus dem Land des Lächelns, wie China fälschlicherweise noch immer genannt wird, stammt?

Aber weil vor zwölf Jahren eine Bande korrupter Funktionäre eine WM verkauften, soll man jetzt auf sein Lieblingshobby verzichten? Geht´s noch?

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